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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 23 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.09.2014 10:34
Zurück nach West Lothian Antworten

Bei der Debatte über die schottische Unabhängigkeitsabstimmung überraschten zwei (sich überschneidende) Gruppen in Deutschland:
Einige besonders liberal/libertär Gesinnte freuten sich schon wie Bolle darauf, daß es einen weiteren sozialistischen Staat in Europa geben könnte.
Und die Gegner der EU-Bürokratie drückten die Daumen, daß Cameron als Hauptgegner dieser EU-Bürokratie geschwächt werden sollte.
Diese Vorstellungen waren erstaunlich unlogisch und realitätsfern.

Dagegen haben die Schotten nun realitätsnah entschieden. Fast alle emotionalen Gründe sprachen für die Unabhängigkeit, fast alle sachlichen Gründe sprachen dagegen. Und am Ende sind die Schotten doch ein nüchternes Volk und haben mit dem Kopf entschieden.

Und jetzt kann man auf interessante Folgerungen hoffen.

Solus Offline



Beiträge: 384

19.09.2014 13:44
#2 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Hätten die Schotten sich für die Unabhängigkeit ausgesprochen und dann auch tatsächlich ihren eigenen Staat bekommen, hätte das jedenfalls die Verhandlungsposition der anderen Regionen in Europa, die mehr Eigenständigkeit für sich erreichen wollen, deutlich gestärkt. Das hätte garnicht unbedingt zur tatsächlichen Abspaltung der anderen Regionen führen müssen.
Allerdings dürften die Zugeständnisse, die England Schottland gemacht hat in dieser Hinsicht auch schon eine deutliche Wirkung entfalten, auch ohne eine vollständige Abspaltung.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

19.09.2014 14:25
#3 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Ich stimme Dir vollkommen zu, lieber R.A. nur ein faden Beigeschmack hat das Ganze:
Was jetzt in GB zu mehr Föderalismus führt, war ja nicht so gewollt. Das war die Separation. Und die kommt so lange immer wieder auf die Tagesordnung bis es geschafft ist.
Kann denn ein Zentralstaat nur begrenzt oder zurückgebaut werden, wenn glaubhaft mit Abspaltung gedroht wird?
Ist das nicht auch eine naheliegende Erfahrung die während des Schottland-Referendums gezogen werden konnte?

Viele Grüße, Erling Plaethe

Florian Offline



Beiträge: 3.136

19.09.2014 14:32
#4 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Solus im Beitrag #2
Hätten die Schotten sich für die Unabhängigkeit ausgesprochen und dann auch tatsächlich ihren eigenen Staat bekommen, hätte das jedenfalls die Verhandlungsposition der anderen Regionen in Europa, die mehr Eigenständigkeit für sich erreichen wollen, deutlich gestärkt.


Die Stärkung der Verhandlungsposition ergibt sich alleine schon aus der Tatsache, dass es in Schottland überhaupt ein Referendum gab. Ganz unabhängig vom Ausgang.

Die Katalanen können jetzt darauf verweisen, dass es in Schottland ein Referendum gab. Spanien fällt es nun schwer, den Katalanen ein solches zu verweigern.

Vielleicht spielt der Ausgang in Schottland den anderen Unabhängigkeitsbewegungen sogar in die Karten. Speziell dann, wenn das "Yes-Lager" die Niederlage eingesteht und in Zukunft pragmatisch und friedlich mit der Zentralregierung zusammenarbeitet.
Dann hatte das Referendum einen friedensstiftenden Effekt.
Womöglich würde dann auch Spanien zu dem Ergebnis kommen, dass ein Referendum gegenüber jahrzehntelangen Streit die bessere Lösung ist.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.09.2014 14:33
#5 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Es ist interessant, sich einmal die Einzelergebnisse genauer anzuschauen.
Keine Überraschung, daß sich die größte Ablehnung (solide zwei Drittel) an der Grenze zu England und auf den Orkneys/Shetlands findet. Aber daß auch Edinburgh und Umgebung eher skeptisch bleibt, hätte ich nicht umbedingt erwartet.

Umgekehrt liegt das Zentrum der Zustimmung in Glasgow und Umgebung. Und dann noch der Spitzenreiter Dundee (57% Ja) - umgeben von allgemeiner Ablehnung.

D.h. ein großer Teil der Unabhängigkeitsgegner findet sich ausgerechnet im Norden, der vielen als besonders "schottisch" gilt.

Meine Vermutung:
Das sind einerseits ökonomisch schwierigere Gebiete, da geht man nicht so locker wirtschaftliche Risiken ein wie im boomenden Glasgow.
Und entweder gibt es da noch historische Erinnerungen oder frische Erfahrungen mit der schottischen Selbstregierung: Sieht so aus, als wäre den Landbewohnern die Dominanz der Lowlander in den großen Städten nicht viel lieber als die der Londoner.

Schottland ist eben ein Land der Gegensätze, die Landesteile mögen sich nicht unbedingt sehr herzlich.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.09.2014 14:35
#6 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #3
Was jetzt in GB zu mehr Föderalismus führt, war ja nicht so gewollt.

Richtig.
Aber das ist oft so. Maxeiner und Miersch haben darüber sogar mal ein Buch geschrieben.

Zitat
Kann denn ein Zentralstaat nur begrenzt oder zurückgebaut werden, wenn glaubhaft mit Abspaltung gedroht wird?


Eine gute Frage. In vielen Fällen dürfte es tatsächlich sinnvoll sein, die Option Abspaltung auf den Tisch zu legen, um Druck zu machen.
Aber nur in wenigen Fällen dürfte die Lage so aussichtslos sein, daß man diese Option wirklich nutzen sollte.

Florian Offline



Beiträge: 3.136

19.09.2014 14:41
#7 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #5
Es ist interessant, sich einmal die Einzelergebnisse genauer anzuschauen.
(...) D.h. ein großer Teil der Unabhängigkeitsgegner findet sich ausgerechnet im Norden, der vielen als besonders "schottisch" gilt.



Dass gerade die Highlander mehrheitlich für die Union gestimmt haben, gibt dem Abstimmungsergebnis ja noch eine ganz besondere Legitimation (würde ich als Außenstehender vermuten).

Historisch war - wenn ich meinem Hollywood-infizierten Halbwissen glauben darf - der Widerstand gegen die Union mit England ja auch speziell von den Highlands getragen. Während die merkantile Klasse in den Lowlands eher die wirtschaftlichen Vorteile der Union sahen.
Auf jeden Fall hat die emotionale Teil der "Yes-Kampagne" diese historische Highland-Komponente ja durchaus bemüht.

Ganz unabhängig von den nackten Zahlen verliert das emotionale Yes-Argument schon an Gewicht, wenn es eher von den Städtern in Glasgow getragen wird als von den Highlandern.

Das könnte in den kommenden Jahren noch wichtig werden, falls das "Yes-Lager" irgendwann einen neuen Anlauf starten sollte.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.09.2014 14:44
#8 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #4
Die Katalanen können jetzt darauf verweisen, dass es in Schottland ein Referendum gab.

Können sie nicht nur, haben sie schon sehr vehement.
Und ich glaube nicht, daß den Zentralspaniern die Verweigerung nun schwerer fällt als vorher.

Zitat
Vielleicht spielt der Ausgang in Schottland den anderen Unabhängigkeitsbewegungen sogar in die Karten.


Das glaube ich nicht. Bei einem knappen Ergebnis wäre das wohl der Fall gewesen.
Aber der jetzige Ausgang ist eine ziemlich kalte Dusche, auch eher unerwartet. Die SNP hatte ja mit ihrem letzten Wahlerfolg ihren absoluten Gipfel - und es besteht jetzt die große Gefahr, das sie weitgehend zerbröselt. Salmond ist schwer angekratzt, viele der Hardcore-Anhänger haben sich verausgabt, und werden sich nun frustriert zurückziehen.
Und jetzt kommen wieder die ganzen politischen Alltagsprobleme zu Vorschein, von denen die SNP mit der Zuspitzung aufs Referendum so schön ablenken konnte.

Zitat
Dann hatte das Referendum einen friedensstiftenden Effekt.


Das wird es in GB haben - aber die meisten Unabhängigkeitsbewegungen arbeiten ja nicht auf so einen Effekt hin. Sondern die wollen erst zuspitzen, und dann gewinnen. Eine friedliche Verhandlung mit der Zentralregierung ist nichts, womit man Massen mobilisieren könnte.

Zitat
Womöglich würde dann auch Spanien zu dem Ergebnis kommen, dass ein Referendum gegenüber jahrzehntelangen Streit die bessere Lösung ist.


Es wäre ein hohes Risiko.
Ich glaube zwar, daß angesichts der hohen Zahl von Nicht-Katalanen die Mehrheit in Katalonien ähnlich ausfallen könnte. Andererseits gibt es dort nicht die wirtschaftliche Unsicherheit. Denn die Transfers gehen dort von der Region zur Zentrale, das war in Schottland umgekehrt.
Außerdem ist Schottland eine geographisch klar definierte Einheit. Das ist die Verwaltungsregion Katalonien eigentlich nicht - wenn ein Referendum für die Unabhängigkeit ausginge, gäbe das beliebig viele nachfolgende Grenz- und Irredenta-Probleme.

Und gleich hinter Katalonien kommt das Baskenland. Da gibt es genau die gleichen Probleme, nur noch viel ausgeprägter.

Erling Plaethe Offline




Beiträge: 4.660

19.09.2014 14:44
#9 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #6
Zitat von Erling Plaethe im Beitrag #3
Was jetzt in GB zu mehr Föderalismus führt, war ja nicht so gewollt.

Richtig.
Aber das ist oft so. Maxeiner und Miersch haben darüber sogar mal ein Buch geschrieben.

Zitat
Kann denn ein Zentralstaat nur begrenzt oder zurückgebaut werden, wenn glaubhaft mit Abspaltung gedroht wird?

Eine gute Frage. In vielen Fällen dürfte es tatsächlich sinnvoll sein, die Option Abspaltung auf den Tisch zu legen, um Druck zu machen.
Aber nur in wenigen Fällen dürfte die Lage so aussichtslos sein, daß man diese Option wirklich nutzen sollte.


Man würde sie ja gar nicht nutzen wollen. Meine Frage geht dahin, wie man zu mehr Föderalismus gegen den Zentralstaat kommt.
Da wäre es ja eine Niederlage wenn das Druckmittel seine volle Wirkung tatsächlich entfaltet.
Das ist auch der Unterschied zum Mephisto-Prinzip (großartiges Buch, hab's gelesen).

Viele Grüße, Erling Plaethe

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.09.2014 14:59
#10 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #7
Dass gerade die Highlander mehrheitlich für die Union gestimmt haben, ...

Haben sie. Aber ich habe bewußt vom "Norden" gesprochen, um Mißverständnisse zu vermeiden.
Denn die "Highlands" genannte Abstimmungsregion hat zwar für die Union gestimmt, aber mit eher schwachem Ergebnis.
Sehr klar dagegen Regionen wie Moray, Argyll, Kinross, Angus, die geographisch auch zu den Highlands gehören.

Zitat
Historisch war - wenn ich meinem Hollywood-infizierten Halbwissen glauben darf - der Widerstand gegen die Union mit England ja auch speziell von den Highlands getragen.


Nicht unbedingt. Der Eindruck kommt tatsächlich aus Filmen, wo Schotten jeder Herkunft mit Kilt und Tartan rumlaufen.

Das klassische Zentrum Schottlands, mit dem meisten Widerstand gegen England, waren sehr wohl die Lowlands. Robert the Bruce und William Wallace waren Lowlander. Insofern paßt das gestrige Ergebnis historisch recht gut.

Die Highlands kommen erst später in den Fokus, mit den Stuart'schen Restaurationsversuchen. "Bonny Price Charlie" stützte sich auf einige Highlander-Clans. Teilweise aus religiösen Gründen (die Lowlands waren sehr anti-katholisch), teilweise hatten die halt als rustikale Landbewohner den Zug der Zeit noch nicht mitbekommen ;-)
Andere Highland-Clans (bekannt die Campbells) waren auf der Gegenseite.

Zitat
Auf jeden Fall hat die emotionale Teil der "Yes-Kampagne" diese historische Highland-Komponente ja durchaus bemüht.


Richtig. Und ich stimme zu: Das nimmt Widerholungsversuchen weitgehend die emotionale Basis.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.09.2014 17:53
#11 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Man kann das Abstimmungsergebnis natürlich auch so interpretieren.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.09.2014 17:58
#12 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #11
Man kann das Abstimmungsergebnis natürlich auch so interpretieren.


Es ist wirklich nicht zu fassen.
Auf der verlinkten Seite stehen noch eine Reihe weiterer Satire-Meldungen.
"Tom Wiese droht jedem mit Dropkick, der behauptet, er wolle Wrestler werden".
"Zur Bekämpfung von Ebola: Bundesregierung liefert Waffen nach Westafrika".
"Rekord. Sportwagenfahrer schafft Blitzmarathon (42x geblitzt werden) in unter zwei Stunden".

Und harmlos darunter gemischt:
"Kreative Lieder rund um den Klimaschutz gesucht".

Satire und Realität lassen sich nicht mehr auseinanderhalten.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.09.2014 18:09
#13 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #8
Salmond ist schwer angekratzt, ...

Und auch schon zurückgetreten!
Was natürlich seine Kollegen von den anderen Unabhängigkeitsbestrebungen nicht begeistern wird. Und die deutschen Medien sahen ihn heute morgen noch als den großen Gewinner ;-)

Auch sonst geht es flott voran mit der Entwicklung, meine Prognose scheint nicht so schlecht gewesen zu sein:
Mehr Rechte für Schottland, deswegen auch mehr Rechte für Wales und Nordirland - und dann endlich auch für die Engländer. Verbunden mit einer England-internen Föderalisierung, insbesondere für die Kommunen.

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

20.09.2014 16:52
#14 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Eine kleine Beckmesserei zum Artikel:

Zitat von R.A.
Denn die "Devolution" genannte Föderalisierung im Vereinigten Königreich erfolgte seltsam unsymmetrisch: ...


In der Sache gebe ich Ihnen vollkommen recht, aber "Föderalisierung" war die Devolution bisher eben gerade keine. Die Devolution bedeutet, daß früher (von London aus gesehen) abgelegene und historisch unenglische Teile des Vereinigten Königreichs (unter denen Schottland mit seinen eigenen Gesetzen schon seit jeher eine Sonderstellung einnahm) nun in etwa wie Kolonien mit einer teilweisen Selbstverwaltung versehen wurden. Darin liegt eben die Asymmetrie und Londonzentriertheit der Konstruktion.

Durch die interessante Quadrille von Cameron, Miliband & Co im Endspurt des Referendums-Wahlkampfs, bei der die No-Kampagne, ursprünglich einfach eine Ablehnung des Unabhängigkeitsansinnens, plötzlich mit dem Versprechen weiterer Autonomie angereichert wurde und, nach Abschluß der Abstimmung, die Sache so hingedreht wurde, daß vernünftigerweise dann, wenn Schottland nun mehr Rechte bekommt, entsprechendes auch für Wales, Nordirland und England gelten müsse - mir erscheint das übrigens schlüssig -, kommt die Frage der Föderalisierung nach der Ablehnung der Unabhängigkeit Schottlands aus heiterem Himmel auf den Tisch.
Das ist einerseits gut so, weil die Asymmetrie, die Sie ansprechen, irgendwann einmal zur Sprache gebracht werden muß, also warum nicht jetzt; andererseits hat es kuriose Nebeneffekte:

Die Schotten, die mehr Rechte für sich haben wollten, finden sich auf einmal als verfassungsrechtliche Steigbügelhalter für ihre ungeliebten Nachbarn in England und die ignorierten Waliser wieder.

Und letztere, die Waliser, werden voraussichtlich wie die Jungfrau zum Kind zu einer größeren Autonomie kommen, die sie (außer den paar Hardlinern von Plaid Cymru) gar nicht gefordert oder gewünscht haben und zu der sie keiner befragt hat.



Who is General Failure and why is he Reading my Disk?

Fluminist Offline




Beiträge: 2.015

20.09.2014 17:32
#15 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #13
Zitat von R.A. im Beitrag #8
Salmond ist schwer angekratzt, ...

Und auch schon zurückgetreten!

Das war nicht so sehr überraschend, schließlich war das Referendum und Unabhängigkeit sein wichtigster Programmpunkt. Für die Schotten wird sich deswegen aber zunächst nicht viel ändern:

Zitat von BBC-News
Deputy first minister Nicola Sturgeon is favourite to take over from Alex Salmond



Who is General Failure and why is he Reading my Disk?

Florian Offline



Beiträge: 3.136

20.09.2014 20:17
#16 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Fluminist im Beitrag #14
(...) abgelegene und historisch unenglische Teile des Vereinigten Königreichs (unter denen Schottland mit seinen eigenen Gesetzen schon seit jeher eine Sonderstellung einnahm) (...)


Mit dieser Aussage zu den seit jeher eigenen schottischen Gesetzen haben Sie sicher recht.
(z.B. ist in den Jane Austen Romanen aus dem frühen 19. Jahrhundert ein wichtiges Handlungselement, dass die schottischen Ehe- und Scheidungsgesetze von den englischen abweichen. Daher reisen immer wieder Romanfiguren nach Schottland, um dort ihre Angelegenheiten auf eine Weise zu lösen, wie es in England nicht möglich wäre).

Nun aber eine Verständnisfrage:
Wie kamen diese abweichenden Gesetze eigentlich zustande? Es gab ja früher gar kein eigenes schottisches Parlament, das diese erlassen konnte.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

20.09.2014 23:53
#17 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #16
Zitat von Fluminist im Beitrag #14
(...) abgelegene und historisch unenglische Teile des Vereinigten Königreichs (unter denen Schottland mit seinen eigenen Gesetzen schon seit jeher eine Sonderstellung einnahm) (...)


Mit dieser Aussage zu den seit jeher eigenen schottischen Gesetzen haben Sie sicher recht.
(z.B. ist in den Jane Austen Romanen aus dem frühen 19. Jahrhundert ein wichtiges Handlungselement, dass die schottischen Ehe- und Scheidungsgesetze von den englischen abweichen. Daher reisen immer wieder Romanfiguren nach Schottland, um dort ihre Angelegenheiten auf eine Weise zu lösen, wie es in England nicht möglich wäre).

Nun aber eine Verständnisfrage:
Wie kamen diese abweichenden Gesetze eigentlich zustande? Es gab ja früher gar kein eigenes schottisches Parlament, das diese erlassen konnte.



Sie stammen aus der Zeit vor dem Act of Union und Gesetze des Westminsterparlaments, die das Recht im restlichen Königreich änderten, haben häufig das schottische Recht explizit unangetastet gelassen, aus Respekt vor der schottischen Tradition. Im Act of Union wird Schottland auch seine eigene Rechtsordnung explizit zugesichert, dieses Gentlemen’s Agreement war Voraussetzung für die Vereinigung.

______________________________________________________________________________

“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.554

21.09.2014 00:21
#18 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Techniknörgler im Beitrag #17
Im Act of Union wird Schottland auch seine eigene Rechtsordnung explizit zugesichert, dieses Gentlemen’s Agreement war Voraussetzung für die Vereinigung.


Gretna Green dürfte heute noch 1 Begriff sein. Die spezielle Regelung durch den Hardwicke Marriage Act von 1753 zustande, dessen Bestimmungen in Schottland nicht galten - und nicht für alle englischen Bürger:

http://en.wikipedia.org/wiki/Marriage_Act_1753:
"Nor did the Act apply to members of the British Royal Family. Indeed, members of the Royal Family have been consistently exempted from all general legislation relating to marriage since this date, which is why doubts were expressed in 2005 about the ability of Prince Charles to marry Camilla Parker-Bowles in a civil ceremony,[7] civil marriage being the creation of statute law.[8]"

TF Offline



Beiträge: 281

21.09.2014 20:33
#19 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zunächst ist das Erstaunen von R.A. darüber, warum ausgerechnet Liberale und Libertäre oder Leute, die sich dafür halten, vollkommen berechtigt. Labour hat bei den letzten 15 (!) Westminster-Wahlen immer die absolute Mehrheit in Schottland geholt, zumindest nach Sitzen.

Es gibt kaum einen Zusammenhang zwischen den bisherigen SNP Resultaten und dem Abstimmungsergebnis. Der Nordosten ist z. B. die absolute SNP-Hochburg, der Ja-Anteil war da aber nur durchschnittlich (deutliche Ja-Mehrheit in Dundee, was aber ausgeglichen wird durch eine überdurchschnittliche Nein-Mehrheit im Rest der Gegend). In Glasgow dagegen ist die SNP unterdurchschnittlich, hier stimmte aber die Mehheit mit Ja. Einen sehr klaren positiven Zusammenhang gibt es aber zwischen Labour und dem Ja-Anteil und das ist logisch, eben weil ein unabhängiges Schottland sozialistisch dominiert wäre.

Föderalistisch ist GB nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht werden wegen der Parlamentssouveränität. Das (nationale) Parlament ist der Souverän und entscheidet grundsätzlich alles. Es können zwar Aufgaben an Kommunen oder z. B. Schottland delegiert werden, was aber jederzeit rückgängig gemacht werden kann mit einfacher Mehrheit im Parlament. Das ist nicht nur Theorie. Nordirland hatte bis 1972 ein halbes Jahrhundert eine Regionalregierung, die dann kurzerhand abgeschafft wurde. Die ungeschriebene Verfassung schließt jeden Föderalismus aus.

Hausmann Offline



Beiträge: 710

22.09.2014 01:53
#20 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zumindest bei der Stimmauszählung wurde übrigens äußerst plump (vor laufender Kamera) und vermutlich auch massiv betrogen - wenn das Honecker noch erlebt hätte.

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.260

22.09.2014 01:59
#21 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Hausmann im Beitrag #20
Zumindest bei der Stimmauszählung wurde übrigens äußerst plump (vor laufender Kamera) und vermutlich auch massiv betrogen - wenn das Honecker noch erlebt hätte.


Kleinere Unstimmigkeiten sind völlig normal. Es gibt keine "100% saubere Wahl" weil Menschen nun mal so sind, wie sie sind. Selbst eine Wahlprüfungskommission zuckt nur mit den Schultern, wenn irgendwo eine Hausfrau ertappt wird, die zweimal abgestimmt hat. So lange solche kleinen Betrügereien gleichmäßig alle Parteien bevorteilen und damit keinen Einfluss auf den Wahlausgang haben konnten, ist das völlig OK.

Der Abstand der Einheitsbefürworter ist so groß, dass die andere Fraktion sofort ihre Wahlniederlage eingestanden hat. Selbst 10.000 gefälschte Stimmen würden daran keinen Unterschied machen.

___________________
Kommunismus mordet.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

22.09.2014 14:46
#22 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von TF im Beitrag #19
Föderalistisch ist GB nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht werden wegen der Parlamentssouveränität.

Da sehe ich kein echtes Problem.

Natürlich ist richtig, daß theoretisch alle föderalistischen Ansätze vom Parlament wieder gestrichen werden könnten. Aber für die Praxis spielt das eigentlich keine Rolle: Wenn Regionen und Kommunen mehr Rechte bekommen, entwickelt sich ein föderalistisches System, mit allen seinen Vorteilen (und einigen Nachteilen).

Umgekehrt ist der Föderalismus ja in Deutschland prominent im GG geschützt.
Was aber nicht dagegen geholfen hat, daß de facto immer stärker zentralisiert wurde und die Länder fast nur noch Büttel für den Bund spielen können.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

22.09.2014 14:50
#23 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von Hausmann im Beitrag #20
Zumindest bei der Stimmauszählung wurde übrigens äußerst plump (vor laufender Kamera) und vermutlich auch massiv betrogen ...

Sind damit die im Internet kursierenden Videos gemeint, in dem in einem Wahllokal North Lanarkshire ein Stapel mit "Yes"-Stimmen auf dem Tisch mit Schild "No" liegt?

Das beweist natürlich überhaupt nicht, daß es "Wahlbetrug" gab.
Relevant sind nur die Zahlen, die als Ergebnis festgestellt und der Zentrale übermittelt wurden. Ob die Stapel am Wahlabend mal zeitweise irgendwo falsch abgelegt wurden, ist dabei unerheblich.

Und da gerade für North Lanarkshire eine weit überdurchschnittliche "Yes"-Stimmen-Anzahl gemeldet wurde ist sehr unwahrscheinlich, daß dort falsch "No"-Stimmen gezählt worden wären.

Generell wird es so gewesen sein, daß den ganzen Wahlabend hindurch Vertreter beider Lager in jedem Wahllokal präsent waren und die Auszählung beobachtet haben. Ein Wahlbetrug ist damit völlig unwahrscheinlich.

Techniknörgler Offline



Beiträge: 2.738

23.09.2014 22:24
#24 RE: Zurück nach West Lothian Antworten

Zitat von TF im Beitrag #19
Zunächst ist das Erstaunen von R.A. darüber, warum ausgerechnet Liberale und Libertäre oder Leute, die sich dafür halten, vollkommen berechtigt. Labour hat bei den letzten 15 (!) Westminster-Wahlen immer die absolute Mehrheit in Schottland geholt, zumindest nach Sitzen.

Es gibt kaum einen Zusammenhang zwischen den bisherigen SNP Resultaten und dem Abstimmungsergebnis. Der Nordosten ist z. B. die absolute SNP-Hochburg, der Ja-Anteil war da aber nur durchschnittlich (deutliche Ja-Mehrheit in Dundee, was aber ausgeglichen wird durch eine überdurchschnittliche Nein-Mehrheit im Rest der Gegend). In Glasgow dagegen ist die SNP unterdurchschnittlich, hier stimmte aber die Mehheit mit Ja. Einen sehr klaren positiven Zusammenhang gibt es aber zwischen Labour und dem Ja-Anteil und das ist logisch, eben weil ein unabhängiges Schottland sozialistisch dominiert wäre.

Föderalistisch ist GB nicht und wird es wahrscheinlich auch nicht werden wegen der Parlamentssouveränität. Das (nationale) Parlament ist der Souverän und entscheidet grundsätzlich alles. Es können zwar Aufgaben an Kommunen oder z. B. Schottland delegiert werden, was aber jederzeit rückgängig gemacht werden kann mit einfacher Mehrheit im Parlament. Das ist nicht nur Theorie. Nordirland hatte bis 1972 ein halbes Jahrhundert eine Regionalregierung, die dann kurzerhand abgeschafft wurde. Die ungeschriebene Verfassung schließt jeden Föderalismus aus.



Grundsätzlich haben Sie de-jure Recht. Sie sollten in einem solchen traditionellen, mit einer erwachsenen politischen Kultur ausgestattetem System mit einer ungeschriebenen Verfassung allerdings nicht die Rolle von Verfassungskonventionen und ungeschriebenen Vereinbarungen, die neue Verfassungskonventionen erzeugen können, ignorieren. Gerade da es nicht möglich ist, eine Verfassungskonvention einzuklagen, müssen alle Beteiligten große Vorsicht walten lassen, um das System nicht in einer Verfassungskrise zu stürzen. Sollte jemand dazu nicht bereit sein und sich wie ein Trampel im Porzellanladen aufführen, dann weiß man direkt, wem man keine politische Macht geben darf und wessen Motiven man evt. auch nicht trauen darf. Anders in einem System mit eine geschriebenen Verfassung, in dem dazu das Recht auch noch als etwas geradezu technisch-präzises Interpretiert wird oder zumindest in der Idealvorstellung ist: Da poche ich auf meinem Recht und Versuche selbstbewusst mit von einem Gericht bestätigen zu lassen, das ich auch tatsächlich recht habe und mein (politischer) Gegner komplett falsch liegt. Damit muss ich auch nicht mehr auf den dahinter stehenden Geist der fraglichen Regelung oder ihren Kontext in der aktuellen Gesamtlage Rücksicht nehmen und auch jede weitere Legitimationssuche erübrigt sich.

(Einschub: Dies soll keine Rechtfertigung für das unter amerikanischen Linken beliebte Konzept der "living constitution" sein, bei dem es darum geht Wünsche in vollkommen an den Haaren herbei gezogener Weise in eine geschriebene Verfassung hinein zu dichten, in dem man behauptet die Bedeutung der geschriebenen Verfassungsbestimmungen habe sich auf nicht näher erläuterbare Weise durch "gesellschaftlichen Fortschritt" geändert, wobei dieser Fortschritt jedoch nicht von einem unmittelbar demokratisch auf Zeit gewählten Legislativorgan, sondern von auf Lebenszeit ernannten Richtern postuliert wird, die sich in ihrer eigenen politischen und gesellschaftlichen Filterbubble aufhalten und sich dabei für die verkörperte Manifestation eines angeblich objektiven gesellschaftlichen Fortschritts halten.)

Im übrigen gäbe es noch die Möglichkeit Änderungen eines Kompetenzen an Regionalparlamente delegierenden Gesetzes aus dem Anwendungsbereich des Parliament Acts explizit auszunehmen. Dieser besagt, dass Parlamentsgesetze auch ohne die Zustimmung des House of Lords erlassen werden können, wenn dieses ein Jahr lang (urpsrünglich: zwei Jahre lang) nach Übermittlung des Gesetzes zur Beratung an das House of Lords nicht von ihm beschlossen wurde. Es reicht dann ein weiterer Beschluss des House of Commens und der Royal Consent. Es gibt von dem Gesetz aber bereits heute Ausnahmen: Gesetze, welche die Legislaturperiode des House of Commens verlängern, können nicht unter dem Parliament Act erlassen werden. Es wäre theoretisch möglich Gesetze in de-facto in einen etwas höheren Rang zu heben (was auch eine interessante Symbolwirkung hätte) in dem ihre Änderung ebenfalls vom Parliament Act ausgenommen wird.

In Kombination mit einer Reform des House of Lords könnte dies einen de-facto Föderalismus ermöglichen ohne die ungeschriebene Verfassung zu ändern. Beispielsweise könnten in das House of Lords zukünftig aus jedem Land eine gleich große Anzahl x an Lords direkt vom Volk oder vom jeweiligen Parlament gewählt werden, die dann von der Queen auf Lebenszeit ernannt werden könnten. Bleibt noch die Frage, wer abschließen entscheiden soll ob eine Gesetzesänderung nach dem Parliament Act zulässig ist und ob eine solche Entscheidung vor dem Royal Consent verbindlich erfolgen sollte oder auch (oder: nur?) nachträglich. In ersterem Fall würde sich die Einrichtung eines "constitutional committee" im privy council anbieten, welche die Königen "berät" ob Sie ihren Royal Consent zu einem Gesetz nach dem Parliament Act geben sollte. Dieses könnte dann auf Vorschlag des House of Lords ernannt werden. Für nachträgliche Einschätzungen böte sich dann die Reaktivierung des House of Lords als oberstes Gericht des Königreiches an. Eine nachträgliche Beurteilung von Außerhalb des Parlamentes kommt für solche Gesetze eher nicht in betracht, da die Gesetze gemäß Parliament Act als vollwertige Parlamentsgesetze zu gelten haben. Ein externes Gericht darüber entscheiden zu lassen, passt dann nicht in die Systematik der unabänderabren Teile der ungeschriebenen Verfassung (Parlamentssouveränität).

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“Being right too soon is socially unacceptable.”
― Robert A. Heinlein

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