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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 53 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Seiten 1 | 2 | 3
Llarian Offline



Beiträge: 6.905

17.04.2017 22:24
Streiflichter zur Türkei Antworten

Ein paar kleine Gedanken.

Daska Offline




Beiträge: 245

17.04.2017 23:15
#2 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Sehr plausible Gedanken, danke dafür.

Zitat
Das Werteverständnis der "türkischen Gemeinde" entspricht vor allem dem der anatolischen Gastarbeiter, die vor 40 Jahren in diesen Land kamen.


Von den sicherlich vielfältigen Gründen sind mir folgende zugänglich:
1) "Familienzusammenführung" in der zweiten Generation: Ich meine damit den Umstand, dass hier geborene Türkinnen öfter einen nachziehenden Partner aus dem Mutterland ehelichen, sodass immer einer da ist, der die alten Werte aus der Heimat mitbringt.
2) Austausch der Imame alle zwei Jahre, bevor einer sich hier integrieren kann, wird er durch einen anderen, heimattreuen aus der Türkei ausgetauscht.
Ich kann das nicht mit Statistiken belegen, habe es aber in meinem Beruf so erlebt.
3) Der Umstand, dass die "türkische Gemeinde" eben in der Diaspora wohnt. Und mich bitte korrigieren, wenn ich mich irre, ich will niemnandem zu nahe treten: Die deutschen Vertriebenen hier im Land, singen auf ihren Treffen ja auch Voilkslieder, die vielleicht "damals" in der Heimat gesungen wurden, die aber kein anderer deutscher Zeitgenosse überhaupt noch kennt. Warum sollte das bei den Anatolen anders sein, hier halt nicht in Bezug auf Lieder sondern auf Werte?
Und mal kritisch an uns Deutsche gefragt: Wenn ich mal von den offiziösen Integrationsmaßnahmen absehe: Wer hat den in den letzten 30, 40 Jahren freundschaftlichen Kontakt zu dem türkischen Gemüsehändler oder zum anatolischen Getränkemann um die Ecke gesucht? Darunter gibt es echte Perlen. Ich weiß, dass eine Anekdote kein Argument darstellt, deshalb mag ich es nicht ausfalten, aber ich glaube, dass manche misslungene Integration auch auf "unser" Konto geht

AldiOn Offline




Beiträge: 983

18.04.2017 00:48
#3 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Diese 63% sind im übrigen nur ein Teil der Wahrheit. Tatsächlich gibt es mit den Kurden und Aleviten sowohl in der Türkei als auch hier recht große Bevölkerungsteile, die gar nicht mit "ja" stimmen konnten, da sie ja von den islamistischen Mehrheitstürken diskriminiert und verfolgt werden. Man kann also davon ausgehen, daß diejenigen die nicht zu irgendwelchen Minderheiten gehören fast geschlossen für Erdogan stimmten.

Und wahlkampftaktisch war es offenbar richtig mit dem Hitlervergleichgetöse die hier lebenden Türken an die Urnen zu hetzen. Wenn man so will haben die hier lebenden Wahlberechtigten den Ausschlag für den Erfolg Erdogans gegeben.

__________________________________________
Wegen der aktuellen Krise werde ich fortan Krimsekt, russischen Kaviar, russische Puppen, russische Eier und Boeuf Stroganoff boykottieren

Llarian Offline



Beiträge: 6.905

18.04.2017 00:58
#4 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von Daska im Beitrag #2
3) Der Umstand, dass die "türkische Gemeinde" eben in der Diaspora wohnt. Und mich bitte korrigieren, wenn ich mich irre, ich will niemnandem zu nahe treten: Die deutschen Vertriebenen hier im Land, singen auf ihren Treffen ja auch Voilkslieder, die vielleicht "damals" in der Heimat gesungen wurden, die aber kein anderer deutscher Zeitgenosse überhaupt noch kennt. Warum sollte das bei den Anatolen anders sein, hier halt nicht in Bezug auf Lieder sondern auf Werte?

Da gibt es aber schon ein paar kleine Unterschiede, liebe(r) Daska. Der ganze Vertriebenenkram ist im Wesentlichen nur noch Folklore. Da gibt es weder ernstzunehmende Gebietsansprüche noch sonst echten politischen Druck mehr. Und kein Vertriebener will nach Polen zurück. Das wäre vergleichbar damit, dass ein eingewanderter Türke auch nach nach 40 Jahren immer noch ein Fan von Galatasaray Istanbul ist und anatolische Musik hört. Aber ein guter Teil der "türkischen Gemeinde" (und so wie es aussieht eher ein gewaltiger) lebt immer noch in der Diasproa und hat auch vor, dass weiterhin zu tun.

Zitat
Und mal kritisch an uns Deutsche gefragt: Wenn ich mal von den offiziösen Integrationsmaßnahmen absehe: Wer hat den in den letzten 30, 40 Jahren freundschaftlichen Kontakt zu dem türkischen Gemüsehändler oder zum anatolischen Getränkemann um die Ecke gesucht?


Und wieviel Freundschaft haben Sie zu ihrem deutschen Buchhändler und zu ihrem polnischen Heizungsinstallateur gesucht? Ich finde das eine reichlich(!) künstliche Fragestellung. Mit meiner türkischen Kollegin komme ich gut zurecht und in meiner Zeit im Studentenwohnheim habe ich auch mit dem einen oder anderen Türken ein Bier gehoben. Das ergibt sich oder es ergibt sich nicht, und ich wüsste nicht, dass es eine Pflicht gäbe sich zur Verbesserung der Integration explizit türkische Freunde zu suchen.

Zitat
Ich weiß, dass eine Anekdote kein Argument darstellt, deshalb mag ich es nicht ausfalten, aber ich glaube, dass manche misslungene Integration auch auf "unser" Konto geht


Das glaube ich nun widerum gar nicht und würde sogar so weit gehen diese Argumentation nicht nur abzulehnen, sondern rundheraus als eine Mitursache des ganzen Problems zu sehen. Integration ist eine Leistung und Pflicht, die vom Zuwanderer und nur von ihm ausgeht. Wenn ich mich in eine aufnehmende Gesellschaft integrieren will, dann tu ich das ganz bewusst, indem ich mich den Einheimischen anpasse. Und dann geht das auch ziemlich gut. Im Ruhrgebiet leben hunderttausende (wenn nicht mehr) direkte Nachfahren polnischer Zuwanderer. Ein "ski" am Ende des Namens ist derart verbreitet, dass es nicht einmal als ursprünglich ausländisch wahrgenommen wird. Und gibt es da ein Integrationsproblem? Nein, nicht im Ansatz(!). Menschen (und die Deutschen sind da keine Ausnahme) sind soziale Wesen. Wer gemeinsame Aktivitäten teilt, entwickelt auch Freundschaften. Sei es im Sportverein, in der Kneipe, bei der Kinderbetreuung oder auch beim Nachbarschaftsfest. Aber es setzt vorraus, dass ich mich selber einbringe. Wenn ich natürlich keinen Sport treibe, eine Kneipe nicht betrete, meine Kinder nur unter anderen "Zuwanderern" betreue und keinen Grund sehe auf ein Nachbarschaftsfest zu kommen, stattdessen in "meinen" Tempel renne und mir ansonsten hemisches Satellitenfernsehen ansehe, dann bleibe ich isoliert. Und keine "Willkommenskultur" ändert daran etwas. Das Problem ist, dass man den Zuwanderern nicht klar macht, dass Integration eine Leistung ist, die sie erbringen müssen(!). Und das die deutsche Staatsbürgerschaft (und auch das Aufenthaltsrecht was das angeht) ein Privileg und kein alter Lappen ist.
Simples Beispiel: Wenn ich in die Schweiz einwandern will, und zwar nicht im Sinne einer Aufenthaltserlaubnis, sondern wenn ich Schwezer Staatsbürger werden will, dann geht das über die Gemeinde. Aber die müssen ja sagen. Wozu sie nicht verpflichtet sind. Es gibt durchaus Beispiele von Leuten, die mit großer Klappe dahin gefahren sind und einen auf reichen Deutschen gemacht haben, und dann mit Anlauf auf die Schnauze gefallen sind, weil die Gemeinde dann doch keine Lust hatte. Das passiert natürlich nicht, wenn ich mich einbringe, die lokale Sprache lerne und etwas beitrage.

Daska Offline




Beiträge: 245

18.04.2017 08:11
#5 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Ihre Argumentation gefällt mir, lieber Llarian, dem habe ich nichts entgegenzusetzen.

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.256

18.04.2017 09:04
#6 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Ich hatte vor vielen Jahren dazu mal einen längeren Beitrag geschrieben, der sich auf eine von der FDP angeschobene Diskussion bezog: die Einforderung der Anerkennung und Verinnerlichung der "FDGO" bei Einwanderern. Ja, eine solche FDP gab es mal....

Es gab vier Kriterien Deutschlands in der Bonner Republik:

- Freiheitlich
- Rechtsstaatlich
- Demokratisch (ohne jetzt auf dem Mangel an direktdemokratischen Elementen rumzureiten)
- Sozial

Es handelt sich um Elemente, die sich jeweils teilweise gegenseitig ausschließen und nur über ein Geflecht von Gewaltenteilung und Justierung funktionieren konnte. Keines dieser Elemente kann gestrichen werden, ohne Deutschland fundamental zu verändern.

Die obigen Elemente sind kodifiziert. Der Vollständigkeit halber kann man noch ein weiteres gesellschaftliches (=informelles) Element nennen: das Vertrauen in staatliche Konfliktlösungsprozesse. Also kaum Faustrecht, Blutfehden, Clan-beherrschte Gebiete usw.

Diese 5 Elemente in Summe: das war Deutschland bis zur Jahrtausendwende. Unwiederbringlich verloren.

___________________
Kommunismus mordet.
Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.04.2017 10:09
#7 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat
Es kam, wie es kommen musste ...


Und das kann man wohl durchaus wörtlich nehmen. Soll heißen: Ein solches Abstimmungsergebnis war zu erwarten, völlig unabhängig davon, was die Türken in die Wahlurnen werfen. Ich persönlich glaube nicht daran, daß diese Abstimmung korrekt ausgezählt wurde oder daß Erdogan eine Niederlage akzeptiert hätte.
Richtig ist auf jeden Fall, daß die Türkei ein gespaltenes Land ist und je etwa die Hälft für und gegen Erdogan ist. Die genaue Mehrheit ist dagegen offen.

Zitat
Das dahinterliegende Problem ist die gerade in der deutschen Diskussion gerne gesehene Gleichsetzung zwischen Demokratie und Rechtsstaat.


Völlig richtig.
Wenn man sich mal die konkreten Abstimmungspunkte durchliest, dann scheinen die auf den ersten Blick gar nicht so skandalös. Etwas mehr Macht für den Präsidenten schon, aber nichts was "Diktatur" bedeuten würde. Wären da nicht einige leicht zu übersehende Bestimmungen zur Besetzung von Richterstellen und ähnlichen Änderungen im Justizsystem. Genau hier sitzt die eigentliche Problematik.

Zitat
Der Beitrittsprozess zur EU war, ist und wird auch weiterhin eine Farce bleiben. Nun aber ausgerechnet dieses Referendum als Kronzeugen zu benennen hat schon was Albernes.


Nein. Bisher war "nur" der Präsident und seine Partei das Problem - und da kann jede Neuwahl die Lage ändern. Mit dem Referendum kommen faktische Beitrittshindernisse dazu.

Zitat
Ein Streiflicht, dass mit Sicherheit in der Konsequenz in den deutschen Medien nicht aufgegriffen wird, ist das Wahlverhalten der diversen Deutschtürken ...


Die Wette hättest Du verloren, denn die Medien haben sehr groß darüber berichtet. Wobei neben den Prozentzahlen die absoluten Zahlen wichtig sind.
Von etwa 3 Millionen Deutschtürken mit Wahlrecht hat noch etwa die Hälfte einen türkischen Paß. Von denen haben überhaupt nur 46% am Referendum teilgenommen (verglichen mit über 80% in der Türkei), und nur etwas über 400.000 haben für Erdogan gestimmt.

Das zeigt m. E. sehr gut die auch im praktischen Leben zu beobachtenden Unterschiede bei den Türken in Deutschland bzw. den Deutschen türkischer Herkunft.
Da gibt es die ganze Palette von kompletter Integrationsverweigerung (offenbar besonders stark in einigen Stadtteilen im Ruhrgebiet) und längst vollzogener Integration. Die einen stimmen für den "Reis", die anderen haben nur noch einen deutschen Paß und kümmern sich nicht mehr um das Land ihrer Großeltern.
Und natürlich gibt es noch diverse Leute dazwischen.

Zitat
Die kompletten "Integrationsbemühungen" der letzten 30 Jahre an dieser Gruppe sind nicht nur auf ganzer(!) Linie gescheitert, ...


Das ist deutlich falsch. Weder "komplett" noch "auf ganzer Linie", sondern gescheitert eben nur beim harten Kern. Was natürlich ein handfestes Problem ist, wir reden hier über mehr als eine halbe Million Leute. Und was die betrifft würde ich auch zustimmen, daß die meisten klassischen Integrationsmaßnahmen eher kontraproduktiv wirken, weil zu weich und zu wenig selbstbewußt.

Aber die große Mehrheit hat sich nicht nur von Erdogan, sondern von der Türkei insgesamt abgewandt. Sie haben zu einem großen Teil gar keinen türkischen Paß mehr, und wo sie ihn noch haben, haben sie sich dem Referendum verweigert.
Angesichts der aufgewühlten Diskussion im Vorfeld und der hohen Wahlbeteiligung in der Türkei sind die 54% Nichtwähler nicht die übliche "keine Lust"-Fraktion, sondern die haben sich m. E. bewußt dagegen entschieden, sich in die türkische Innenpolitik reinzuhängen. Wahrscheinlich haben die meisten von ihnen ihren türkischen Paß überhaupt nur noch, weil irgendwo noch ein Opa einen Acker zu vererben hat.

Zitat
4. Was bedeutet es eigentlich für Deutschland, wenn nun ein Land, mit dem man vorgeblich so "freundschaftlich" verbunden ist, in eine Demokratur abgleitet


Für Deutschland bedeutet das wohl relativ wenig. Wir sind es gewohnt mit Ländern umzugehen, deren politische Standards nicht den unseren entsprechen. Sowohl mit linken wie mit rechten oder islamistischen Regimes hat Deutschland traditionell gute Beziehungen gepflegt und vor allem natürlich Handel betrieben.
Ärgerlich wird es nur für Merkel, die speziell auf die türkische Regierung gesetzt hatte, um ihre hausgemachten Probleme im Flüchtlingsbereich einzugrenzen.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.04.2017 10:53
#8 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #7
Ich persönlich glaube nicht daran, daß diese Abstimmung korrekt ausgezählt wurde ...

Kleiner Nachtrag: Inzwischen heißt es, daß es 1,5 Millionen "ungültige" Stimmen gegeben hat. Wie schon bei der letzten Parlamentswahl im wesentlichen in Regionen, in denen die Opposition stark ist.

nachdenken_schmerzt_nicht Offline




Beiträge: 1.989

18.04.2017 15:08
#9 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von Ein paar Streiflichter
Das dahinterliegende Problem ist die gerade in der deutschen Diskussion gerne gesehene Gleichsetzung zwischen Demokratie und Rechtsstaat.

Wenn man den Rechtsstaat wenigsten in den gleichen Rang wie die Demokratie erheben würde, aber selbst davon sind die Deutschen noch weit entfernt.

Stellvertretend kann man sich hier noch einmal eine alte Sendung von Lanz (etwa ab Minute 11:00) anschauen, in der er "Rechtsstaatlichkeit als Begründung für Handeln" als armselig benennt.

Nach meiner persönlichen Erfahrung vergöttern die Deutschen die Demokratie, ohne zu verstehen was es ist und betrachten den Rechtsstaat als Zumutung, ohne zu verstehen, dass ihre Freiheit und ihr Wohlstand alleine auf ihm und seiner Funktionalität beruhen.

Frei abgewandelt nach dem 1. Korintherbrief Kapitel 13 gilt:
"Und wenn ich in Freiheit und Demokratie leben würde und hätte den Rechtsstaat nicht, so hätte ich nichts. [...] Nun aber bleibt Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, diese drei; aber der Rechtsstaat ist das größte unter ihnen."

Für den Deutschen ist die Demokratie nur deshalb so sakrosant, weil sie das legitime Werkzeug zur Unterdrückung von ungeliebten Minderheiten ist und der Rechtsstaat wird dehalb (gerne) verkannt, weil er dem (viel geliebten,) persönlichen moralisieren Schranken setzt.

Herzlich


nachdenken_schmerzt_nicht

"Dort, wo es keine sichtbaren Konflikte gibt, gibt es auch keine Freiheit." - Montesquieu

Florian Offline



Beiträge: 3.135

18.04.2017 15:29
#10 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #7

Wobei neben den Prozentzahlen die absoluten Zahlen wichtig sind.
Von etwa 3 Millionen Deutschtürken mit Wahlrecht hat noch etwa die Hälfte einen türkischen Paß. Von denen haben überhaupt nur 46% am Referendum teilgenommen (verglichen mit über 80% in der Türkei), und nur etwas über 400.000 haben für Erdogan gestimmt.



Vorab eine Frage:
Woher stammen die Zahlen? Ich konnte dazu nichts sinnvolles googeln.
(Und ich bin mir auch nicht sicher, ob Sie hier die Zahlen richtig interpretieren. Was genau verstehen Sie hier unter "Deutschtürken"? Ich würde darunter Personen mit deutschem Pass und türkischer Herkunft verstehen. Das wäre aber nicht die richtige Grundgesamtheit für die Analyse des Wahlverhaltens.
Der deutsche Pass wäre hier ja egal, die richtige Grundgesamtheit sind m.E. alle Personen mit (u.a.) türkischem Pass, die in Deutschland wohnen.)

Nun zum inhaltlichen:

Ok, richtig:
je besser eine türkisch-stämmige Person in Deutschland integriert ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie nur einen deutschen Pass hat. Und/oder dass sie sich für türkische Innenpolitik nicht mehr interessiert und daher erst gar nicht zum Wählen geht.
Es gibt hier also einen selection bias, der das Wahlergebnis zu einem Teil erklären kann.


Und auch richtig ist, dass die Diaspora meist konservativer ist als die Bevölkerung in der Heimat.
Zumindest bezogen auf die Zustände in der Heimat:
Man hat ein verklärtes Bild der alten Heimat, wie sie vor Jahrzehnten war, als man sie verlassen hat. Und hätte sich dieses Bild gerne erhalten.
Modernisierungen in der alten Heimat werden von der Diaspora daher meist deutlicher abgelehnt als von den Bewohnern der Heimat selbst.

(Würde man vor Jahrzehnten ausgewanderte Deutsche und deren Nachkommen um deren Meinung zu innenpolitischen Themen fragen, dann würden wahrscheinlich auch viele zu vielen Themen sagen "ist mir egal". Aber diejenigen, die eine Meinung haben, werden sicher eher konservativ ticken. Etwa so:
"In meiner Kindheit war es so schön, wie die ganze Familie beim Sonntagsbraten zusammensaß. Selbstverständlich sollten also weiterhin die verkaufsoffenen Sonntage in Deutschland verboten bleiben. Das unterminiert doch nur den traditionellen deutschen Familienzusammenhalt [an den ich mich so nostalgisch erinnere], der so viel besser ist als das, was ich jetzt in den USA erlebe").


Dennoch finde ich das Ergebnis bedenklich.
Speziell dann, wenn man bedenkt, dass es einen selection bias auch in die Gegenrichtung gab:
in Deutschland lebende kurdische und alevitische Türken werden aus reinem Selbsterhaltungstrieb wohl kaum für Ja gestimmt haben.
Innerhalb der "normalen" sunnitischen Türken war der Stimmenanteil also noch höher.


Daher sehe ich hier schon ein Problem:
wir haben in Deutschland viele Türken, die über Jahrzehnte hinweg westlichen Wertvorstellungen ausgesetzt waren.
Und alle unsere (bitte neutral zu verstehenden) "Indoktrinierungsversuche" waren ein totaler Fehlschlag: im Ergebnis sind diese Menschen weiter von westlichen Demokratievorstellungen entfernt als die Bevölkerung in ihrer Heimat.
Was ist da eigentlich bei uns schiefgelaufen?
Und wenn das schon bei Türken so massiv schiefläuft (deren Heimatland im moslemischen Kulturraum über Jahrzehnte immerhin der "westliche Vorreiter" war), was dürfen wir dann in den nächsten Jahrzehnten erst von der zunehmenden arabischen Bevölkerung in Deutschland erwarten?
Erschütternde Vorstellungen...

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

18.04.2017 15:46
#11 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #10
Woher stammen die Zahlen?

Aus verschiedenen Presseartikeln, offenbar beruhend u. a. auf Angaben des statistischen Bundesamts und bei den in der Türkei Wahlberechtigten natürlich auf türkischen Regierungsangaben.

Zitat
Was genau verstehen Sie hier unter "Deutschtürken"?


In Deutschland lebende volljährige Menschen mit türkischen Vorfahren. Da gibt es offenbar eine offizielle Definition in der Statistik.
Ein Teil davon hat einen deutschen Paß, ein anderer Teil hat nur den türkischen Paß, manche haben beides.
Insgesamt sind es offenbar 2,9 Millionen, die hier und/oder dort wahlberechtigt sind. 1,5 Millionen haben noch einen türkischen Paß und hätten beim Referendum mitmachen dürfen - was aber nur 46% getan haben. Und davon zwei Drittel sind die etwa 400.000 Erdogan-Anhänger.

Zitat
je besser eine türkisch-stämmige Person in Deutschland integriert ist, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie nur einen deutschen Pass hat.


Richtig. Ohne deutschen Paß kann man m. E. überhaupt nicht von Integration sprechen. Wer den türkischen Paß dabei korrekt abgegeben hat, dürfte in der Regel vernünftig integriert sein und hat mit Erdogan nichts am Hut.
Umgekehrt sind Leute nur mit türkischem Paß wohl zu einem hohen Anteil Integrations-Problemfälle (es gibt vereinzelt Gegenbeispiele).

Die mit zwei Pässen sind sehr unterschiedlich. Da gibt es einerseits solche, die fast überhaupt nicht integriert sind und den deutschen Paß nur gewisser Vorteile wegen genommen haben (und weil er ihnen mit ungenügender Prüfung von deutschen Behörden aufgedrängt wurde ...).
Und andererseits gibt es gut integrierte, die haben ihren türkischen Paß nur noch, weil sie ansonsten ihre Erbansprüche in der Türkei verlieren würden.

Zitat
Und auch richtig ist, dass die Diaspora meist konservativer ist als die Bevölkerung in der Heimat.


Richtig. Wobei "konservativ" noch nicht Erdogan-Fan bedeuten muß. Aber eine deutliche Korrelation gibt es da bestimmt.


Dennoch finde ich das Ergebnis bedenklich.
Speziell dann, wenn man bedenkt, dass es einen selection bias auch in die Gegenrichtung gab:
in Deutschland lebende kurdische und alevitische Türken werden aus reinem Selbsterhaltungstrieb wohl kaum für Ja gestimmt haben.
Innerhalb der "normalen" sunnitischen Türken war der Stimmenanteil also noch höher.

Zitat
Und alle unsere (bitte neutral zu verstehenden) "Indoktrinierungsversuche" waren ein totaler Fehlschlag


Beim harten Kern der Verweigerer war das so. Aber natürlich nicht insgesamt. Bei der deutlichen Mehrheit der Türken hat es funktioniert (und bei den meisten anderen Nationen auch).
Wobei ein Integrationsverweigerer mehr Ärger machen kann als zehn fleißige Deutsche türkischer Herkunft an Positivem beitragen können ...

Zitat
was dürfen wir dann in den nächsten Jahrzehnten erst von der zunehmenden arabischen Bevölkerung in Deutschland erwarten?


Da bin ich auch eher pessimistisch.

Llarian Offline



Beiträge: 6.905

18.04.2017 22:01
#12 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #7
Und das kann man wohl durchaus wörtlich nehmen. Soll heißen: Ein solches Abstimmungsergebnis war zu erwarten, völlig unabhängig davon, was die Türken in die Wahlurnen werfen. Ich persönlich glaube nicht daran, daß diese Abstimmung korrekt ausgezählt wurde oder daß Erdogan eine Niederlage akzeptiert hätte. Richtig ist auf jeden Fall, daß die Türkei ein gespaltenes Land ist und je etwa die Hälft für und gegen Erdogan ist. Die genaue Mehrheit ist dagegen offen.

Richtig. Allerdings nur in der Türkei. In Deutschland sind wir schon vergleichsweise klar aufgestellt.

Zitat
Nein. Bisher war "nur" der Präsident und seine Partei das Problem - und da kann jede Neuwahl die Lage ändern. Mit dem Referendum kommen faktische Beitrittshindernisse dazu.


Dann darf man sich auch fragen wie es sich um die Gewaltenteilung in 20 anderen EU-Ländern bestellt ist. Das ist eine ziemliche can-of-worms, die man besser nicht aufmacht. Schon gar nicht aus Deutschland. Aber ich würde auch den Präsidenten nicht zu tief hängen. Wenn die Mehrheit der Türken einen Präsidenten wählt, der derart über Europa denkt und artikuliert, ist da Hopfen und Malz verloren.

Zitat
Die Wette hättest Du verloren, denn die Medien haben sehr groß darüber berichtet.


Nein, haben sie nicht. Sie nennen die Zahlen, aber sie ziehen gerade die von mir angeführte Folgerung nicht ansatzweise. Das heisst, das stimmt nicht ganz: Ich habe gelesen Claudia Roth hat bereits festgestellt, dass die Deutschen schuld sind. Also die, die schon länger hier sind.

Zitat
Wobei neben den Prozentzahlen die absoluten Zahlen wichtig sind. Von etwa 3 Millionen Deutschtürken mit Wahlrecht hat noch etwa die Hälfte einen türkischen Paß. Von denen haben überhaupt nur 46% am Referendum teilgenommen (verglichen mit über 80% in der Türkei), und nur etwas über 400.000 haben für Erdogan gestimmt.


Das ist ein Taschenspielertrick, den man bei jeder Wahl in der einen oder anderen Form wiederfindet. "Ja, natürlich haben 50% der abgegebenen Stimmen für die XYZ gestimmt. Aber das sind ja kaum 25% aller Wähler, also haben 75% nicht für die XYZ gestimmt." So kann man sich am Ende jedes Ergebnis schön- und schlechtreden, indem man en passant einfach diejenigen, die nicht abgestimmt haben, einer bestimmten Meinung assoziiert (unter diesem Gesichtspunkt hat die FDP übrigens keine 4% Anhänger mehr in Deutschland). Fakt bleibt aber: Wir wissen nichts über die Gründe warum jemand nicht abstimmt. Vielleicht weil es ihm nicht wichtig ist, vielleicht weil er keine Zeit hatte, vielleicht weil er zu blöd war. Aber bei jedem dieser Gründe ist nichts, aber auch gar nichts über seine innere Haltung ausgesagt. Wir wissen nur etwas über die innere Haltung derjenigen, die abgestimmt haben. Und deren innere Haltung ist verheerend. Nur weil jemand der Wahl fernbleibt, macht ihn das absolut nicht (!) zu einem Verfechter des Rechtsstaates.

Zitat
Das ist deutlich falsch. Weder "komplett" noch "auf ganzer Linie", sondern gescheitert eben nur beim harten Kern.


Der "harte Kern" ist nahe an der Mehrheit. Und das ist auch nicht wirklich neu. Es ist nur eben hier mal wieder ganz gut belegt. Es gibt durchaus einige Untersuchungen zum Thema Rechtsstaat, Scharia, Islam & Menschenrechte, die sehr eindrucksvoll belegen, dass es eben kein "harter Kern"-Problem ist, sondern das wir von fast der Hälfte sprechen. Und damit sind wir bei komplett gescheitert, denn das ist angesichts von mehr als 40 Jahren der absolute Witz. Wir werden heute keine Daten mehr dazu finden, aber es wäre interessant zu wissen, wie die erste Generation damals zu solchen Fragen aufgestellt war und ob es überhaupt eine Bewegung gegeben hat. Angesichts dessen, wo die türkische Gesellschaft in der Türkei ist, würde es mich nicht ein bischen überraschen, wenn es gar keine gegeben hat.

Zitat
Aber die große Mehrheit hat sich nicht nur von Erdogan, sondern von der Türkei insgesamt abgewandt. Sie haben zu einem großen Teil gar keinen türkischen Paß mehr, und wo sie ihn noch haben, haben sie sich dem Referendum verweigert.


Ah, iwo. Hat sich jemand von Deutschland abgewandt, weil er mal nicht zur Wahl geht? Oder gar verweigert? Du ziehst hier Schlußfolgerungen, die absolut unbelegt sind.

Zitat
Wahrscheinlich haben die meisten von ihnen ihren türkischen Paß überhaupt nur noch, weil irgendwo noch ein Opa einen Acker zu vererben hat.


Mal ganz ehrlich: Das glaubst Du doch wohl selber nicht. Hast Du türkischen Nationalstolz mal erlebt? Das ist kein Randgruppenphänomen. Wieviel Millionen anatolische Acker soll es denn geben, die eine solche Überlegung speisen?

Zitat
Für Deutschland bedeutet das wohl relativ wenig. Wir sind es gewohnt mit Ländern umzugehen, deren politische Standards nicht den unseren entsprechen. Sowohl mit linken wie mit rechten oder islamistischen Regimes hat Deutschland traditionell gute Beziehungen gepflegt und vor allem natürlich Handel betrieben.


Das ist auch nicht das Problem, geht aber am Punkt vorbei. Die wenigsten "rechten oder islamistischen" Regimens haben eine massive Minderheit in Deutschland, die jederzeit für innere Unruhen sorgen kann.

Emulgator Offline



Beiträge: 2.827

19.04.2017 00:43
#13 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #7
Richtig ist auf jeden Fall, daß die Türkei ein gespaltenes Land ist und je etwa die Hälft für und gegen Erdogan ist. Die genaue Mehrheit ist dagegen offen.
Übrigens wieder ein Beleg dafür, daß gelegentliche Volksabstimmungen nicht funktionieren. Es stand nicht Erdoğan zur Wahl, sondern eine Verfassungsreform, die auch dann noch gilt, wenn Erdoğan gestorben oder abgewählt ist.

Zitat von R.A. im Beitrag #7
Die Wette hättest Du verloren, denn die Medien haben sehr groß darüber berichtet. Wobei neben den Prozentzahlen die absoluten Zahlen wichtig sind.
Von etwa 3 Millionen Deutschtürken mit Wahlrecht hat noch etwa die Hälfte einen türkischen Paß. Von denen haben überhaupt nur 46% am Referendum teilgenommen (verglichen mit über 80% in der Türkei), und nur etwas über 400.000 haben für Erdogan gestimmt.

Das zeigt m. E. sehr gut die auch im praktischen Leben zu beobachtenden Unterschiede bei den Türken in Deutschland bzw. den Deutschen türkischer Herkunft.
So ähnlich argumentierte Alexander Graf Lambsdorff auch. Nur sind die Zahlen nicht zu vergleichen, weil man in der Türkei an einem Wahltag in ein nahes Wahllokal gehen konnte. In Deutschland mußte man zur Stimmabgabe deutlich weiter fahren, typischerweise zu einem türk. Konsulat, hatte dafür aber mehrere Tage Zeit.

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.256

19.04.2017 08:20
#14 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

"Die wenigsten "rechten oder islamistischen" Regimens haben eine massive Minderheit in Deutschland, die jederzeit für innere Unruhen sorgen kann."

Das ist ein Problem, kein Frage. Erdogan kann auf fast eine halbe Million Fanatiker zugreifen, die praktisch alles für ihn tun: spitzeln, agitieren, zerstören... und viele würden auch töten.

Aber was ist schon eine Armee von 500.000 Leuten gegen die NSU mit ihren 4 Mitgliedern. Schon klar.

Dazu kommt aber noch ein zweiter Punkt. Diese islamische Bevölkerung denkt und fühlt anders als der Durchschnittsdeutsche. Erdogan muss gar nichts befehlen. Die blose Tatsache, dass diese Gruppe hier existiert und immer größer wird, ist ein Problem.

Aber das kann man einem MultiKulti-Fetischisten wohl kaum erklären.

___________________
Kommunismus mordet.
Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

19.04.2017 12:03
#15 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #12
Dann darf man sich auch fragen wie es sich um die Gewaltenteilung in 20 anderen EU-Ländern bestellt ist.

Sehr unterschiedlich. Aber auch die Gewaltenteilung ist nur ein Aspekt - das Problem in der Türkei ist, daß die Aufhebung der Gewaltenteilung sehr massiv ist (viel massiver sein wird als in jedem mir bekannten europäischen Land) und dazu natürlich noch die schon bestehenden Probleme kommen.

Zitat
Sie nennen die Zahlen, aber sie ziehen gerade die von mir angeführte Folgerung nicht ansatzweise.


Es gibt auch sehr viele Berichte und Kommentare zum Thema mißlungene Integration - das ist schon Thema.
Nur Deine Folgerung "alles und komplett mißlungen" teilt in der Presse tatsächlich niemand. Die ist halt auch etwas realitätsfern.

Zitat
"Ja, natürlich haben 50% der abgegebenen Stimmen für die XYZ gestimmt. Aber das sind ja kaum 25% aller Wähler, also haben 75% nicht für die XYZ gestimmt."


Bei einer normalen Abstimmung ist so etwas Quatsch, weil es immer Unentschiedene gibt, die kann man keinem Lager zurechnen.
Hier aber war bereits die Teilnahme am Referendum ein politisches Bekenntnis. Und ob einen die Verhältnisse in der Türkei überhaupt noch interessieren, das ist für die Integrationsfrage eine ganz andere Qualität "unentschieden" als bei einer normalen Wahl.

Zitat
Wir wissen nichts über die Gründe warum jemand nicht abstimmt.


Richtig. Aber angesichts der massiven Propaganda der Erdogan-Leute für die Teilnahme am Referendum kann man schon davon ausgehen, daß alle Erdogan-Fans in Deutschland auch abgestimmt haben. Und daß umgekehrt diejenigen, die trotzdem nicht gegangen sind, sich Erdogans Machtanspruch verweigern.

Zitat
Der "harte Kern" ist nahe an der Mehrheit.


Überhaupt nicht. Der harte Kern sind 400.000, und nicht viel mehr. Die übrigen 2,5 Millionen Leute türkischer Herkunft sind nicht unbedingt alles gute und integrierte Menschen, aber schon ein gutes Stück weg vom "harten Kern".

Zitat
Es gibt durchaus einige Untersuchungen zum Thema Rechtsstaat, Scharia, Islam ...


M. W. war da aber die Grundgesamtheit der Befragten Leute, die sich selber als Moslems sehen. Womit ein guter Teil der Deutsch-Türken wegfällt, die völlig säkularisiert sind (und eigentlich komplett integriert) sind. Auch die Alawiten zählen sich normalerweise bei solchen Umfragen nicht zu den Moslems.

Zitat
Und damit sind wir bei komplett gescheitert, denn das ist angesichts von mehr als 40 Jahren der absolute Witz.


Wir reden hier von einem Teil der Zugewanderten und damit ist "komplett" sachlich einfach falsch.
Und 40 Jahre sind eben nicht unbedingt ausreichend - die als positives Beispiel genannten Polen im Ruhrgebiet haben länger gebraucht.

Zitat
Hat sich jemand von Deutschland abgewandt, weil er mal nicht zur Wahl geht?


Wahlbeteiligung im Land ist etwas völlig anderes als die im Ausland.
Bei Auslandsdeutschen gilt es durchaus als wesentliches Kriterium, wenn sie nicht mehr an deutschen Wahlen teilnehmen. Dann haben sie sich normalerweise innerlich verabschiedet und orientieren sich an ihrem neuen Heimatland.

Zitat
Mal ganz ehrlich: Das glaubst Du doch wohl selber nicht.


Doch. Weil ich genug Beispiele dafür kenne. Da geht es üblicherweise nicht um große Vermögen, aber so völlig verzichten will halt doch keiner.

Zitat
Hast Du türkischen Nationalstolz mal erlebt?


Natürlich. Ich war schon fast ein Dutzend Mal in der Türkei, über 30 Jahre verteilt - und bei den meisten Türken fand ich den Nationalstolz durchaus ok und angemessen, besser als was viele Deutsche da so bringen.
Und gerade Auswanderer halten an manchen Elementen des Nationalstolzes lange fest.
Meine kanadischen Verwandten leben inzwischen in dritter und vierter Generation dort, sprechen kein Deutsch mehr und die meisten waren noch nie in Deutschland. Aber sie sind immer noch sehr stolz auf ihre deutsche Herkunft, pflegen gewisse Traditionen und freuten sich sehr über die Weltmeisterschaft.

Zitat
Die wenigsten "rechten oder islamistischen" Regimens haben eine massive Minderheit in Deutschland, die jederzeit für innere Unruhen sorgen kann.


Die Probleme, die wir mit dem "harten Kern" der integrationsunwilligen Türken und noch mehr mit anderen Nationen haben und haben werden, haben nichts mit irgendeinem Regime zu tun. Kriminalität, Bildungsversagen und Sozialhilfeabhängigkeit entstehen hier im Lande, nicht weil Erdogan das anordnet.

Er wird ohnehin wenig Gelegenheit haben, hier noch große Störversuche zu starten.
Eigentlich hat er das Referendum verloren. Trotz seiner monatelangen Medienkampagne, der massiven Behinderung der Opposition, der Einschüchterung mit Gefängnis und Gewalt hat er im Inland wohl keine Mehrheit für sich mehr gewinnen können (bei den letzten Wahlen schnitt er viel besser ab). Er wird seine zweifelhafte Auszählung durchdrücken können, aber er muß künftig gegen die Großstädte regieren.
Trotz seiner neuen Machtbefugnisse wird er wahrscheinlich in den nächsten Jahren weniger Durchsetzungskraft haben als bisher gewohnt. Insbesondere wird die wirtschaftliche Misere weitergehen - und genau der Wirtschaftserfolg war einmal die Basis für seinen Aufstieg. Ich rechne damit, daß er innerhalb der nächsten Jahre von den eigenen Leuten abgesägt wird.

Florian Offline



Beiträge: 3.135

19.04.2017 13:21
#16 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #15


Zitat
Mal ganz ehrlich: Das glaubst Du doch wohl selber nicht.

Doch. Weil ich genug Beispiele dafür kenne. Da geht es üblicherweise nicht um große Vermögen, aber so völlig verzichten will halt doch keiner.



Braucht man denn die türkische Staatsangehörigkeit, um in der Türkei einen Acker besitzen oder erben zu dürfen?

Frank2000 Offline




Beiträge: 3.256

19.04.2017 14:05
#17 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

"Eigentlich hat er das Referendum verloren.

... hat er im Inland wohl keine Mehrheit für sich mehr gewinnen können"

Hat es Hitler gestört, dass er zu keinem Zeitpunkt eine demokratische Mehrheit hatte? Oder sonst einen Diktator?

Aber das ist nicht der Punkt. Sondern dass diese Verfassungsänderung noch gelten wird, wenn Erdogan schon weg ist. Der nächste Kalif wird auch davon "profitieren".

___________________
Kommunismus mordet.
Ich bin bereit, über die Existenz von Einhörnern zu diskutieren. Aber dann verlange ich außergewöhnlich stichhaltige Beweise.

Florian Offline



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19.04.2017 16:29
#18 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #11
Zitat von Florian im Beitrag #10
Woher stammen die Zahlen?

Aus verschiedenen Presseartikeln, offenbar beruhend u. a. auf Angaben des statistischen Bundesamts und bei den in der Türkei Wahlberechtigten natürlich auf türkischen Regierungsangaben.


Bei der Achse des Guten wird übrigens eine ähnliche Frage gestellt.
Von dort habe ich die folgenden Zahlen:

- Es gibt in Deutschland 2,9 Mio. Einwohner mit türkischen Wurzeln

- Davon waren 1,4 Mio. beim Referendum wahlberechtigt
(der Rest hatte also keinen türkischen Pass mehr und/oder ist minderjährig. Grob überschlagen dürften rund 600.000 der 2,9 Mio. minderjährig gewesen sein. D.h. von rund 2,3 Mio. im "wahlfähigen Alter" haben noch rund 1,4 Mio. einen türkischen Pass = rund 60%).

- Hiervon haben tatsächlich 661 Tsd. an der Abstimmung teilgenommen. (=> Wahlbeteiligung 47%. Finde ich übrigens gar nicht mal so niedrig. Bei Volksabstimmungen in Deutschland - etwa in Bayern - sind die Werte auch nicht höher. Zugegeben: Hier ging es um mehr als bloß ein neues Rauchverbot im Freistaat. Andererseits sind die Wahlhürden auch höher: man muss zu einem Konsulat in der nächsten Großstadt fahren.).

- Hiervon haben 416.00 mit "Ja" gestimmt.

Laut AdG macht die Intgrationsbeauftragte der Bundesregierung dann daraus eine Ja-Quote von nur 14% (416.000 bezogen auf 2,9 Mio.), was natürlich lächerlich ist.
Aber ehrlich gesagt, lieber R.A., auch wenn man die 416.000 ins Verhältnis setzt mit den 1,4 Mio. wahlberechtigten, finde ich das keine korrekte Methode.

Wie oben schon geschrieben: Angesichts der Wahlhürden (Fahrt zum Konsulat) ist die Wahlbeteiligung recht hoch.
Dass jemand nicht gewählt hat, kann man daher auch nicht so interpretieren, dass er an der Türkei kein Interesse mehr hat (und somit hoffentlich im Westen "angekommen" ist). Sondern das kann auch daran liegen, das ihm einfach die Reise zum Konsulat zu mühsam war.

Die Hoffnung, dass man die Nichtwähler überwiegend ins "Nein-Lager" verbuchen kann, teile ich daher auch nicht.
Nein, ich fürchte: Diese Abstimmung vermittelt m.E. durchaus einen guten Blick auf den Querschnitt der türkischen Bevölkerung in Deutschland.

Den man auch zur Kenntnis nehmen sollte, weil er für zukünftige politische Entscheidungen wichtig wäre.
Wie man das Ergebnis falsch interpretieren kann, zeigt mal wieder Claudia Roth, die auf das Ergebnis mit vermehrten Einbürerungen und/oder kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer reagieren will.
Das ist nicht nur allgemein-politisch sicher der falsche Weg.

Sondern auch aus rein parteitaktischer grüner Sicht steckt dahinter ein Denkfehler.
Wie diese Abstimmung gezeigt hat, wären die Grünen sehr blauäugig, wenn sie sich dadurch eine Stärkung ihrer Wählerbasis versprechen würden.
Der typische türkische Wähler steht den Grünen ganz sicher nicht nahe. Im Moment wählen Türken vielleicht noch Grün, weil diese Partei z.T. ihre Interessen vertritt. Aber wenn man das Wahlrecht weiter so großzügig austeilt, wird sich früher oder später in Deutschland eine eigenständige Migrantenparte etablieren. Und in deren Wahlprogramm werden gleichgeschlechtliche Ehe, Gendergerechtigkeit und Mülltrennung kein sehr hohes Gewicht haben - da sollten sich die Grünen mal besser keine Illusionen machen.

Llarian Offline



Beiträge: 6.905

19.04.2017 22:47
#19 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von R.A. im Beitrag #15
Nur Deine Folgerung "alles und komplett mißlungen" teilt in der Presse tatsächlich niemand. Die ist halt auch etwas realitätsfern.

Ganz im Gegenteil, es ist ziemlich gut belegt, findet nur eben in der allgemeinen Presse nicht statt. Die letzten zwei Umfragen des Innenministeriums zum Thema "muslimische Lebenswelten", die das auch recht deutlich machen (und sich nicht mit einem Argument für die nicht Gefragten beiseite wischen lassen) wurden ebenso ignoriert. Das hat Methode und ist nicht neu.

Zitat
Hier aber war bereits die Teilnahme am Referendum ein politisches Bekenntnis.


Nein. Das ist eine reine Behauptung ohne Beleg. Übrigens eine, die Dich in ein Boot mit Kalibern vom Schlage Özoguz setzt.

Zitat
Aber angesichts der massiven Propaganda der Erdogan-Leute für die Teilnahme am Referendum kann man schon davon ausgehen, daß alle Erdogan-Fans in Deutschland auch abgestimmt haben.


Es geht doch nicht um Erdogan. Es geht um das Verhältnis zum Rechtsstaat. Und da ist es bisweilen wurst, wie jemand zu Erdogan steht. Jemand, der gegen Erdogan steht und trotzdem mit dem Rechtsstaat nichts anzufangen weiss, ist nicht ein bischen besser. Deshalb sind auch deine Aussagen zur Gesamtheit nicht passend: Du kannst nichts über die Gedankenwelt dieser Gesamtheit aussagen. Nur über die, die tatsächlich abgestimmt haben.

Zitat
Überhaupt nicht. Der harte Kern sind 400.000, und nicht viel mehr. Die übrigen 2,5 Millionen Leute türkischer Herkunft sind nicht unbedingt alles gute und integrierte Menschen, aber schon ein gutes Stück weg vom "harten Kern".


Schön wärs. Leider belegen die bisherigen Daten das Gegenteil. Jedes mal wenn repräsentativ Fragen gestellt werden, zum Thema was ist wichtiger, GG oder Scharia, gehen diese Umfragen so verheerend aus, dass sie anschliessend fast totgeschwiegen werden. Beim Thema türkischer Nationalismus (-->Armenien) siehts noch schlimmer aus, und wenn erst Fragen zum Judentum kommen, wird es stockfinster. Und nein, solche Umfragen sind nicht unspezifisch auf Muslime, sondern die gibts auch ganz gezielt für Deutschtürken. Einfaches googeln, erster Treffer: http://www.focus.de/politik/deutschland/...id_5642087.html

Zitat
Wir reden hier von einem Teil der Zugewanderten und damit ist "komplett" sachlich einfach falsch.


Nein. Es ist absolut richtig. Denn Du gehst von der (falschen) Annahme aus, dass wir bei 100% Nicht-Rechtsstaat anfangen. Tun wir aber nicht. Es gibt und gab auch bei Zuwanderern (und das gilt selbstredend auch für Türken) solche, die noch nie Probleme mit dem Rechtsstaat hatten und gerne nach Deutschland gekommen sind, WEIL es eine deutlich bessere Staatsordnung aufweist als die Türkei. Das belegen auch die Zahlen aus der Türkei sehr, sehr deutlich. Solche Leute waren nie das Problem. Womit wir aber tatsächlich gescheitert sind, ist die staatliche(!) Integrationspolitik, die aber nie auf diese Leute ausgerichtet war (und bis heute nicht ist). Die staatliche Integrationspolitik, vertreten heute durch Özoguz, Roth und andere Konsorten, die sich dem Zuwanderer um die Arme wirft und meint Integration sei etwas, was vom Gastland ausgehen muss, die ist kompletto gescheitert. Wenn wir heute eine schlechtere Einstellung bei den Leuten beobachten, die hier gelebt haben, als bei denen, die dort noch leben, dann ist das voll vor die Wand gefahren.
Was haben wir in 40 Jahren denn erreicht, wenn diejenigen, die hier gelebt haben, im Schnitt eine schlechtere Einstellung haben als die, die dort gelieben sind?

Zitat
Und 40 Jahre sind eben nicht unbedingt ausreichend - die als positives Beispiel genannten Polen im Ruhrgebiet haben länger gebraucht.


Mutige Behauptung. Ich kann mich nicht erinnern, auch nicht aus Geschichten meiner Großeltern, dass je in Deutschland ganze Stadtviertel verloren gingen und Leute versucht haben eine polnische Diaspora aufzubauen. Die heutigen polnischen Zuwanderer (die es ja immer noch massiv gibt) tun das erstaunlicherweise auch nicht.

Zitat

Zitat
Hast Du türkischen Nationalstolz mal erlebt?


Natürlich. Ich war schon fast ein Dutzend Mal in der Türkei, über 30 Jahre verteilt -



Ich gebe Dir eine Empfehlung (nicht ganz ernst gemeint, aber ich nenne Sie trotzdem): Geh mal durch eine beliebige deutsche Stadt mit einem Schild "Deutschland ist sch.....". Das wird Dir einige fiese Blicke einbringen und vielleicht auch einen doofen Spruch, vielleicht bekommst Du sogar eine gedrückt (soll ja auch dunkle Ecken in Deutschland geben). Aber das isses dann auch. Mach das selbe in Marxloh mit einem anderen Land. Aber vorher lass uns voneinander Abschied nehmen, denn ich bezweifele, dass Du da lebend raus kommst. Und das sind eigentlich Menschen, die in dieses Land eingewandert sind!

Zitat
Die Probleme, die wir mit dem "harten Kern" der integrationsunwilligen Türken und noch mehr mit anderen Nationen haben und haben werden, haben nichts mit irgendeinem Regime zu tun. Kriminalität, Bildungsversagen und Sozialhilfeabhängigkeit entstehen hier im Lande, nicht weil Erdogan das anordnet.


Das ist nur teilweise richtig. Denn seit einigen Jahren ist Erdogan extrem bemüht (flankiert von den oben genannten "Integrierern") diese Integrationsunwilligkeit massiv zu verstärken. Und das gelingt ihm. Und das tut er nicht, weil es ihm soviel Spass macht, sondern weil er das irgendwann nutzen will.

Llarian Offline



Beiträge: 6.905

19.04.2017 22:58
#20 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von Florian im Beitrag #18
Laut AdG macht die Intgrationsbeauftragte der Bundesregierung dann daraus eine Ja-Quote von nur 14% (416.000 bezogen auf 2,9 Mio.), was natürlich lächerlich ist.

Die "Integrationsbeauftragte" der Bundesregierung ist ein Paradebeispiel für das, was seit Jahrzehnten schief geht. Der ist am Ende keine Lächerlichkeit zu peinlich, so lange sie ihre Schäfchen schön reden kann. Das diese Frau überhaupt ein öffentliches Amt bekleidet, sagt viel über den deutschen Staat aus.

Zitat
Sondern auch aus rein parteitaktischer grüner Sicht steckt dahinter ein Denkfehler.
Wie diese Abstimmung gezeigt hat, wären die Grünen sehr blauäugig, wenn sie sich dadurch eine Stärkung ihrer Wählerbasis versprechen würden.


Hier ist der Denkfehler aber der ihre, lieber Florian. Den Grünen geht es dabei nicht um die Stärkung ihrer Wählerbasis. Sondern da steckt sehr viel aus der "Deutschland verrecke" Fraktion drin. Nach Meinung dieser Ideologie muss(!) "das Deutsche" unbedingt mit möglichst viel Zuwanderung verdünnt werden. Und das vor allem von Menschen, die möglichst weit der Werteordnung des "alten, weissen Mannes" (das Feindbild der Grünen schlechthin) entfernt ist.

Zitat
Und in deren Wahlprogramm werden gleichgeschlechtliche Ehe, Gendergerechtigkeit und Mülltrennung kein sehr hohes Gewicht haben - da sollten sich die Grünen mal besser keine Illusionen machen.


Das ist die, je nach Standpunkt lustige oder traurige, Ironie dabei: Der typische Grünwähler versenkt das Boot auf dem er steht. Sollte es je eine arabisch/muslimische Mehrheit in Deutschland geben ist es vorbei mit Rechten für Homosexuelle, mit dem Genderquatsch, mit Feminismus oder sonstwelchen grünen Wuschelthemen. Nur interessiert das eben viele nicht, weil es nicht unmittelbar bevor steht.

R.A. Offline



Beiträge: 8.171

20.04.2017 11:11
#21 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von Llarian im Beitrag #19
Zitat von R.A. im Beitrag #15
Nur Deine Folgerung "alles und komplett mißlungen" teilt in der Presse tatsächlich niemand. Die ist halt auch etwas realitätsfern.

Ganz im Gegenteil, es ist ziemlich gut belegt, findet nur eben in der allgemeinen Presse nicht statt.

Wir kommen hier nicht zusammen, weil Du ein für mich nicht nachvollziehbares Verständnis von "komplett" hast.
Für Dich ist "komplett mißlungen" ein "nicht alle Türken sind integriert". Für mich heißt "komplett mißlungen" "keiner ist integriert". Und es gibt nachweisbar viele sehr gut integrierte Deutsche türkischer Herkunft. Damit ist "komplett" für mich falsch - und umgekehrt ist unbestritten, daß ein Teil der Einwanderer nicht integriert sind und es heftige Probleme gibt.

Zitat
Es geht doch nicht um Erdogan. Es geht um das Verhältnis zum Rechtsstaat. Und da ist es bisweilen wurst, wie jemand zu Erdogan steht. Jemand, der gegen Erdogan steht und trotzdem mit dem Rechtsstaat nichts anzufangen weiss, ist nicht ein bischen besser.


Dann sind nach Deiner eigenen Logik sehr viele Deutsche auch nicht integriert. Denn "Rechtsstaat" ist ja bei uns generell ein Problem.

Zitat
Tun wir aber nicht. Es gibt und gab auch bei Zuwanderern (und das gilt selbstredend auch für Türken) solche, die noch nie Probleme mit dem Rechtsstaat hatten und gerne nach Deutschland gekommen sind, WEIL es eine deutlich bessere Staatsordnung aufweist als die Türkei. Das belegen auch die Zahlen aus der Türkei sehr, sehr deutlich. Solche Leute waren nie das Problem.


Ein interessanter Trick. Du definierst im Prinzip alle säkularen Türken raus und kannst dann feststellen, daß die Integration der übrigen "komplett" gescheitert ist.
Aber natürlich muß auch ein Zuwanderer, der die Rechtstaatlichkeit anerkennt, sich bei Sprache, Kultur und Qualifikation mit viel Aufwand integrieren. In den meisten Einwanderungsländern heißt "Integration" im Bezug auf den Rechtsstaat auch nur, daß sie sich im wesentlichen an die Gesetze halten - weltanschauliche Überlegungen bleiben da außen vor.

Zitat
Ich kann mich nicht erinnern, auch nicht aus Geschichten meiner Großeltern, dass je in Deutschland ganze Stadtviertel verloren gingen und Leute versucht haben eine polnische Diaspora aufzubauen.


Die Großeltern reichen da nicht. Vor dem ersten Weltkrieg gab es eine große polnische Diaspora, mit eigenen Vereinen und Läden, mit rein polnisch-sprachigen Wohnvierteln und Kirchen. Und natürlich auch ordentlich Zoff zwischen Deutschen und Polen. Aber da das im Arbeitermilieu und weitgehend außerhalb der Polizeistatistik stattfand, haben sich die braven deutschen Bürger nicht so dran gestört.

Zitat
Die heutigen polnischen Zuwanderer (die es ja immer noch massiv gibt) tun das erstaunlicherweise auch nicht.


Das ist wirklich erstaunlich (in England tun sie es teilweise schon). Liegt vielleicht daran, daß sich sehr viele Polen in Deutschland auch nach jahrelangem Aufenthalt noch als Besucher fühlen - die Heimat liegt nah und wird oft genug besucht.

Zitat
Geh mal durch eine beliebige deutsche Stadt mit einem Schild "Deutschland ist sch.....".


Das kann ich in den meisten deutschen Städten auch mit "Türkei ist sch..." machen. Marxloh ist NICHT typisch für Deutschland.

Generell habe ich bei solchen Diskussionen das Gefühl, daß NRW als "failed state" viel ausgeprägtere Integrationsprobleme hat als andere Bundesländer. Ist ja wohl auch kein Zufall, daß die Hochburgen der Erdogan-Zustimmung alle dort liegen.

Peter Zeller Offline



Beiträge: 164

23.04.2017 10:08
#22 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Demokratie: Hitler kam, über demokratische Mehrheiten in thüringen und Sachsen, an die Macht.

Was mich viel mehr interessierte(=Konjunktiv): Wie kann per Referendum, also duch einfache Mehrheit, eine Verfassung geändert werden?

Emulgator Offline



Beiträge: 2.827

23.04.2017 19:16
#23 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von Peter Zeller im Beitrag #22
Was mich viel mehr interessierte(=Konjunktiv): Wie kann per Referendum, also duch einfache Mehrheit, eine Verfassung geändert werden?
Das ist in der Türkei wohl schon länger so und wurde unter anderem von der Militärregierung 1982 zur Durchsetzung der (noch) gültigen Verfassung angewendet.

Natürlich erfüllt eine Verfassung ihren Zweck nicht, die Regierungsmacht einzudämmen, wenn sie von derselben Mehrheit geändert werden kann, durch die die Regierung überhaupt an die Macht kommen kann.

Edgar55 Offline



Beiträge: 1

25.04.2017 16:04
#24 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Sehr geehrter Herr Llarian!
Vielen Dank für Ihren guten Artikel. Hier nur wenige Ergänzungen dazu:
- Zu 1) bin ich ein wenig anderer Meinung: Demokratie bedeutet nicht nur die - wenn auch knappe - Mehrheit, sondern auch Rechte der Minderheiten. Sonst ist es eine Demokratur. Leider sind alle unsere westlichen Politiker in dieser Hinsicht viel zu naiv, s.u.

- Zu 2) Ergänzung: Die augenblickliche Entwicklung in der Türkei ist der Fehler der EU. Die EU hat im Rahmen des Beitrittspozesses verlangt, dass die Türkei den Wächter ihrer Demokratie, nämlich das Militär, das Kemal Atatürk in weiser Voraussicht als solchen etabliert hat, innenpolitisch entmachtet. Atatürk hat gewusst, dass der Islam nicht wirklich demokratiefähig ist, und die vergangenen Jahrzehnte haben das mehrfach bewiesen. Das türkische Militär griff ein und richtete binnen kurzer Zeit wieder demokratische Wahlen aus.
Es war nicht selbst der Verführung der Macht erlegen. Und diesen gesunden Mechanismus hat die EU zerstört - nur so konnte die AKP emporkommen.

- Zu 2) Ich verstehe nicht, warum sie sich manchmal so bissig-gehässig gegen Politiker wie z.B. Steinmeier äußern. Mit diesem Stil schaden Sie sich und Ihrer Glaubwürdigkeit.

- Zu 3) Vor ein paar Jahren sprach eine Türkin meine Frau und mich vor einer Kirche an, ob sie hier hineingehen dürfe. Sie wohne über 30 Jahre in Deutschland und wolle einmal einen Gottesdienst erleben. Meine Frau nahm sie mit hinein (ich predigte). Das war zwar spät - aber ein Schritt in Richtung Integration! Leider sind das Ausnahmen.

Llarian Offline



Beiträge: 6.905

26.04.2017 00:05
#25 RE: Streiflichter zur Türkei Antworten

Zitat von Edgar55 im Beitrag #24
- Zu 1) bin ich ein wenig anderer Meinung: Demokratie bedeutet nicht nur die - wenn auch knappe - Mehrheit, sondern auch Rechte der Minderheiten. Sonst ist es eine Demokratur.

Inhaltlich gebe ich Ihnen da absolut recht, lieber Edgar55, aber nicht im Sinne der reinen Wortsemantik. Demokratie ist eben zunächst wirklich nur die Herrschaft des Volkes (daher kommt auch das schöne Bonmot: Demokratie ist, wenn zwei Wölfe und ein Schaf entscheiden, was es zum Abendessen gibt.). Rechte von Minderheiten (Grundrechte) sind eine Eigenschaft des verfassten Rechtsstaates. Das ist etwas anderes als eine Demokratie. Oder anders gesagt: Auch eine Demokratie ohne Rechtsstaat (sie nannten das Demokratur) ist eine Demokratie. Auch wenns schwer fällt.

Zitat
Das türkische Militär griff ein und richtete binnen kurzer Zeit wieder demokratische Wahlen aus.


Das ist aber Zufall, lieber Edgar55. Das kann mal funktionieren, das kann auch furchtbar schief gehen. Es ist am Ende die Illusion vom "guten Diktator", der dem Volk die Freiheit gibt. Aber immer noch am Hebel sitzt. Das nicht in der EU zu wollen, halte ich für nachvollziehbar. Es ist auch tatsächlich nicht demokratisch. Der Fehler liegt m.E. darin, zu meinen, eine Demokratie liefere immer "gute Ergebnisse". Das tut sie aber gerade nicht, wie wir ja in vielen "grünen" Ländern inzwischen sehen können. Der Fehler liegt nicht in der EU. Der Fehler liegt bei den Wählern selber.

Zitat
Ich verstehe nicht, warum sie sich manchmal so bissig-gehässig gegen Politiker wie z.B. Steinmeier äußern.


Im Generellen deshalb, weil ich über die deutsche Politik recht verbittert bin. In der Zeit, in der ich bewusst Politik erlebe (bald 25 Jahre), wird Deutschland zunehmend schlecht regiert. Ein Besentiel mit Hut könnte das besser, und das meine ich todernst. Die Politik erzählt gerne, Deutschland stünde aufgrund ihrer so gut da. Richtig ist aber, dass Deutschland TROTZ dem Haufen noch vergleichweise gut da steht. Diese Politik hat mich persönlich schon mehr Geld gekostet, als ich auch nur zusammenrechnen möchte, und soweit gebracht, dass ich, so ich ein Jobangebot vorliegen habe, meine Heimat, die mir durchaus was bedeutet, verlassen werde. Und nicht vorrübergehend. Daher kommen solche Spitzen. Im Speziellen liegt es daran, dass Steinmeier in seiner Position eine Pfeife war. Wer als Aussenminister, also als höchster Diplomat des Landes, den Präsidenten des wichtigsten(!) einzelnen Verbündeten einen Hassprediger nennt, hat in keiner Position oberhalb eines Straßenfegers irgendetwas in einem öffentlichen Amt verloren. Das ist so unglaublich dumm, dass einem selbst die passenden Vergleiche schwer fallen. Nicht mal Joschka Fischer, der ja nun absolut nicht für gute Umgangsformen bekannt war, hat sich so etwas geleistet. Wenn Sie sich morgen fragen, warum VW in den USA nicht mit einem blauen Auge davon kommt, sondern einen zweistelligen Milliardenbetrag zahlen muss, wenn sie sich fragen, warum Deutschland von der FED richtig Feuer bekommt, statt nur ein paar mahnende Worte, dann dürfen Sie gerne darüber nachdenken, ob diese Steinmeiersche Totalausfall das wert war. Ein dämliches Wort, für nix und wieder nix, zum Preis von etlichen Milliarden Euro. Und zum Dank bekommt er noch 199.000 Euro "Ehrensold" bis zum Lebensende. Na klasse.

Willkommen im kleinen Zimmer!

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