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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 16 Antworten
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 Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"
Kallias Offline




Beiträge: 2.297

23.03.2018 18:27
Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

War Judas ein Verräter - oder ein raffiniert um die Ecke denkender Taktiker, wie manche modernen Autoren meinen? Ludwig Weimer kommentiert.

https://zettelsraum.blogspot.com/2018/03...judas-bild.html

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.527

23.03.2018 22:21
#2 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

In diesem Zusammenhang möchte ich an die (hoffentlich nicht ganz unbekannte) Erzählung "Tres versiones de Judas" (dt. "Drei Fassungen von Judas") von Jorge Luis Borges erinnern; zuerst im Juli 1944 in der Nummer 118 der buenosaireschen Literaturzeitschrift Sur erschienen und im selben Jahr in die Erzählsammlung Ficciones aufgenommen, in der in Form eines scheinbar faktentreuen gelehrten Reports über den (fiktiven) dänischen Theologen Nils Runeberg Überlegungen zum Thema angestellt werden, in drei sich steigernden Varianten.

I:

Zitat
Einen Irrtum in der Heiligen Schrift anzunehmen, ist untragbar; nicht weniger untragbar ist es, eine zufällige Tatsache im Verlauf des kostbarsten Geschehens der Geschichte der Welt zuzulassen. Ergo: der Verrat des Judas war nicht zufällig; er war eine vorbestimmte Tatsache, die in der Ökonomie der Erlösung ihren geheimnisvollen Platz hat. Runeberg fährt fort: Das Wort, da es Fleisch wurde, ging von der Allgegenwärtigkeit in den Raum,, von der Ewigkeit in die Geschichte hinüber, von der schrankenlosen Wonne in die Wandelbarkeit und den Tod; um einem solchen Opfer zu entsprechen, mußte notwendigerweise ein Mensch, in Vertretung aller Menschen, ein dem würdiges Opfer darbringen. Judas Ischariot war dieser Mensch. Judas als einziger unter den Jünger erschaute die geheime Gottnatur und das furchtbare Vorhaben Jesu Christi. Das Wort hatte sich zur Sterblichkeit hinabgelassen; Judas, der Jünger des Wortes, konnte zum Verräter (dem schlimmsten Verbrechen, dessen die Niedertracht fähig ist) ... Judas spiegelt in gewisser Weise Jesus. Daher die dreißig Silberlinge und der Kuß, daher der freiwillige Tod, um der Verdammnis in noch höherem Maße würdig zu sein.

Die Theologen aller Fakultäten widerlegten ihn.



II:

Zitat
Diese mancherlei Verdammungsurteile hatten Einfluß auf Runeberg, der das verworfene Buch teilweise neu schrieb und seine Lehre abwandelte. ... Wir wissen, sagte er, daß er einer der Jünger war. Ein Mann, den der Erlöser derart ausgezeichnet hat, darf von uns die beste Deutung seines Verhaltens erwarten. Sein Verhalten der Begehrlichkeit zuzuschreiben, heißt, sich mit dem gröbsten Motiv zufriedenzugeben. Runeberg bringt das entgegengesetzte Motiv vor: eine übersteigerte und geradezu schrankenlose Askese. Der Asket erniedrigt und tötet das Fleisch zur größeren Ehre Gottes. Judas tat dasselbe mit dem Geist. Er entsagte der Ehre, dem Guten, dem Frieden, dem Himmelreich. Er plante mit furchtbarer Hellsichtigkit seine Verfehlungen voraus.



III - die Letztfassung:

Zitat
Vielen ist post factum aufgefallen, daß bereits in den vertretbaren Anfängen Runebergs ein ausschweifendes Ende enthalten ist ... Gott, so argumentiert Runeberg, erniedrigte sich und wurde Mensch, um der Erlösung des Menschengeschlechts willen; man darf annehmen, daß das von ihm erwirkte Opfer vollkommen war, weder entwertet noch geschwächt durch Auslassungen. Was er erduldete, auf die Todesnot eines nachmittags am Kreuz zu beschränken, kommt einer Lästerung gleich. ... Gott ward voll und ganz Mensch bis zur Ruchlosigkeit, Mensch bis zur Verworfenheit und zum Abgrund. Zu unserer Errettung konnte er jedes beliebige unter den Schicksalen wählen, aus denen sich das verschlungene Netz der Geschichte webt; er konnte Alexander werden oder Pythagoras oder Rurik oder Jesus; er wählte ein allerniedrigstes Schicksal: er wurde Judas.

Zitat



(Zitiert nach der Übersetzuung v. Karl August Horst; Erzählungen I, Hanser, München 1985, S. 215-221)

Die gängige, nichtludische Rechtfertigung der Tat Judas' besteht ja darin, auf die Notwendigkeit des Opfertods Jesu hinzuweisen: ohne dessen Tod keine Erlösung (und, als Zeichen des Neuen Bundes, also der Überwindung des Sündenfalls und dessen sichtbarster Auswirkung: die menschliche Sterblichkeit - in den Apostelbriefen ist die Auferstehung Christi der Garant des Heilsgeschehens).



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Harlachinger Offline



Beiträge: 10

25.03.2018 19:47
#3 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Jesus war Jude und damit stand er ganz in der Tradition der Prophetenschicksale in Israel. Wer für die Wahrheit eintritt, erleidet Schmähung und Verfolgung. Das Alte Testament erzählt die Geschichte des Volkes Israel gerade nicht entlang einer Idealgeschichte, vielmehr reiht sich ein Kriminalfall an den anderen. Man denke nur an Joseph, der von seinen Brüdern in eine Zisterne geworfen wurde, oder an den Propheten Jeremia, der ebenfalls in eine Zisterne versenkt wurde, nachdem er der Jerusalemer Obrigkeit die Wahrheit offenbarte. Der Verrat, das Hinterhältige - heute würde man auch das Mobbing mit einbeziehen - spielte in der Heilsgeschichte stets ein große Rolle. Die Frage, was geworden wäre, wenn es den Verrat in dieser und jener Situation nicht gegeben hätte, lässt sich auch ohne Bezug zu Jesus stellen. Was auf Jesus und den Karfreitag hinzielt, ist die Sorge Gottes um den Menschen und seinem Hang zum Abgründigen. Man könnte auch sagen, diese Sorge Gottes ist im Verlauf der Geschichte immer dringlicher geworden, sie gipfelt gewissermaßen in Jesus. Gott zaubert dabei nicht in einem Sinne, dass er mit seinem ganzen Kummer um die Welt auch zugleich die Erfüllung herbeiführen würde. Die Welt befände sich in einem permanten Zustand der Vollkommenheit. Vielmehr macht Gott sich ganz vom Menschen abhängig - auch von einem Judas.
Fragwürdig ist vor allem, was der Karfreitag in einer an Wellness orientierten Spaß-Gesellschaft heute bedeuten kann. Meine Generation wähnt sich in Unschuld und Wohlstand - wer will sich schon mit der Rolle des Opfers identifizieren, geschweige denn mit der des Täters.

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

25.03.2018 21:16
#4 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Zitat von Harlachinger im Beitrag #3

Fragwürdig ist vor allem, was der Karfreitag in einer an Wellness orientierten Spaß-Gesellschaft heute bedeuten kann.



Das Begehren nach Wellness und das Begehren nach Erlösung könnten doch eng miteinander verwandt sein, oder? Womöglich verdichtet sich das am Ende des Tages lediglich zu der dem Unterschied, dass in einem Fall Bordmittel als ausreichend betrachtet werden, währenddessen im anderen Fremdmittel als unverzichtbar gelten. Warum ist die Sache mit dem Gelähmten von Bethesda - beispielsweise - überhaupt interessant? Warum blieb der nicht einfach gelähmt?

lich
Dennis

Werwohlf Offline




Beiträge: 997

25.03.2018 22:18
#5 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #4
Das Begehren nach Wellness und das Begehren nach Erlösung könnten doch eng miteinander verwandt sein, oder?
Man denke nur an die Geißler...

--
Bevor ich mit den Wölfen heule, werd‘ ich lieber harzig, warzig grau,
verwandele ich mich in eine Eule oder vielleicht in eine graue Sau.
(Reinhard Mey)

Dennis the Menace Offline




Beiträge: 459

26.03.2018 12:25
#6 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Zitat von Werwohlf im Beitrag #5
Zitat von Dennis the Menace im Beitrag #4
Das Begehren nach Wellness und das Begehren nach Erlösung könnten doch eng miteinander verwandt sein, oder?
Man denke nur an die Geißler...



Klar, gutes Beispiel, produziert auf einer Art Metaebene Wellness. Diese Ebene mag den meisten nicht zugänglich sein, was indessen offensichtlich nicht heißt, dass es die nicht geben kann.

Die Gesundheit der Krankheit vorzuziehen ist die Folie aller Heilungen, von denen die Bibel berichtet, ferner auch die Sinnstiftung diverser Wallfahrtsorte.

Am Ende des Tages haben wir es also mit Hedonismus zu tun, wenn dem nicht so wäre, gäbe es keinen Unterschied zwischen geheilt und ungeheilt, letztlich auch keinen Erlösungsgrund.

lich
Dennis


.

DrNick Offline




Beiträge: 809

26.03.2018 15:48
#7 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Zitat von hubersn im Beitrag Aus der Schwalbenperspektive (14): Markus Söder und der FC Bayern München
Die gängige, nichtludische Rechtfertigung der Tat Judas' besteht ja darin, auf die Notwendigkeit des Opfertods Jesu hinzuweisen: ohne dessen Tod keine Erlösung ...


Daß Judas ein Teil des göttlichen Heilsplans ist, ist ja ein sehr naheliegender Gedanke. Angesichts dessen scheint es mir ziemlich rätselhaft, warum Judas in der christlichen Tradition moralisch verurteilt wird (bei Dante schmort er ja z.B. als einer von drei Erzverrätern im innersten Höllenkreis).

Hat jemand eine Ahnung, wie man sich das in der Tradition zurechtgelegt hat? Hat er objektiv das richtige getan, dabei aber subjektiv Schuld auf sich geladen?

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

27.03.2018 08:19
#8 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Man räsoniert über die Notwendigkeit des Opfertods Jesu für die Erlösung. Eine Meta-Diskussion von außen, veranlasst durch eine binnenkirchliche voraufgeklärte Sprache.
Der heutige distanzierte Blick ist aber nicht mehr theo-logisch, sondern psycho-logisch. Der eine sagt: „Das Begehren nach Wellness und das Begehren nach Erlösung könnten doch eng miteinander verwandt sein, oder?“ -
Ein anderer antwortet: „Man denke nur an die Geißler…“ Die Reflexion des Todes Jesu wird unter dem Aspekt Sadomasochismus betrachtet.
Warum Jesus sterben musste, wird gar nicht diskutiert. Das ist aber die interessanteste Frage hinter dem Wofür, das die Christen im Blick auf ihre eigene Gewissenserforschung früher diskutierten.
Die Distanzierung von der Wahrheitsfrage ist ein Kennzeichen unserer Zeit, unserer Enttäuschung. Dieser Geisteszustand ist aber kein Gewinn, sondern eine Verarmung.
Gut daran ist allerdings die Hinterfragung des zu einfach interpretierten Dogmas von der ‚Mensch-werdung‘ Gottes. Gott kann nichts werden, er muss Gott bleiben. Nicht Gott selber wurde also Mensch, sondern ein logos war sein logos. Ein logos war von seinem Geist voll erfüllt an einem bestimmten Zeitpunkt der jüdischen Suche.
Wie die Evolution zum Menschen kam, so die Staats- und Religionsgeschichte zum logos der religionskritischen Wahrheit. Das war der judenchristliche Glaube der Jünger Jesu. Homo capax Dei ist das von unten formulierte ‚Gott stieg herab‘. Wie sollte man den göttlichen Luxus für uns armselige Menschen ausdrücken? Ich weiß, dass das heute kaum einer für wahr hält, aber viele es für einen religiösen Größenwahn ansehen. Aber der jüdische und der christliche Glaube sind nicht bloß Ethik oder Religion, sondern die angedeutete Kühnheit sondergleichen.
Die Heilung körperlicher Krankheiten ist bei diesem Erlösungsdenken eingeschlossen und nicht abgewertet. Das Reich Gottes soll auf der Erde und in der Zeit stattfinden.
Nicht das Evangelium, erst eine sektenhafte Gnosis war leib- und weltfeindlich.
Ludwig Weimer

Simon Offline



Beiträge: 334

28.03.2018 17:30
#9 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Nicht Gott selber wurde also Mensch, sondern ein logos war sein logos. Ein logos war von seinem Geist voll erfüllt an einem bestimmten Zeitpunkt der jüdischen Suche.

Das ist hochinteressant. Und der Grund, den Sie angeben, aus dem Jesus von Judas verraten worden sei: wenn man nicht zu den Bevorzugten gehörte, scheint einleuchtend.
Was ist aber dieser Logos, wird man heute trotz schon erhellendem Wortfeld fragen. Oder nicht?

Zitat
Wie die Evolution zum Menschen kam, so die Staats- und Religionsgeschichte zum logos der religionskritischen Wahrheit. Das war der judenchristliche Glaube der Jünger Jesu.



Gab es einen unter den Jüngern vom See Genesareth, der etwa Plato kannte? -

Zitat
Homo capax Dei ....



Kann man das auch noch anders ausdrücken?

Ein frohes Osterfest wünsche ich!
Simon

Johanes Offline




Beiträge: 2.389

29.03.2018 11:26
#10 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Zitat von DrNick im Beitrag #7
Hat jemand eine Ahnung, wie man sich das in der Tradition zurechtgelegt hat? Hat er objektiv das richtige getan, dabei aber subjektiv Schuld auf sich geladen?



Nun ich bin wahrscheinlich der Falsche, um darüber etwas zu sagen. Aber ich möchte einmal meine privaten Überlegungen zum Besten geben:
"Auf eine bestimmte Weise erschien mir der Gedanke sehr plausibel auch auch irgendwie sympathisch, bis mir folgender Gedanke kam. Welche Botschaft würde man damit eigentlich vermitteln?
Man würde Judas auf seine Rolle als 'Instrument Gottes' reduzieren und man würde seine an sich schlechte Tat zu einer guten Tat machen, weil sie im Rahmen des göttlichen Heilsplans geschah. Doch genau das tat das Christentum, zumindest in der Form in der es sich dann durchgesetzt hat, nicht. Es bleibt beim Freien Willen und dem sich selbst entscheidenden Individuum. Judas wird also von seinem schlechten Gewissen geplagt, weil er schlechtes getan hat.
Was wäre auch die Alternative gewesen? Schlechte Taten gutzuheißen, solange sie im Rahmen des 'göttlichen Planes' passierten? Das wäre ein Beispie, das vielen unmoralischen Menschen später sehr willkommen gewesen wäre, um sich darauf zu berufen. In der Weltgeschichte hat es ja auch ohne so ein Beispiel genug Leute gegeben, die sich auf die Religion berufend über jede Moral und jedes Gesetz stellen wollen. Dabei bietet das Neue Testament dafür nun wirklich nur wenige vorlagen.
Wenn Judas also wegen seiner Tat verurteilt wird und sich vielleicht sogar selbst verurteilt und richtet, dann sieht es so aus, als behalte die Lehre vom Freien Willen und der Verantwortung für seine Taten die Oberhand."
Christentum und Nihilismus

Das ist wahrscheinlich eine ganze Ecke Wunschdenken. Und niemand hat das zum damligen Zeitpunkt ausgerechnet so gesehen.

Dennoch, der Gedanke erscheint mir rückwirkend plausibel. Und irgendwie ist das ja eine Glaubenssache.

Frohe Ostern,

Johanes.

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

29.03.2018 21:33
#11 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Dass Gott etwas Bestimmtes vorgesehen habe, ist eine Sprache, die ein faktisches Geschehen verarbeitet, annimmt, auch: tröstet. Sie wird konstruiert im Nachhinein, blickt also zurück und darf nicht verwechselt werden mit einem Plan Gottes, der dann wie ein Schicksal abrollt.
Es ist richtig, die Freiheit des Menschen, auch des Glaubenden zu betonen. Damit ist auch seine Größe im Guten wie die Schwere seiner bösen Taten betont.
In den Passionsberichten der Evangelienschreiber (zwischen 68 und 120 n. Chr.) sind schon verschiedene und unterschiedliche Tendenzen eingearbeitet. Den ursprünglichen Bericht können wir nicht mehr rekonstruieren.

Da gibt es die Tendenz, Pilatus, den Vertreter der römischen Besatzung, zu entschuldigen. Je mehr sich die Christen von den Juden lösten, desto deutlicher entfiel die staatliche Erlaubtheit ihrer Religion. Und wahr ist ja auch: Die Christen trennten mit Jesus: Dem Kaiser seines und Gott, was Gottes ist. Sie sind keine Staatsfeinde. Sie dulden sogar Tyrannen, so lange es geht.
Dann spielt die Trennung vom Judentum eine Rolle. Ganz wurde sie an manchen Orten erst im 4. Jahrhundert vollzogen, bis dahin gingen die Judenchristen auch in die Synagoge. Die Evangelien, am stärksten die spätesten, streiten heftig, wie man in einer Ehe vor der Scheidung streitet. So darf man die Worte wie bei Johannes: „euer Vater ist der Teufel“ – nur als Aufschreie im Ehestreit lesen; ihr Vater blieb natürlich der Schöpfer Israels.
Der Rat, das Evangelium zu säubern, ist aber unhistorisch und hilflos. Man muss die Dinge erklären, dann hat man viel mehr davon.
Die 4 Passionsberichte haben so viele Widersprüche (nicht überall laufen die Jünger im Ölgarten weg, Zeichen an Sonne, Erde und im Tempel, am stärksten bei Mt, gibt es bei Joh gar nicht, nur das große Wort Jes:“es ist vollbracht“), dass man viel daraus lernen kann: Die Sprache über die Geschichte zwischen Himmel und Erde war noch ganz kreativ und vielfältig.

Aber Judas psychologisch zu erklären oder zu rechtfertigen, das macht keiner der 4 Berichte. Lieber noch das Massive: Er hatte die Kasse.
Das Böse wird noch ernstgenommen und nicht uminterpretiert. Das Schimmste geschah – und Gott musste es zulassen. Den Jüngern gelang es, Gott daraus eine neue große Chance zu geben (machen zu lassen,von später her gesagt). Aber sie mussten ihren Kopf dafür hinhalten, um das Fehlurteil des Tempels zu widerlegen.
Ich habe erlebt, wie oft Joseph Ratzinger, der papa emeritus, mit dem Bild kam: Jesu Wunden seien zwar verklärt, aber sie würden bleiben bis in alle Ewigkeit und von dem Kampf zwischen Menschen und Gott in alle Ewigkeit zeugen.

Ebenfalls frohe Ostern!
Ludwig Weimer

Ulrich Elkmann Offline




Beiträge: 13.527

29.03.2018 22:20
#12 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Zitat von Simon im Beitrag #9

Zitat
Homo capax Dei ....


Kann man das auch noch anders ausdrücken?



Die Wendung stammt von Augustinus: De trinitate, Kap. 14:8, "Eo mens est imago Dei, quo capax Dei est et particeps esse potest." Der Geist ist das (Eben)Bild Gottes, weil er (Gott-)fähig ist und an ihm teilhaben kann. Wobei die Semantik dahingehend schillert, daß sowohl die direkte Teilhabe am Göttlichen gemeint sein kann (dann läge ein Oxymoron vor), als auch die Erkenntnisfähigkeit Gottes als Voraussetzung dazu.

Das geläufigste Zitat mit dem lat. capax kommt bei Jonathan Swift vor; es hat sich aus seinem Brief an den Dichterkollegen Alexander Pope vom 29. September 1725 als Definition des Menschen verselbständigt. Swift berichtet über seine Arbeit an Gulliver's Travels nicht nur als Partikularsatire englischer und europäischer Geschichte: "I have got materials toward a treatise, proving the falsity of that definition animal rationale, and to show it would be only rationis capax" - der Mensch also nicht nach der klassischen Definition als Tier mit Verstand, sondern nur als zur Vernunft fähig, und diese Gabe zumeist in den Wind schlagend.



"Les hommes seront toujours fous; et ceux qui croient les guérir sont les plus fous de la bande." - Voltaire

Hanna Eiselt Offline



Beiträge: 23

30.03.2018 13:38
#13 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Judas ist eine schillernde Figur – so möchte nun auch ich mein Judas-Bild zum Besten geben:
Herr Weimar hatte die Deutung der Motive Judas von Amoz Oz aufgezeigt. Ich sehe Judas auch als einen Fanatiker, ein Zionist – kämpferisch und voll Eifer um das verheißene, irdische Reich. In seiner politischen Aufgeschlossenheit kann er so eine Person wie Jesus nicht übersehen. Er begrüßte ihn als einen Erneuerer und schloss sich der Gruppe der Jünger an, um ihn für seine Ziele zu ‚verwenden‘. Dass er die Kasse - etwas ganz Reales - zu verwalten hatte, entsprach seinem Denken. Jesu Wundertätigkeit passte zu seinen Vorstellungen vom angesagten Messias. Amoz Oz hielt ihn unter den Aposteln für den subjektiv Gläubigsten – ja, dies aber nur in der eingeschränkten Sicht auf seine eigenen, politischen Ziele! – Jeder von uns Menschen – auch die übrigen Aposteln hatten und können nur eine eingeschränkte Sicht einnehmen. Drum gilt es, die Sichtweise auf Jesus, die besonders erfüllt ist von Geheimnissen, in Aufmerksamkeit in sich wachsen zu lassen – auch in Auseinandersetzung mit anderen. Ich kann mir auch vorstellen, dass Judas eher alles allein mit sich erwog.
Dem Motiv seines Verrates, das Amoz Oz erwogen hat, kann ich zustimmen. Jesus war ihm zu zögerlich! Es schien ihm notwendig, Jesus zu einem großen Gotteswunder zu zwingen. -Es muss für ihn furchtbar gewesen sein, dass dieses dann nicht eintrat! Jesus starb und wurde in ein Grab gelegt, wie alle übrigen Menschen auch!-

Wenn Gott der Schöpfer der Welt ist, - der, wie uns die Bibel lehrt, Interesse am Leben der Menschen und deren Entwicklung hat, noch besser gesagt, diese liebt - weiß er über unsere eingeschränkte Sicht. Auch die übrigen Apostel erkannten erst nach dessen Auferstehung, dass diese Jesus wirklich der angesagte Messias war und konnten diese Weltsicht in voller Überzeugung verbreiten…..Ich denke, Judas hat Gottes Barmherzigkeit gefunden.

Hanna Eiselt

Simon Offline



Beiträge: 334

30.03.2018 18:58
#14 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Zitat
Ich denke, Judas hat Gottes Barmherzigkeit gefunden.



Verehrte Frau Eiselt. Sie denken auch psychologisch. Denken sich in Judas und sein mögliches Motiv hinein. Das liegt unserm Zeitgeist so nahe. Ist verständlich.
Aber die Schrift, in dem Fall das NT, urteilt anders.
Sie schweigt sich über die Motive des Mannes Judas aus. Das älteste Evangelium in seinem ältesten Teil (der "Passion" ab Mk 8,27), das nach dem Markus-Kommentar von R. Pesch noch auf Zeitzeugen vor dem Jahr 37 zurückgehen könnte, betont lediglich, dass er zu dem Kreis der ausgewählten 12 gehörte, (d.h. berufen, die 12 Stämme Israels zu repräsentieren und dessen Erbe weiterzutragen.) -
Darüber las ich heute sehr nüchtern von einem Rabbi der Gegenwart, der zum Pessachfest 2018, das morgen beginnt, eine kleine Meditation über die "Kalender verschiedener Kulturen" anstellt. Für sein Volk, ISRAEL (das alte, sowie das in der Diaspora und das im Staat gleichen Namens - meine Anm.) gelte, wo es seinen "Nullpunkt" ansetze: Das ist für Israel eindeutig der Monat (Ex 12,2) mit dem Moment, wo der Pharao aus Ägypten gezwungen wurde, ihm die Freiheit aus der Unterdrückung zu gewähren. Und dann kommt das Entscheidende: Er fragt: "Was aber lernen wir daraus" - und damit hebt er das damalige Geschehen ins Heute -? "... dass man sich aus der Sklaverei befreien muss, oder falls man selbst Sklaven besitzt, diese humaner behandeln muss, als das im Umfeld des antiken Orients üblich war". - Ich muss gestehen, dass ich jetzt, wo ich meine Zeilen formuliere, erst gemerkt habe, dass im ganzen Artikel nicht ein Wort von Gott als dem Veranlasser dieses Geschehens zu lesen ist. - Umso beachtenswerter ist es, was da - eventuell ein liberaler Agnostiker - an "Glaubens"- Überzeugung weiterzugeben weiß. Für die Bibel Jesu was das der entscheidende Moment, worauf er setzte. Und er setzte in seinem Heute darauf, dass es gelingt, dass Gott handelt. Er wusste aber auch, ähnlich wie der zitierte Rabbi, dass man Gott, dem Unsichtbaren, unter die Arme greifen muss. - Und das wusste ebenso der Jude mit Namen Judas, dessen Name und Identität übrigens nicht erfunden sein kann, denn er wird ebenso in den bekannten Apostel-Listen mit Namen genannt. - Interessant ist noch, was Pesch in seinem immer noch lesenswürdigen Büchlein "Das Evangelium der Urgemeinde", Herder 1984³ zu Judas - und für uns - neutestamentlich zu ergänzen weiß: "Im Joh-Ev. wird Judas auch in die Salbungserzählung (im Haus Simon des Aussätzigen, in dem Jesus einen Tag vor seinem letzten Mahl zu Gast ist, salbt eine Frau sein Haupt mit kostbarem Nardenöl) eingeführt und zum Kritiker der Frau gemacht (Joh 12,5); der Evangelist kommentiert: ´Das sagte er freilich nicht aus Fürsorge für die Armen, sondern weil er ein Dieb war und als Kassenführer die Einkünfte zu unterschlagen pflegte Joh 12,6).´ (S. 164)

Wem wollen wir nun glauben? Wem unsere Mutmaßungen opfern? Sie (sein) lassen? Ihnen Abschwören? Eben weil sie nicht zutreffen???
Das ist die Frage am Karfreitag. Mitleid hin oder her.

Ich könnte auch noch darüber berichten, was ich heute Nachmittag in meiner Kleinstadt an Karfreitagsliturgie erlebt habe.- Selbstgestrikte Individual- Selbstmitleid-Liturgie. Vom Kaplan und einer Pastoralassistentin mit einer Jugendgruppe ("Liturgiekreis") sehr ernsthaft mitgetragen.

Ihnen, Herr Weimer, weiterhin Dank für Ihren Denk-Anstoß!
Simon

Hanna Eiselt Offline



Beiträge: 23

30.03.2018 21:21
#15 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Lieber Hr.Simon,
ich kann in ihrer Anmerkung leider nichts entdecken, wo Sie darauf hinweisen, wie „die Schrift“, von der Sie - neben der Rede eines Rabbis der Gegenwart und ihren eigenen Schlussfolgerungen, etliches Interessantes berichten - über Judas urteilt!? Wird er ihrer Meinung nach verurteilt? Ich kann nicht verstehen, was Sie mir mit ihrem Beitrag sagen wollen!?
Ja, ich hatte versucht, mich in Judas hineinzudenken, um aus dem, was man in der Bibel als Faktum erfährt, mein Gottesbild zu beleuchten. Sie scheinen dies zu verurteilen. Ich wies auf des Menschen eigene, eingeschränkte Sichtweise hin und damit auch auf meine. Den letzten Satz, an dem sie ihren Text angehängt hatten, zeigt bloß meine Sicht und ich bin entfernt davon, diese nicht auch als diskussionswürdig zu deklarieren! – Nur muss ich Sie dazu bitten, mir deutlicher ihre Sichtweise mitzuteilen. - Ja, es ist die Frage am Karfreitag, wie sehe ich diesen Jesus?...nur so, denke ich, kann ich das damalige Geschehen ins Heute heben.

Hanna Eiselt

Simon Offline



Beiträge: 334

31.03.2018 09:07
#16 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Zitat
Den letzten Satz, an dem sie ihren Text angehängt hatten, zeigt bloß meine Sicht und ich bin entfernt davon, diese nicht auch als diskussionswürdig zu deklarieren! – Nur muss ich Sie dazu bitten, mir deutlicher ihre Sichtweise mitzuteilen. - Ja, es ist die Frage am Karfreitag, wie sehe ich diesen Jesus?...nur so, denke ich, kann ich das damalige Geschehen ins Heute heben.


Liebe Frau Eiselt,
entschuldigen Sie viemals, dass ich gestern, so direkt mit der Tür ins Haus gefallen bin. Es war der Satz, den ich plakativ herausgegriffen habe, das Gottesurteil über Judas, zu dem ich mich äußerte. Es hat ja mit dem Motiv des Judas erst in zweiter Linie etwas zu tun.
Mit "Schrift" meine ich die Bibel. Das Mk-Evangelium nennt nur die Fakten der Auslieferung Jesu, sagt nicht direkt etwas über die Motivation des Judas und nichts über die Beurteilung seines Tuns. Das wollte ich sagen.

Nun wünsche ich Ihnen einen ruhigen Karsamstag und ein frohes Osterfest!
Simon

Ludwig Weimer Offline



Beiträge: 292

02.04.2018 12:45
#17 RE: Der Zeitgeist wandelt das Judas-Bild Antworten

Im Rückblick auf die Diskussion sehe ich mein Urteil zum Zeitgeist im Wesentlichen bestätigt (wenn mein Anliegen das Wesentliche trifft):
Besonders die Deutschen scheinen aus einer Begeisterung für das endlich gewonnene Toleranzdenken heraus das Böse zu verdrängen,
sie interpretieren alles so, dass faktisch mehr an Mitleid mit den Tätern herauskommt als eines mit den Opfern.
Ich habe das schon lange erlebt, zum Beispiel sprach ein Pfarrer 40 Jahre nach Hitlers Tod davon, dass er die Strafe gebüßt habe und jetzt nicht mehr in der Hölle sei. Da lebten noch sehr viele jüdischen Opfer.
Gegenwärtig fürchtet Israel einen großen Krieg - und wir können beides, die Furcht und die Ursache, wenn es zuträfe, nicht verstehen oder nur die falsche suchen.
Dieses Denken scheint hauptsächlich durch die Macht der Medien gestützt zu sein. Es ist ein Wunschdenken, das eine Gefahr birgt.
Ich vermute, dass manche Journalisten mit der Rettung des Judas als des besten Christen zudem auch ihre eigene Biografie oder Haltung rechtfertigen oder aufwerten: Man will doch etwas radikal Gutes, aber man scheitert, und dieses typisch Menschliche wird verklärt.
Das muss man aber nicht verklären. Ich betrachte es als fast normal, dass jemand bei den Zuständen, wie sie sind, sein Getauftsein ablegt und Zweifler wird.

Ludwig Weimer

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