Die Wiedervereinigung wurde auf beiden Seiten als eine Korrektur irregulärer Verhältnisse angesehen. Im Freudentaumel wurde dabei völlig übersehen, dass sich da 2 Staaten aus den Trümmern des WK2 völlig unterschiedlich entwickelt haben.
Die westdeutsche Politik meinte, dass sich alles von selbst richten würde. Ein paar mehr Staatsbürger, ein paar km² mehr Staatsgebiet. 100 DM Begrüßungsgeld und die deutsche Wirtschaft würde dermaßen angekurbelt, dass sie das "neue Gelände" freudig ökonomisieren wird, um die Nachfrage (auch aus Osteuropa, Verträge bestanden ja noch) befriedigen zu können. Blöd war, dass die Osteuropäer keine Devisen dafür übrig hatten.
Die enthusiasmierten Neu-Bundesbürger haben nur gesehen, dass sie jetzt auch den "Adler-Pass" bekommen und zukünftig in DM bezahlt werden würden. Endlich würde man von Politikern regiert, die nicht nur versprechen, sondern auch (wirtschaftlich potent) "was ankurbeln könnten".
Das Ende vom Lied war dann ein Kurzaufschwung für Einzelhandel und Gebrauchtwagenhändler, wie auch der Export diverser westdeutscher Beamter (die man wahrscheinlich in der Heimat jahrelang unter Verschluss gehalten hatte), um die Zone auf bundesdeutschen Verwaltungsstandart zu bringen (schön schmackhaft mit "Buschzulage").
Der Ex-DDR ist das "Tal der Tränen", durch das die osteuropäischen Staaten gehen mussten, die kein Vereinigungs- volk hatten, welches sie "aufnehmen" konnte, erspart geblieben. Die "Abwicklung" der ostdeutschen Industrie wurde wenigstens finanziell etwas abgefedert. Es konnten also kurzfristig die ärgsten kapitalistischen "Gemeinheiten" kaschiert werden ... "die DDR-Propaganda hatte Unrecht, die Politik hat die Sache im Griff, wir lassen euch nicht alleine ... gebt uns eure Stimme!"
Langfristig ging die Kiste allerdings extrem in die Hose. Zuerst wurde die ostdeutsche Wirtschaft durch die Währungsunion in einen Weltmarkt geworfen, in dem sie trotz geringerer Löhne nicht bestehen konnte, da sie gezwungen war, auch sämtliche Gesetze und Verordnungen zu befolgen, die schon den West-Industrien riesige Investitionen (auch in Automatisierung) abverlangte. Was sollte da ein Ex-VEB mit maroden Strukturen und der Zwangsbeschäftigung von vielen Werktätigen machen? Und die Gemeinden? Jedes Dorf hatte innerhalb kurzer Zeit ein erschlossenes Gewerbegebiet. Und Kläranlagen wurden völlig überdimensioniert in die Landschaft gestellt. Musste so sein, die Beamten haben in die Zukunft gesehen und es so verfügt.
Verlängerte Werkbank? Im Kleinen vielleicht, aber meist stand nach dem Kauf die Abwicklung. Es gibt auch Ausnahmen. Konnte ein "Ost-Betrieb" mit dem Weltmarkt konkurrieren? Bei diesen Altlasten? Bei dieser durchgehenden Verordnungsstruktur, diesen Gesetzen, dieser starken Währung?
Man schaue sich mal die Entwicklung der asiatischen "Tigerstaaten" an. Erstmal Abschottung des eigenen Marktes und der eigenen Währung. Gesetze, die der eigenen Entwicklung entsprechen, erstmal verlängerte Werkbank sein, bevor man zum großen Sprung ansetzt. Erst Protektion und Ausbeutung der "human ressources", bevor man respektierter Mitspieler wird. Diese Option stand hier nie zur Debatte.
Was haben wir verpasst? Die DDR hatte ein Bildungssystem, welches von den Skandinaviern kopiert wurde und heute die PISA-Sieger hervorbringt. Die Ausbildung erfolgte (neben dem Staatsbürgerkundeunterricht) polytechnisch strikt in Richtung Naturwissenschaften. Unangenehme Fächer abwählen? Nix da ... jeder bekommt seine Grundausbildung in Deutsch, Mathe, Geschichte, Physik, Chemie, Biologie, etc. Ab der siebten Klasse wurden schon Einblicke in die Industrie/Automatisierung gegeben (Stromkreise, Logik-Schaltpläne, regelmäßige Einsätze in Betrieben im Rahmen des Unterichts etc.) Es gibt Berichte im Internet von Kindern, die mit ihren Eltern in "den Westen" gegangen sind, und sich dort in der Schule mindestens 1-2 Jahre langweilten, weil ihre Mitschüler ihnen gegenüber um dieselbe Zeit zurücklagen.
Da wurde m.E. ein riesiges Potential verschleudert. Der langfristig bessere Weg wäre der gewesen: Keine verfrühte Währungsunion, was natürlich eine Visa-Pflicht und Aufenthaltskontrolle durch die BRD gebraucht hätte. Sonderwirtschaftszone EX-DDR mit eigenen Zöllen, Steuern, Gesetzgebungen. Kein plötzliches Aufgehen im BRD-Föderalismus. Bildungshoheit.
Mir ist schon klar, dass sowas damals niemals umsetzbar gewesen wäre, aber in der Rückschau wäre dies eventuell der Weg für ein neues "Wirtschaftswunder" gewesen. Die DDR-ler waren es gewohnt, zu improvisieren und sich selbst zu kümmern, um mit "dem Arsch an die wand" zu kommen. Die Rückholung in die "Gemeinschaft aller Deutschen" hat lediglich eine trügerische Sicherheit vorgespiegelt um gleichzeitig alle wirtschaftlichen Tugenden der DDR-ler für unnütz zu erklären.
Wo stehen wir jetzt? Wenn ein Politiker Wählerstimmen haben möchte, hält er die Gießkanne über irgendwelche Gebiete, die heute nicht mal mehr unbedingt im Osten sein müssen. Bildungspolitik? Ein föderal zerriebenes Trauerspiel, in dem man missliebige Fächer abwählen kann, dafür aber toll in Sozialkunde und Theaterspielen unterwiesen wird, wenn man nicht grade 68-er Kultliteratur analysiert.
Mit den Ostlern, von damals hätte man was reißen können, aber sie wurden entweder abgewürgt, desillusioniert oder waren nicht angepasst genug ... oder sie haben sich angepasst und hecheln jetzt den neuen Anforderungen des Selbstmarketings hinterher. Die Nachkommenschaft ist zumeist gezwungen, einem adäquaten Job zu folgen und sich in die Altbundesländer aufzumachen.
Auf die eine oder andere Weise werden sich aber die alten und die neuen Bundesländer angleichen ... traurig, aber wahr.
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