Zitat von CalimeroAdorno, was machte ihn aus? Wieso ist er noch heute präsent? Was macht ihn so wichtig für die 68-er und die heute Herrschenden?
Da fallen mir, lieber Calimero, viele Antworten ein. Man ist da freilich im Reich der Vermutungen. Also, ziemlich ungeordnet (und auch subjektiv, sehr aus meiner eigenen Sicht):
1. Adorno repräsentierte die große weite Welt ("der Duft der großen weiten Welt; Peter Stuyvesant"). Er war in den USA gewesen, hatte dort angeblich eine wichtige Arbeit zur autoritären Persönlichkeit verfaßt (er war wohl unter den Autoren nur als erster genannt worden, weil diese alphabetisch aufgeführt wurde; aber man zitierte es eben als "Adorno et al."). Also, er gehörte zusammen mit Horkheimer zu den Emigranten, die zurückkamen. Er war schon dadurch schick und modern.
2. Dann stellte zweitens das Frankfurter Institut für Sozialforschung die Verbindung zu der Zeit vor den Nazis her. Damals hatte es eine gewisse Berühmtheit gehabt, die auch gerechtfertigt gewesen war. Diese Tradition nahmen Horkheimer und Adorno wieder auf; aber international hatten sie nie viel Erfolg. Aber in Deutschland war man nach 1950 natürlich begierig, wieder eine glanzvolle Sozialforschung zu bekommen. Ernsthaft empirisch arbeiteten damals nur wenige, wie René König in, glaube ich, Köln. Das war aber nicht so prickelnd wie die weitgespannten Spekulationen der Frankfurter Schule.
3. Diese Spekulationen nun waren "progressiv". Ich habe im ersten Teil der Serie "Wir Achtundsechziger" ein wenig geschildert, wie es in der Adenauer-Zeit war: Die Macht hatten die Rechten, aber der Geist stand links. Und Adorno war links. Er lieferte sozusagen die Gesellschaftstheorie zu dieser linken Grundströmung bei den meisten Intellektuellen.
4. Vor allem erlaubte diese "Kritische Theorie", sich von der Nazi-Zeit abzusetzen. Ich habe in Frankfurt die Vorlesung "Philosophische Terminologie" gehört, die dann als Buch erschien. Da hat sich Adorno auf eine sehr gehässige und auch nicht besonders intelligente Art über Heidegger lustig gemacht. Wir Studenten johlten. Denn Heidegger, das war für uns reaktionär, muffig, irgendwie deutsch und schon deshalb schlecht. Heidegger hatte ja sogar kurzzeitig mit den Nazis geliebäugelt.
5. Diese "Kritische Theorie" nun war links, aber auch wieder nicht so links, daß man am Ende Ernst hätte machen müssen mit der Revolution. Das Bestehende war schlecht, "irgendwie" artikulierte Adorno den Traum von der ganz anderen Welt, in der dieses bestehende Schlechte dialektisch umkippen würde in eine freie und gerechte Gesellschaft. Das fand man gut. Das war progressiv, aber es roch nicht nach dem Schweiß von Proleten. Man konnte sich gewissermaßen mit Adorno'schen Schwingen wunderbar über diese ganze merkantile, spießige, entfremdete Welt erheben, ohne daß man ernsthaft für Veränderungen arbeiten mußte. Das war schön, weil es wunderbar bequem war.
6. Adorno war ein Star. Er zelebrierte seine Vorlesungen. Er konnte keinen Satz sagen, ohne daß das nach tiefer Bedeutung klang. Er sprach in der Tat druckreif, in langen, gedrechselten Sätzen, die meist am Ende aber doch ihr Verb fanden. Den Mund gepitzt, nein irgendwie gerollt, und daraus quollen diese Wörtschlangen. Wenn man sich überlegte, was er eigentlich gesagt hatte, war das oft arg trivial. Aber er hatte es sooo schön gesagt. Viele Studentinnen himmelten "Teddy" an, und er soll auch nicht unempfindlich dafür gewesen sein; da gab es viele Stories. Kurz, der Mann hatte Charisma. Ganz anders als Horkheimer, der sicher der bedeutendere Wissenschaftler war, aber ein zurückhaltender Mann, ein wuchtiger Denker, wo Adorno ein zierlicher Formulierer war.
7. Und das dürfte schließlich der wichtigste Grund für Adornos Erfolg gewesen sein: Er konnte formulieren, und wie! Er sprach wie gedruckt, und er schrieb so, daß man sich umso mehr daran berauschen konnte, je weniger man verstand. Es war ein sehr ähnlicher Effekt wie einst bei Hegel. Studenten sind stolz darauf, wenn sie gewissermaßen Anteil an soviel Intelligenz haben können. Sie geben nicht zu, daß der Kaiser nackt ist, daß sie im Grunde nix kapieren. Sie eignen sich eine Sprache an (bei Sartre in Paris war das ähnlich), mit der man ungeheuer beeindrucken kann.
Sie sehen, lieber Calimero, ich halte nicht sehr viel von Adorno.
Ich will nicht sagen, daß mir damals seine Vorlesungen keinen Spaß gemacht hätten. Aber es war doch mehr der Show-Effekt.
Philosophie habe ich bei anderen gelernt. In Frankfurt damals bei einem unbekannten Lehrbeauftragten namens Ernst, einem Fachmann für Leibniz. Und in Tübingen bei Walter Schulz.
Der konnte an öffentlicher Bekanntheit Adorno nicht das Wasser reichen. Aber als Philosoph war er ungleich bedeutender als Adorno, so wie viele dieser Zeit im deutschen Sprachraum: Heidegger, Karl Jaspers, Karl Löwith, vor allem auch Hans-Georg Gadamer, ein ungeheuer beeindruckender Mann.
Herzlich, Zettel
(den solche Fragen immer freuen, die a bisserl zum Nachdenken anregen)
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