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ZETTELS KLEINES ZIMMER

Das Forum zu "Zettels Raum"



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Dieses Thema hat 12 Antworten
und wurde 1.041 mal aufgerufen
Kommentare/Diskussionen zu "Zettels Raum"  
Nola

29.04.2008 23:58
RE: Wir Achtundsechziger und wie wir groß wurden Antworten
Ich verfolge diesen Thread schon länger und möchte mal ein bißchen aus der Jugend/Kindheit dazu beitragen - einfach ein Lebensgefühl::

Als Kinder saßen wir in Autos ohne Sicherheitsgurte und ohne Airbags.
Unsere Bettchen waren angemalt mit Farben voller Blei und Cadmium.

Das Fläschchen aus der Apotheke konnten wir ohne Schwierigkeiten öffnen, genauso wie die Flasche mit Reinigungsmitteln.

Unsere Mutter ging auf dem Markt einkaufen und es gab jeden Tag "richtiges selbstgekochtes Mittagessen" wenn wir aus der Schule kamen!

Türen und Schränke waren eine ständige Bedrohung für unsere Finger,
und auf dem Fahrrad trugen wir nie einen Helm.

Wir tranken Wasser aus Wasserhähnen und nicht aus Flaschen.

Wir bauten Wagen aus Seifenkisten und entdeckten während der ersten Fahrt den Hang hinunter, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Damit kamen wir nach einigen Unfällen klar.

Wir verließen morgens das Haus zum Spielen. Wir blieben den ganzen Tag weg und mussten erst zu Hause sein, wenn die Straßenlaternen angingen.

Niemand wusste, wo wir waren und wir hatten nicht einmal ein HANDY dabei!

Wir haben uns geschnitten, brachen uns Knochen und Zähne und niemand wurde deswegen verklagt. Es waren eben Unfälle.
NIEMAND HATTE SCHULD AUSSER UNS SELBER!

Wir hatten Streit und verhauten uns. Damit mussten wir leben, denn es interessierte die Erwachsenen nicht besonders.

Wir aßen ungesundes Zeug (Schmalzbrote, Schweinsbraten usw.), keiner scherte sich um die Kalorien und trotzdem war keiner fett.
Wir waren 15 und probierten vorsichtig unsere erste Cola/Rum und trotzdem wurde keiner alkoholsüchtig. (An „Flatrate“ Saufen gar nicht zu denken.)

Wir tranken mit unseren Freunden aus einer Flasche und niemand starb an den Folgen.

Wir hatten nicht: Playstation, Nintendo64, X-Box, Video-Spiele, 64 Fernsehkanäle,
Filme auf Video und DVD, Surround-Sound, eigene Fernseher, Computer, Internet-Chat-
Rooms, Jahreskarten im Fitness-Club, Handys etc.

WIR HATTEN FREUNDE!

Wir gingen einfach raus und trafen sie auf der Straße. Oder wir marschierten einfach zu denen nach Hause und klingelten. Manchmal gingen wir auch ganz einfach so hinein.
Ohne Termin und Wissen unserer gegenseitigen Eltern. Keiner brachte uns und keiner holte uns !

Wie war das nur möglich?

Wir dachten uns Spiele selber aus.
Beim Straßenfußball/Völkerball durfte nur mitmachen, wer gut war. Wer nicht gut war, musste lernen, mit Enttäuschungen klarzukommen.

Fahrräder (nicht Mountain-Bikes) wurden von uns selber repariert.

Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere. Sie rasselten durch Prüfungen und wiederholten Klassen. Das führte damals nicht zu emotionalen Elternabenden oder gar zur Änderung der Leistungsbewertung.

Wir hatten Freundschaften und ersten Sex und unsere Taten hatten manchmal Konsequenzen, aber keiner konnte sich verstecken.

Wenn einer von uns gegen das Gesetz verstoßen hat war klar, dass die Eltern ihn nicht automatisch aus dem Schlamassel herausholen. Im Gegenteil: Sie waren oft der gleichen Meinung wie die Polizei. (Wehe man war unter 16 inner Disco oder ist ohne Beleuchtung Fahrrad gefahren)

Na so was !
Unsere Generation hat eine Fülle von innovativen Problemlösern und Erfindern mit Risikobereitschaft hervorgebracht.

Wir hatten Freiheit, Misserfolg, Erfolg und Verantwortung. Mit allem mussten wir umgehen, wussten wir umzugehen!

--------------------

weil

... die meisten von uns sich ihren Platz im Leben erobern mußten. Ganz oben oder ganz unten, das lag meistens an uns selbst. Es war niemals - nicht in jener Zeit - das Gefühl von "ich sehe keine Zukunft für mich". Wir waren neugierig auf die Zukunft und wir fügten uns in ein System, das ganz klar vorgab, das wir für unseren Lebensunterhalt arbeiten müssen. (Utopisch der Gedanke, mit 20 Jahren auszuziehen und eine Wohnung nebst Einrichtung vom Sozialamt oder Arbeitsamt GESCHENKT zu bekommen)

... Obwohl unsere Voraussetzungen und Rahmenbedingungen ganz sicher nicht immer die besten waren. Wir kannten damals sogar schon recht früh den Unterschied "Arbeiterkinder" oder Kinder von Angestellten und besser. Auch als junger Mensch im Berufsleben war das noch lange ein Kriterium um einen Stand in der Gesellschaft zu dokumentieren.

Eine Zeit, in der "alte Omas" und Kriegswitwen es als verpönt ansahen, sich vom Sozialamt die ihnen zustehende Hilfe geben zu lassen. Und deren Kinder, also die Generation meiner Eltern, es als selbstverständlich ansahen, hier Unterstützung zu geben. Hier ist zum ersten Mal für uns Jugendliche erkennbar gewesen, woraus sich Werte wie Ehre, Moral und Anstand zusammensetzen. Ohne uns das erklären zu müssen.

... wir hatten Lehrer in der Schule, welche eine Katastrophe waren. Auch hier machten wir unsere Erfahrungen, uns mit Unrecht und Enttäuschung auseinander zu setzen.
Dann, aber höchstens dann, kamen unsere Eltern in die Schule marschiert und haben sich eingemischt. Alles andere wurde an unseren Zensuren abgelesen. Wir hatten aber mindestens genauso viele Lehrer, die ihren Beruf und auch die ihnen anvertrauten Kinder gemocht haben - ohne Ansehen der Person.
... wir hatten Respekt gegenüber (na klar) der Obrigkeit, der Polizei, aber auch vor älteren Menschen, vor Kranken und Behinderten und wir boten in der Straßenbahn höflich unseren Sitzplatz an.

... und niemals - nicht im Traum dran zu denken - hätte ich von meinen Eltern als "meine Alten", die Alte kommt gleich" usw. gesprochen. Das kam in unserem Vokabular nicht vor, wir hatten einfach Respekt vor unseren Eltern, der, wie ich heute zu schätzen weiß, mehr als verdient war.

... wir machten unsere Witzchen über alles und jedes, und ich kann mich z.B. an einen kriegsversehrten Nachbarn ohne Beine erinnern, der ein irgendwie zusammengebautes Gefährt hatte, das uns Kinder zwangsläufig zum witzeln und Sprüche machen aufforderte. Aber wird sind für ihn einkaufen gegangen, haben unseren Eltern davon erzählt, was zur Folge hatte, das Mutter regelmäßig einen Kuchen für ihn mit gebacken hat.

... zu Weihnachten oder Ostern gab es immer ein neues Kleidungsstück, als Überraschung versteht sich, nich 2 Wochen vorher selbst ausgesucht. Menno, haben wir uns da gefreut.

... wir wurden ausgemeckert, in die Pfanne gehauen von Nachbarn, die uns bei unserer ersten heimlichen Zigarette erwischt hatten, und was ein Riesen-Donnerwetter zu Hause zur Folge hatte. (Nur wegen der doofen Frau XY..)

... wir hatten "Stubenarrest" und mußten diesen zwangsläufig zur Besinnung nutzen, es gab kein Fernsehen, keinen Besuch von den anderen. Ich kann mich nur zu gut an das nicht enden wollende Ticken der Wohnzimmeruhr in der Dämmerung erinnern.

... wir hatten Eltern, die arbeiten gingen und von uns Kindern erwartet haben, das sie sich auf uns verlassen können. (Na klar mehr oder weniger)

... wir mußten zum gemeinsamen Abendbrot zu Hause sein, in Ausnahmefällen anschließend nochmal 1 Std raus.

... wir wußten, wenn wir gar zu schlimmen Blödsinn anrichteten, daß unsere Eltern dafür zur Verantwortung oder im schlimmsten Falle zur Kasse gebeten wurden. Überall gab es noch die Schilder: Eltern haften für ihre Kinder. Nicht immer, aber meistens hielt uns das ab.

... wenn "Rummel" oder Schützenfest war, bekam ich von meinem Vater 30 Pfennige. damit konnte ich mir ausrechnen 1 x Karussell, oder ein Eis. Fast hätte ich alles immer mit nach Hause gebracht, weil ich nichts für gut genug befand meine 30 Pfennige auszugeben.

... wir sind mit jeder Menge Lebensweisheiten, aber auch "saudummer Sprüche" groß geworden, wie:
Lehrjahre sind keine Herrenjahre, du lernst nicht für die Schule sondern für Dich, Geh nicht mit dem Brot zum Essen auf die Straße, ach ja "wehe, Du schmeißt Brot weg", was sollen die Nachbarn denken, am schlimmsten war: warte bis Papa nach Hause kommt ... daher das langsame Ticken der Wohnzimmeruhr.

... wir sparten von unserem Lehrlingsgeld unseren Führerschein zusammen, meist aber erst als ausgelernt. Das Auto dazu haben wir aus Erspartem dann erst Jahre später kaufen können.

ich muß mal aufhören, diese Zeiten haben so viele Weichen gestellt für uns 68er, die aber dennoch oder gerade deswegen in die 68-Falle gestolpert sind.


"68er" sind wir geworden, weil wir mit weitaus weniger guten Umständen und Startmöglichkeiten, ohne einen "Gesetzesschutz" und da auch festgelegten Erziehungsablauf zum erfolgreichen Gelingen dieser einstmals blühenden Landschaften beigetragen haben. Wir haben wie unsere Eltern, die Ärmel aufgekrempelt.

Ohne Rückversicherung, ohne Lichtlein (Arbeitsamt/Sozialamt) am Ende des Tunnels.

Ps. Übrigens, wer kennt noch einen Pindopp?

♥liche Grüße Nola


Themen Überblick
Betreff Absender Datum
Wir Achtundsechziger (5): Wie lebte man? Zettel29.04.2008 20:03
RE: Wir Achtundsechziger (5): Wie lebte man? Calimero29.04.2008 21:54
RE: Wir Achtundsechziger (5): Wie lebte man? Dagny29.04.2008 23:03
RE: Wir Achtundsechziger (5): Wie lebte man? Zettel29.04.2008 23:28
RE: Wir Achtundsechziger und wie wir groß wurden Nola29.04.2008 23:58
RE: Wir Achtundsechziger und wie wir groß wurden Dagny30.04.2008 01:25
RE: Wir Achtundsechziger und wie wir groß wurden califax30.04.2008 01:54
RE: Wir Achtundsechziger und wie wir groß wurden Calimero30.04.2008 07:34
RE: Wir Achtundsechziger und wie wir groß wurden Nola30.04.2008 21:46
RE: Wir Achtundsechziger und wie wir groß wurden Inger30.04.2008 17:25
RE: Wir Achtundsechziger und wie wir groß wurden Nola30.04.2008 20:49
Adorno Zettel29.04.2008 23:10
RE: Adorno Calimero30.04.2008 06:56
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