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Gorgasal
Beiträge: 4.020
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02.12.2008 11:59 |
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RE: Zettels Meckerecke: Die Verbieter sind überall
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Zitat von dirk
Zitat von str1977 Und außerdem: hier ist wieder die liberale Obsession mit Freiheitseinschränkungen seitens des Staats. Der Staat hat eine Aufgabe und wenn er sich aufgrund liberaler Ideologie zurückzieht, dann sind gerade die Schwächsten dem Stärkeren ausgeliefert. Aber man kann ja die Ode auf die Freiheit dazu singen.
Können sie ein Beispiel nennen?
Danke für die Steilvorlage! Ich bin blond, ich bin männlich, abstrakte Diskussionen sind mir immer zu kompliziert, ich mag's konkreter.
Neben den Beispielen, die str1977 schon gebracht hat, würde mich die konkrete Anwendung liberaler Prinzipien auf die Ehe interessieren.
Zitat von Dirk Friedrich Es ist das große Verdienst des Liberalismus, unter den Geschäften der Menschen nicht nur ihre wirtschaftliche Tätigkeit zu verstehen, sondern auch ihre privaten Belange. Die Welt wird sich weiterdrehen, selbst wenn man nicht versucht, die Ehe zu regulieren.
http://ef-magazin.de/2008/11/29/819-part...berale-programm http://www.antibuerokratieteam.net/2008/...erale-programm/
Wie das in praxi aussehen kann, habe ich unlängst in diesem Forum verlinkt:
Zitat von Gorgasal Zusammenfassend wurden in Großbritannien kürzlich Shariagerichte zugelassen, die in Zivilsachen bei Zustimmung beider Parteien bindende Urteile aussprechen dürfen. Grundsätzlich habe ich nun den Eindruck, dass die Sharia bei Zwistigkeiten z.B. im ehelichen Bereich strukturell nicht zur gleichberechtigten Berücksichtigung von Mann und Frau neigt, sondern die Frau eher benachteiligt (das mein uninformierter Eindruck - ich kann mich irren).
Der Liberale in mir spricht dann: "Ei fein, wenn sich beide Parteien auf ein Shariagericht einigen, dann kann man ihnen diesen ihren Willen doch schlecht verwehren, oder? Es sind schließlich beides Erwachsene! Wie kommt ein Außenstehender dazu, ihnen vorzuschreiben, nach welcher Rechtstradition sie ihren Zwist austragen sollen?"
Der Konservative hingegen erklärt: "Auf dem Papier mögen sich beide Parteien auf das Shariagericht geeinigt haben, aber wenn die Frau eine frisch importierte Cousine aus Pakistan ist, die ihr Mann kaum auf die Straße lässt, dann ist es mit dem freien Einverständnis ihrerseits wohl nicht weit her. Hier müssen wir wirklich die Frau schützen, indem wir nur die gewachsene westliche Rechtstradition zulassen."
http://83273.homepagemodules.de/t1546f27...urts-in-UK.html
Disclaimer: möglicherweise habe ich die Sharia völlig falsch verstanden, und tatsächlich führt sie zu keiner Ungleichbehandlung zwischen Mann und Frau.
Aber nehmen wir jetzt einmal an, der Staat ziehe sich immer weiter aus der Regulierung der Ehe zurück und überlasse die Gestaltung der Ehe der Vertragsfreiheit von Einzelnen. Ich habe kein Problem damit, dass ein Muslim seinen vier Frauen vertraglich das Recht einräumt, ihn im Krankenhaus so zu besuchen, wie es momentan nur einem Ehepartner verbindlich seitens des Krankenhauses einzuräumen ist. Mein Problem fängt an, wenn vier Hinterbliebenenrenten ausbezahlt werden. Wo soll man da die Grenze ziehen?
Der wahre Liberale wird sich dann dafür aussprechen, dass das staatliche Rentensystem privatisiert wird, der Idee bin ich auch nicht abhold. Aber realiter wird das auf absehbare Zeit nicht der Fall sein. Nun kämpfen aber Liberale in der Tat dafür, das staatliche Monopol auf die Definition von "Ehe" abzuschaffen. Und solange das über das Rentensystem an meinen Steuern hängt, habe ich ein Interesse daran, dass wir hier konservativ bleiben, weil ich sonst (wieder wertend, das gebe ich gerne zu!) einen Missbrauch sehe.
Ein weiteres Problem hinsichtlich des Rückzugs des Staates aus der Regulierung der Ehe ist das Steuerwesen. Solange wir noch nicht im steuerfreien Anarchokapitalismus leben, besteht die Frage, wie eheähnliche Gemeinschaften besteuert werden sollen. Soll jede Einzelperson besteuert werden und umgekehrt Sozialleistungen beanspruchen? Das würde dazu führen, dass die Managergattinhausfrau Hartz IV beziehen könnte. Oder sollen ganze Haushalte zusammen besteuert werden, wie aktuell Ehen? Das würde wahrscheinlich sehr schnell zu einem ganz neuen Gefühl der Nachbarschaft führen, wenn sich ganze Mietshäuser zu WGs zusammenschließen und die Steuerersparnis aufteilen.
Oder will man doch beim gewachsenen Konstrukt "Ehe" bleiben, wie es in Mitteleuropa die letzten 2000 Jahre verstanden wurde? Meine Einstellung dazu ist, dass ich bei allem Liberalismus (und ich verstehe mich als liberalkonservativ) glaube, dass lange etablierte Institutionen und deren Regulation durch verbindliche Institutionen (Staat oder Kirchen - aber eine kirchliche Kontrolle über die Ehe, wie sie vor dem Kulturkampf Usus war, würde die Liberalen wahrscheinlich mindestens so sehr auf die Palme bringen wie die derzeitige staatliche Kontrolle) nicht sinn- und grundlos entstanden sind, und dass eine fundamentale Änderung solcher tief verwurzelten Institutionen, die weit verzweigt mit der gesamten Gesellschaft wechselwirken, nach dem law of unintended consequences zu Auswirkungen führen könnten, die nicht einmal die heutigen Liberalen gern sehen würden.
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El cristiano no tiene nada que perder en una catástrofe. - Nicolás Gómez Dávila
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