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Zettel
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03.12.2008 10:39 |
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Adorno, Kulturkritik, Günter Anders
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Vielen Dank, lieber Kallias, daß Sie die Stelle ausfindig gemacht haben.
Ehrlich gesagt, ich mußte mich wieder einmal überwinden, eine längere Adorno-Passage zu lesen (nicht nur wegen der leserunfreundlichen Bildschirm-Darstellung; da kann man sich ja mit a bisserl Verändern helfen).
Er behauptet dies und jenes; ich kann keine seiner Behauptungen nachvollziehen. Es ist, pardon, kulturkritisches Geschwatz.
Die meisten Menschen richten ihre Wohnungen so ein, daß sie sich darin wohlfühlen, oder nicht? Jedenfalls, wenn sie das Geld dafür haben und in einem Land leben, in dem es ein ausreichendes Angebot an Möbeln gibt.
Wenn Adorno damit nicht zurechtkam, ist das sein Problem gewesen. Eine condition humaine ist das nicht, auch nicht die conditio des Kleinbürgers oder des Intellektuellen oder des Arbeiters im Jahr 1951, als Adorno das wohl schrieb.
Die waren alle dabei, sich wieder wohnlich einzurichten, nach der Trümmerkultur. Aber vielleicht meint Adorno ja gar nicht die Deutschen, sondern die Amerikaner. Ich weiß nicht genau, wann er zurückgekommen ist, aber lange kann er damals noch nicht wieder in Deutschland gewesen sein. Ich habe oft bei ihm den Eindruck, daß seine Kulturkritik eigentlich die Reaktion eines deutschen Hinterwälders auf das moderne Amerika gewesen ist, in dem er nie richtig reüssierte.
Er fühlte sich da fremd, er fühlte sich dieser Moderne überlegen mit aller seiner europäischen Gebüldetheit, und zugleich unterlegen, weil er eben nicht zurechtkam. Und hat das ins Bedeutend-Allgemeine gehoben.
Günter Anders ist es übrigens ähnlich gegangen, auch er gehörte nicht zu den erfolgreichen Emigranten. Auch er hat diese Erfahrung ins Allgemeine (bei ihm ins Anthropologische) gehoben, aber auf eine ungleich intelligentere, weit substantiellere Art als Adorno mit seinem Dahergerede.
Allgemein gesagt, lieber Kallias: Was Adorno uns vorführt, das ist die phänomenologische Methode. Er stellt sich was vor, hier das Wohnen, macht sich seine kritischen (in diesem Fall offenbar entfremdungs-, kultur- und kapitalismuskritischen) Gedanken dazu und erklärt das zu einer Beschreibung der Realität.
Und kaum einer wagt darauf zu entgegnen: Bester, so isses doch gar nicht.
Vermutlich haben sich Generationen von Studenten mit dieser Textpassage interpretierend abgemüht. Immer unter der Vorgabe: Was will Adorno uns damit sagen? Wo doch erst mal zu fragen wäre: Ja, stimmt es denn überhaupt? Welche Belege hat er?
So, das war meine heutige Meckerecke, lieber Kallias. 
Herzlich, Zettel
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