Zitat von Martin Irgendwie ist die russische Propaganda nicht totzukriegen: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,574263,00.html Ich will das nicht nachrecherchieren, aber es fällt mir schwer zu glauben, dass sich \\'Falschinformation\\' so lange halten kann.
Lieber Martin, mir kommt der Bericht von Uwe Klussmann, der ja für den gedruckten "Spiegel" aus Moskau berichtet, und das meines Erachtens zuverlässig, ganz glaubwürdig vor.
Er schildert die Perspektive der Einwohner von Tschinwali, deren Erlebnisse. Aber sagt das etwas über die Kriegsschuld, über den Ablauf der Ereignisse aus?
Daß georgische Truppen nach Südossetien "einmarschiert" sind (ein etwas seltsames Wort, da sie sich ja nur im eigenen Land bewegten), wird ja, soweit ich sehe, von keiner Seite bestritten. Auch nicht, daß sie Tschinwali beschossen haben oder aus Flugzeugen bombardiert.
Die nach wie vor offene Frage scheint aber zu sein, wann und aus welchem Motiv heraus sie das getan haben.
Nach russischer Darstellung taten sie es mutwillig, unter Bruch eines gerade erst verkündeten Waffenstillstands, um Südossetien wieder voll unter georgische Kontrolle zu bringen. Erst als Reaktion darauf - nachdem Russen zuhauf umgebracht worden waren und man die Überlebenden schützen mußte - seien die russischen Truppen nach Südgeorgien einmarschiert.
Das ist es, was die Georgier bestreiten, und was ich nach dem, was ich inzwischen weiß oder jedenfalls für wahrscheinlich halte, nicht mehr glaube.
Sowohl die Bombardierung von Tschinwali durch georgische Truppen als auch der russische Einmarsch über den Roki-Tunnel fanden in der Nacht vom 7. auf dne 8. August statt. Nach dem (in diesem Abschnitt guten) Bericht im aktuellen "Spiegel" begann (siehe Seite 130) der Beschuß von Tschinwali laut westlichen Nachrichtendiensten um 22.30 Uhr. Die erste Pressemeldung darüber, daß russische Truppen durch den Roki-Tunnel kämen, stammt von 2.06 Uhr.
Wieviele Stunden zwischen dem Ereignis und der Pressemeldung (aus welcher Quelle?) vergingen, ist offenbar nicht bekannt; auch wäre (Robin hat darauf hingewiesen) zu prüfen, ob die Angaben sich auf dieselbe Zeitzone beziehen.
Bis Panzer nachts entdeckt werden, bis die Meldung auf dem Befehlsweg nach Tiflis gegangen ist, bis dortige Stellen eine Agentur informierten (so etwas kann ja nur von oben angeordnet werden), bis diese die Nachricht absetzte - da dürften, jedenfalls mit großer Wahrscheinlichkeit, Stunden vergangen sein.
Wie sollten die Russen es fertiggebracht haben, auf einen Beschuß, der um 22.30 Uhr begann, so zu reagieren, daß sie ihre Truppen (die ja nachts vermutlich schliefen) marschbereit machten, in Marsch setzten, über einen Bergpaß und durch den Tunnel brachten, so daß bereits dreieinhalb Stunden später die Meldung darüber eine Pressagentur erreichte?
Da erscheint es mir doch plausibler, daß die Russen, wie es auch Califax rekonstruiert hat, schon am Abend des 7. August in Marsch gesetzt wurden und daß die Georgier, um sie aufzuhalten, Tschinwali einzunehmen versuchten.
Es lohnt sich, lieber Martin, wenn man solche Überlegungen anstellt, einen Blick auf die Karte zu werfen. Die Karte, die Sie am Anfang dieses Artikels finden, läßt sich durch Anklicken vergrößern und zeigt dann jede Straße und jedes Dorf.
Man sieht, wie nah Tschinwali an der Grenze zwischen Südossetien und dem georgischen Kernland liegt; vermutlich in Reichweite der Artillerie, jedenfalls durch georgische Truppen schnell zu erreichen.
Daß die Georgier den Vorstoß nach Tschinwali unternommen haben, um nördlich davon eine strategisch wichtige Brücke in ihren Besitz zu bringen, erscheint mir plausibel. Man sieht auf der Karte, daß die russischen Truppen auf dem Weg nach Tschinwali mindestens zweimal (bei Vaneli und bei Kverno) einen Fluß überschreiten mußten, und dann auf dem Weg nach Gori ein drittes Mal (bei Prisi).
Mehr als Plausibilität ist im Augenblick wohl nicht zu erreichen. Man muß sich auch vor dem Fehler der Verschwörungstheoretiker hüten, einzelne Fakten herauszupicken und daran, ohne Kenntnis aller Fakten, eine abgehobene Theorie zu entwickeln.
Also, lieber Martin, ich will ja nicht behaupten: So war es.
Mir scheint nur erstens, daß es bisher keine wirklich gründliche Rekonstruktion des Ablaufs in der Presse gibt (das Beste ist nach wie vor der Artikel von Califax) und daß zweitens wenig für die russische Version spricht.
Inzwischen ist ja auch der angebliche Kriegsgrund "Schutz der russischen Bevölkerung in Südossetien" längst aufgegeben worden. Danach sprachen die Russen von "Bestrafung", und jetzt wollen sie in Georgien bleiben, um den "Frieden zu sichern".
Daß sie zB Poti in ihre Gewalt bringen und die kleine georgische Flotte versenken mußten, um die russische Bevölkerung in Südossetien zu schützen, konnten sie ja auch schlecht behaupten.
Herzlich, Zettel
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