als sehr interessant empfand ich die gestrige Talkrunde bei "Das Duell" mit Vladimir V. Kotenev dem russischen Botschafter in Deutschland und Eckart von Klaeden dem außenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, moderiert von Heiner Bremer.
Vorweg ist zu bemerken, dass Bremer m.E. offen für die russische Seite Partei ergriff. So formulierte er seine Fragen an Kotenev in einem strikten Ja-Nein-Schema und gab darin fast immer detailgetreu die russische Sicht des Konfliktes wieder. (Sinngemäß zitiertes Beispiel: "Ist es nicht so, dass die NATO durch ihre Kosovopolitik ihre Kritik am russischen Vorgehen in Südossetien selbst diskreditiert hat?") Kotenev konnte sich daher zumeist damit begnügen Bremers Fragen zu bejahen bzw. der darin formulierten Sicht zuzustimmen. In einem Fall begnügte sich Kotenev, der kein großer Rhetoriker zu sein scheint, sogar mit einem knappen: "Ja, genau so sehe ich das." Zudem folgte auf v. Klaedens Ausführungen fast immer eine kritische Kommentierung seitens Bremers, die bei den Äußerungen Kotenevs stets ausblieb. Die von Zettel des öfteren akribisch herausgearbeitete Parteinahme linker Journalisten für die russische Außenpolitik scheint also auch bei Bremer zuzutreffen, der immerhin einmal führerender Kopf des sozialistischen Flügels der Jungdemokraten war.
Soviel zur Ausgangslage. Der eigentlich interessante Punkt war jedoch eine ganz bestimmte Ausführung Kotenevs: Bremer fragte an einer Stelle sinngemäß, ob denn in der Folge des Kaukasuskonfliktes auch eine Parteinahme Russlands für die russischen Minderheiten in der Ukraine und des Baltikums und eine Bedrohung der Integrität dieser Staaten zu befürchten sei. (Ich vermute Bremer wollte Kotenev hier einen Raum für eine Beschwichtung des deutschen Publikums bieten. Nach dem Motto: "Nein, keinesfalls. Russland ist eine Friedensmacht und bedroht niemanden. Unser einziges Motiv in diesem Konflikt war es, die Südosseten/unsere Staatsbürger vor einem Völkermord durch die Geogier zu bewahren.")
Doch die von allen Seiten erhoffte Beschwichtung kam nicht. Kotenev antwortete mit einem von ihm im nachhinein als "Scherz" deklarierten Gleichnis, das er jedoch mit ernster Miene und in gespanntem Tonfall vortrug: Er hätte sich nämlich kürzlich mit einem hohen Repräsentanten der sorbischen Minderheit (Ja, Sie lesen richtig!) getroffen, der sich über die Vernachlässigung seines Volkes durch den deutschen Staat beklagt habe. Daraufhin habe der Herr Botschafter seine volle Unterstützung zugesagt und warte nun, wann die ersten Warnrufe erklängen, dass bald "russische Panzer in den Spreewald rollen". (Letzter Teil wörtlich, ich bereue es gerade, nicht die gesamte Passage protokolliert zu haben.)
Bemerkenswert sind daran aus meiner Sicht zwei Dinge: Zum einen die Tatsache, dass Kotenev die klare Frage nach einer Bedrohung der ostmitteleuropäischen Staaten durch Russland unbeantwortet gelassen hat. Bremer hakte (entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten in diesem Gespräch) nach und verwies auf die unbeantwortete Frage, was Kotenev jedoch nicht zu einer klaren Antwort veranlasste.
Zum anderen stellt sich mir die Frage, ob einem russischen Chefdiplomaten in Deutschland nicht bewusst sein soll, welche Assoziationen das Bild von nach Ostdeutschland einrollenden russischen Panzern beim deutschen Publikum auslöst. Bei mir, als jemandem der aufgrund seines Alters weder den 2. Weltkrieg noch den kalten Krieg bewusst miterleben musste, löste sein "Scherz" jedenfalls ein spontanes Gefühl der Beklemmung aus und ich vermute stark, dass ich damit nicht der einzige war.
So ergeben sich mir zwei Interpretationsmöglichkeiten aus dem gestrigen Gespräch: Entweder ist Kotenev eine extrem unglückliche Fehlbesetzung oder aber die russische Außenpolitik arbeitet offen auf eine Einschüchterung der deutschen Öffentlichkeit hin. Nach dem Motto: "Wir schließen einen Einmarsch nach Ostmitteleuropa nicht aus und ihr Deutschen glaubt bloß nicht, dass ihr ungeschoren davon kommen werdet."
Beide Antwortmöglichkeiten sind für mich sehr beunruhigend: Erstere impliziert eine außenpolitische Inkompetenz und Unzurechnungsfähigkeit, die einer Atommacht schlecht zu Gesicht stünde und letztere würde einen aggressiven Duktus offfenbaren, der m.W. selbst während des kalten Krieges eher unüblich war.
Bitte beachten Sie diese Forumsregeln: Beiträge, die persönliche Angriffe gegen andere Poster, Unhöflichkeiten oder vulgäre Ausdrücke enthalten, sind nicht erlaubt; ebensowenig Beiträge mit rassistischem, fremdenfeindlichem oder obszönem Inhalt und Äußerungen gegen den demokratischen Rechtsstaat sowie Beiträge, die gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Hierzu gehört auch das Verbot von Vollzitaten, wie es durch die aktuelle Rechtsprechung festgelegt ist. Erlaubt ist lediglich das Zitieren weniger Sätze oder kurzer Absätze aus einem durch Copyright geschützten Dokument; und dies nur dann, wenn diese Zitate in einen argumentativen Kontext eingebunden sind. Bilder und Texte dürfen nur hochgeladen werden, wenn sie copyrightfrei sind oder das Copyright bei dem Mitglied liegt, das sie hochlädt. Bitte geben Sie das bei dem hochgeladenen Bild oder Text an. Links können zu einzelnen Artikeln, Abbildungen oder Beiträgen gesetzt werden, aber nicht zur Homepage von Foren, Zeitschriften usw. Bei einem Verstoß wird der betreffende Beitrag gelöscht oder redigiert. Bei einem massiven oder bei wiederholtem Verstoß endet die Mitgliedschaft. Eigene Beiträge dürfen nachträglich in Bezug auf Tippfehler oder stilistisch überarbeitet, aber nicht in ihrer Substanz verändert oder gelöscht werden. Nachträgliche Zusätze, die über derartige orthographische oder stilistische Korrekturen hinausgehen, müssen durch "Edit", "Nachtrag" o.ä. gekennzeichnet werden. Ferner gehört das Einverständnis mit der hier dargelegten Datenschutzerklärung zu den Forumsregeln.