Zitat von Omni
In Antwort auf:
Mal von diesem Vorfall abgesehen ist das aber ein interessanter Punkt, der mich schon lange beschäftigt: Die Versuchung, bei der Beurteilung von Fakten zu sehr das einfließen zu lassen, wovon man wünscht, daß es der Fall sei.
*nick* Ich würde sogar noch radikaler behaupten, dass es nicht nur den Versuch gibt, das eigene Weltbild stets bestätigt zu sehen, sondern dass unsere Fähigkeit, die Plausibilität von Meldungen/Behauptungen einzuschätzen grundlegend daran gekoppelt ist, ob diese in unser vorhandenes Weltbild hineinpasst. Was nicht reinpasst, das versuchen wir ergebnisorientiert zu marginalisieren oder sogar zu verwerfen. Das ist wegen der geradezu beliebigen Gewichtbarkeit von Argumenten meistens möglich. Ob anderes Denken möglich ist?
Ja, davon bin ich überzeugt. Jedenfalls im Sinn einer entgegengerichteten Tendenz.
Hier im Forum haben etliche, auch ich, es begrüßt, daß Sie, lieber Omni, mit oft anderen Meinungen zu uns gestoßen sind. Gerade gestern haben Kallias und Gorgasal geschrieben, daß str1977 mit seinen nun wieder sehr anderen Meinungen eine Bereicherung für das Forum sei; was auch meine Meinung ist.
Warum? Weil man eben seine Meinung nicht nur bestätigen, sondern auch korrigieren möchte. Manchmal in kleinen Schritten; manchmal auch in Form eines Bruchs mit einer "Weltanschauung", die man hatte.
Evolutionsbiologisch macht beides Sinn. Wer sein Weltbild ständig umwirft, der ist zu konsistentem, langfristig angelegtem Handeln unfähig. Wer starr an Vorgefaßtem festhält, der wird an der Realität scheitern. Piaget hat das mit seinen beiden Konzepten der Assimilation und der Akkomodation zu fassen versucht.
Zitat von Omni Ich erinnere mich, wo Sie den Irakkrieg ansprechen, daran wie vor dem Irakkrieg 2003 heftig darüber diskutiert wurde und es in Deutschland vielfach zu Demonstrationen gegen den Krieg kam. Ich unternahm den Versuch, mich auf keine der Seiten zu schlagen, weil mir auffiel dass jede der Seiten (Kriegsbefürworter, Kriegsgegner) wichtige Aspekte des Krieges einfach ignorierten. Die Kriegsbefürworter ignorierten, welches Leid ein Krieg über ein Land und die Menschen bringt, die Kriegsgegner ignorierten, dass der Irak eine brutale Diktatur war. Aber ich kann nicht sagen, dass ich mit dieser Position glücklich wurde. Es lief mehr darauf hinaus dass ich diese Frage verdrängte, als dass ich darüber nachdachte. Und wenn ich diese Verweigerung ergebnisorientierter Gewichtung von Argumenten jetzt auf alles übertragen wollte, so dürfte ich ja wirklich garkeine Aussage über das wirkliche Leben mehr machen.
Ja, das ist eben das Dilemma, oder der Spannungsbogen.
Ich frage mich das eigentlich ständig, wenn ich einen Artikel für ZR schreibe: Ist die Meinung, die ich da vertrete, eigentlich fundiert genug? Während des Schreibens formuliere ich im Stillen Einwände. Manchmal sehen Sie das daran, daß ein Absatz beginnt mit "Nun könnte man dagegen allerdings sagen ..." oder so ähnlich.
Es ist auch ein Spannungsbogen zwischen aktiver Politik und, sagen wir, einer mehr kontemplativ-wissenschaftlichen Haltung. Es gibt unter den Blogger-Kollegen viele, die auch aktiv politisch engagiert sind, zB in der FDP. Das bestimmt logischerweise auch das mit, was sie schreiben.
Bei mir ist das nicht so. Wenn ich etwas bewirken möchte, dann Einsicht. Es hat mich deshalb sehr geärgert, als ZR in einem anderen Forum mal unter "Strategie der Neuen Rechten" verbucht wurde. Nicht so sehr, weil ich kein neuer Rechter bin, sondern weil der Autor mir unterstellte, ich schriebe in einer strategischen Absicht.
Zitat von Omni Aber auch Sie haben sicherlich Artikel, die Sie zu dem Thema gelesen haben, unterschiedlich gewichtet und besonders die gerne in ihre Analysen einfließen lassen, die mit Ihrer vorhandenen Sicht der Dinge übereinstimmten. Man kann das ja auch noch weiterspinnen. Die, die die von Ihnen zitierten Artikel schrieben, haben selber entschieden was sie für wichtig und unwichtig hielten und damit gefiltert.
Ja, das stimmt sicher. Ich neige zu einem Verfahren ähnlich dem, das man in der Forschung anwendet: Man hat eine Hypothese und sieht, wieweit man damit kommt. Man versucht, möglichst viel Fakten unter sie zu subsumieren. Vielleicht hält sie das aus. Oder aber sie kracht unter der Last entgegenstehender Fakten zusammen. Dann muß man eine neue suchen.
Im Fall Georgien war und ist meine Rahmen- Vorstellung, daß Rußland wieder eine expansive, imperialistische Macht geworden ist; also traue ich es Putin zu, diesen Krieg vorbereitet und gewollt zu haben. Ob Saakaschwili die Wahrheit sagt, ist eine andere Frage. Wenn Sie meine Artikel dazu chronologisch lesen, werden sie finden, daß ich erst nur beide Versionen nebeneinander diskutiert habe, dann immer mehr der von Saakaschwili zugeneigt habe und am Ende wieder skeptischer war.
Zitat von Omni Bei Ihrer Kritik von SPON kam mir die Redensart vom halbvollen und halbleeren Glas in den Sinn. Kann man SPON den Vorwurf machen, dass es den Zustand des Iraks als ein halbleeres Glas zeichnet? Sicherlich. Zu erwarten wäre, dass stets 50% der Artikel das Glas als halbleer beschreiben und 50% das Glas als halbvoll. Aber selbst dann würde sich vielleicht der eine Leser über die Halbvoll-Artikel aufregen, der andere über die Halbleer-Artikel.
Wenn's denn so wäre, lieber Omni. Aber "Spiegel-Online" hat jahrelang, als es im Irak schlecht stand, buchstäblich zu jeder Bombe einen Aufmacher gehabt (ich habe das damals, noch in Schrippes Forum, manchmal dokumentiert). Und seit es im Irak aufwärts geht, ist er fast aus deren Berichterstattung verschwunden. Gut, only bad news is good news. Aber "Spiegel-Online" nimmt ja für sich in Anspruch, seriös zu sein.
Zitat von Omni Aber vielleicht ist es schon ein gewisser Erkenntnisfortschritt, wenn man sich dieser subjektiven Beschränkung des eigenen Denkens wenigstens bewusst ist.
Und wenn man sie nicht für ein bequemes Ruhekissen hält. Denn diese Einsicht kann ja auch zu der Haltung führen: Berichterstattung ist eh immer subjektiv, also brauche ich keine Rücksicht mehr auf die Sachverhalte, auf beide Seiten der Medaille zu nehmen.
Das kann man aber sehr wohl. Ein subjektives Moment wird immer da sein, aber man kann es verringern.
Herzlich, Zettel
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