Lieber M. Schneider,
ich habe den Eindruck, daß wir ein wenig aneinander vorbeidiskutieren. Hier noch einmal die zentralen Punkte, wie ich sie sehe:
Erstens: Forschung unter einer Diktatur ist nicht unbedingt Forschung, die dieser Diktatur zuzurechnen ist. Vieles von dem, was Sie aufzählen, war die Fortsetzung von Entwicklungen, die lange vorher begonnen hatten. Vieles passierte ganz ohne Förderung durch die Nazis.
Und manches, was Sie nennen, ist überhaupt nicht der Nazi-Zeit zuzuordnen. Das Haber-Bosch-Verfahren wurde zu meiner Schulzeit noch ausführlich im Chemieunterricht behandelt. Seine Grundlagen legte Fritz Haber bereits vor dem Ersten Weltkrieg. Er erhielt dafür den Nobelpreis 1918, Carl Bosch erhielt ihn 1931.
Also, mit den Nazis hat das so wenig zu tun wie die Arbeiten von Otto Hahn. Auch die Arbeiten von Fischer und Tropsch fanden lange vor der Nazizeit statt (laut Wikipedia 1925; erste großtechnische Anwendung 1934).
Daß es auch unter den Nazis gute Forschung gegeben hat - überwiegend eben die Fortsetzung dessen, was in der Weimarer Zeit, teils schon in der Kaiserzeit begonnen wurde - bestreite ich nicht. Nur war das weder besser noch mehr als zuvor. Es war nur stärker militärtechnisch ausgerichtet. So, wie die Russen ab Ende der fünfziger Jahre ungeheuere Ressourcen auf die Raumfahrt konzentriert haben, taten das die Nazis von Anfang an in Bezug auf die Aufrüstung. Die ja in diesem gigantischen Umfang sonst gar nicht möglich gewesen wäre.
Mein zweiter Punkt: Ich glaube, unsere Diskussion darüber, ob etwas nun "gut" oder "schlecht" ist, ist ein wenig ein Streit um Kaisers Bart.
Wir sind uns einig darüber, daß totalitäre System es besser als Demokrtien schaffen, Ressourcen auf bestimmte Projekte zu konzentrieren und dort dann Höchstleistungen zu erreichen.
Das ist "gut" für die davon positiv Betroffenen. Es ist aber nicht "gut" in dem Sinn, daß bei solchen Maßnahmen die Vorteile die Nachteile überwiegen würden. Die Nachteile sind ja immer mit Händen zu greifen: Die Verweigerung von Ressourcen für Anderes, die (zB militärischen) Ziele, die damit letztlich verfolgt werden, oft auch die Zwangsrekrutierung von Arbeitern, wenn nicht der Einsatz von Zwangsarbeitern, KZ-Häftlingen usw. (siehe Gulag, siehe V2 usw.)
Ich vermute, wie gesagt, lieber M. Schneider, daß wir uns in allem dem einig sind. Es ist für eine Diskussion vielleicht manchmal ganz gut, wenn man Positionen zugespitzt formuliert. Aber hier sehe ich eigentlich gar keine Kontroverse, die man zuspitzen könnte. 
Herzlich, Zettel
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