Zitat von Libero Ob Schopenhauer nur gutes Deutsch geschrieben hat? Ich erinnere mich an einen Satz in der Einleitung von die Welt als Wille und Vorstellung?. Einerlei, er ging jedenfalls über volle 16 Zeilen. Ich mühte mich, diesen Satz zu verstehen. Ich sprach Ihn laut vor mich hin, ja lernte ihn sogar auswendig.
Diese langen Sätze findet man ja auch bei Christian Wolff, bei Kant, sogar bei Kleist. Sie sind im Grunde lateinische Perioden, ins Deutsche übernommen durch Autoren, die mit Latein aufgewachsen sind und sozusagen noch lateinisch gedacht haben. (Gut, Schopenhauer ist nicht damit aufgewachsen, aber er hat es sich angeeignet).
Als ich, lieber Libero, den zweiten Artikel über Lafontaines Demokratieverständnis geschrieben habe, mußte ich mich ja wieder mal a bisserl ins Griechische vertiefen. Und dabei ist mir das wieder aufgefallen: Diese Schachtelungen, im Griechischen wie auch im Lateinischen. Es ging da um den kurzen Satz "kai onoma men dia to mê es oligous all' es pleionas oikein dêmokratia keklêtai". Wenn man das wörtlich und unter Einhaltung der Wortstellung übersetzt, dann heißt es: "Aber mit Namen wegen des nicht den Wenigen, sondern den Vielen die Handhabung der Dinge [Übergebenseins] wird es Demokratie genannt".
Das Deutsche kann das gut imitieren, durch die Nachstellung des Verbs. Was es im Deutschen nicht so wie im Griechischen und Lateinischen gibt, das ist die Ellipse, das Weglassen von etwas, das sich sozusagen von selbst versteht; hier in meiner Übersetzung in eckigen Klammern.
Ich weiß, das ist kein gutes Deutsch. Aber diese Perioden haben schon etwas Reizvolles. Sie halten einen sozusagen in Atem. Sie belasten ja das Kurzzeitgedächtnis ziemlich stark, zwingen also zur Aufmerksamkeit und zum Mitdenken. Zum Beispiel dieser Satz von Kant, den ich weiter oben in diesem Thread zitiert habe:
Zitat von Immanuel KantIn diesem Betracht nun kann das vernünftige Wesen, von einer jeden gesetzwidrigen Handlung, die es verübt, ob sie gleich, als Erscheinung, in dem Vergangenen hinreichend bestimmt, und so fern unausbleiblich notwendig ist, mit Recht sagen, daß er sie hätte unterlassen können; denn sie, mit allem Vergangenen, das sie bestimmt, gehört zu einem einzigen Phänomen seines Charakters, den er sich selbst verschafft, und nach welchem er sich als einer von aller Sinnlichkeit unabhängigen Ursache, die Kausalität jener Erscheinungen selbst zurechnet.
Lang, gewiß; mit diesem typischen Hyperbaton (zwischen "kann" und "sagen" liegen rund 30 Wörter!); aber der Satz bildet doch einen nun einmal geschachtelten Gedanken angemessen ab, finden Sie nicht?
Zitat von LiberoNun ja, ich habe zwar Schopenhauer gelesen, aber nicht unbedingt mit Hingabe.
Ich habe als Vierzehn- oder Fünfzehnjähriger die "Aphorismen zur Lebensweisheit" gelesen und war davon ähnlich fasziniert wie damals auch von Nietzsche. Dann habe ich ihn aus den Augen verloren und erst wiederentdeckt, als ich mich als Student von Leibniz über Kant ins 19. Jahrhundert vorgearbeitet habe.
Das war alles so schön klar und ehrlich, Leibniz und Kant - und dann bin ich bei diesen Schwätzern Hegel und Fichte hängengeblieben, habe mich redlich an ihnen abgemüht und dachte immer wieder, ich verstehe das nicht. Bis ich bei der dritten oder vierten Lektüre der "Phänomenologie des Geistes" mal probeweise mit dem Lesemodell gearbeitet habe, daß Hegel ganz einfache Sachen meint, nur endlos drum herumschwätzt.
Da auf einmal habe ich ihn verstanden. Denke ich jedenfalls.
Ja, und Sie haben genau Recht - dann erst habe ich mir wieder den Schopenhauer vorgenommen, und das war, wie wenn man aus einem muffigen, verräucherten Zimmer an die frische Luft tritt. Meine Wertschätzung Schopenhauers hat sicher etwas damit zu tun, daß ich ihn als Kontrast zu Hegel gelesen habe. Ich glaube nicht, daß er als Erkenntnistheoretiker bedeutend gewesen ist. Seine ehrlich-pessimistische Ethik schätze ich und glaube, daß man sie mit Kants Ethik verbinden kann, obwohl das seltsam erscheinen mag.
Jedenfalls schreibt er schön, nämlich klar und einfach. Clare et distincte, wie Descartes es von Ideen fordert, denen man vertrauen kann.
Was man überhaupt sagen kann, das kann man einfach sagen. Das zeigt nicht nur Schopenhauer, sondern auch Descartes, Locke, Hume haben es gezeigt.
Nur Schwätzer müssen drei Piriouetten drehen, wo der ehrliche Denker nur leicht den Kopf neigt.
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