In Antwort auf: Die Freiheit ist also nach Kant mit der kausalen Bestimmtheit des menschlichen Handelns vereinbar, weil sie dem Menschen als Ding an sich zugehörig ist. Die Kausalität, als eine Kategorie der reinen Vernunft, gilt aber nur für die Welt der Erscheinungen.
Das ist der Ausgangspunkt dafür, daß Schopenhauer den Willen als Ding an sich konzipiert; als das Einzige, das uns nicht nur als Vorstellung zugänglich ist. Von daher der Titel "Die Welt als Wille und Vorstellung".
So eindeutig tut er das m. E. nicht, lieber Zettel. Und irgendwie habe ich auch Schwierigkeiten damit, das Schopenhauer den "Willen und die Vorstellung" als Buchtitel in einem Atemzug nennt. Das macht es ebenbürtig, was es m. E. nicht ist. Vielleicht wollte er aber auch nur Kants „Erscheinung“ (als entweder / oder) mit einbeziehen, weil er es als gleichbedeutend mit „Vorstellung“ oder „bloßer Schein“ betrachtet.
Kant, liebe Nola, hat ja die Welt nicht als bloßen Schein betrachtet, in keiner Weise. Er war, wie man so sagt, ein transzendentaler Idealist, aber ein empirischer Realist. Er war ja nicht der Meinung, daß die Welt im Kopf ist oder in einem geistigen Wolkenkuckucksheim à la Hegel.
Sondern er war der Überzeugung, daß wir in einer realen Welt leben. Einer Welt, die wir auch erleben. Und zwar so, wie wir es immer nur können, nämlich mittels unseres Erkenntnisapparats. Der, wie jeder Apparat, bestimmte Eigenschaften hat, und die hat Kant untersucht.
Aber es muß ja etwas dasein, auf das sich der Erkenntnisapparat richtet. Das war für Kant das Ding an sich.
Wir können von ihm nichts "an sich", also unabhängig von unserem Erkenntnisapparat wissen; das wäre ja ein Widerspruch in sich. Streng genommen können wir noch nicht einmal beweisen, daß es das Ding an sich überhaupt gibt. Aber es anzunehmen ist vernünftig, denn andernfalls müßten wir annehmen, daß wir gar nicht in einer realen Welt leben. Unser Erkenntnisapparat hätte dann gar keinen Gegenstand.
Schwierig wird es allerding mit der Person als "Ding an sich". Wie schon geschrieben, schlägt sich Kant fürchterlich herum mit dem Problem der Willensfreiheit. Und sein Ausweg ist, zu sagen, daß wir, wenn wir uns entscheiden, das nicht als das empirische Ich tun, sondern als etwas von der Erfahrung Losgelöstes, eben als Ding an sich.
Ohne Erfahrung - also auch nicht mit der Kategorie der Kausalität. Also - darauf kam es Kant an - können wir annehmen, daß unsere Entscheidungen frei sind, obwohl sie (von außen betrachtet und auch im Rückblick für mich selbst) als völlig kausal determiniert erscheinen.
Schopenhauer hat das alles zu vereinfachen versucht. Er hat Kant vorgeworfen (und dieser Vorwurf wird bis heute zu Unrecht erhoben), er habe einen Denkfehler begangen, indem er auf das Ding an sich als die Ursache der Erscheinungen geschlossen habe. Aber ein solche Schluß sei doch gar nicht statthaft, weil die Kausalität als Verstandeskategorie ja gerade nur für die Welt der Erscheinungen, der Phenomena und nicht der Noumena gelte.
Aber einen solchen Schluß hat Kant eben gerade nicht gezogen. Wenn er vom Ding an sich spricht, dann sagt er immer, was wir nicht darüber wissen können. Er hält es für vernünftig, seine Existenz vorauszusetzen (manche meinen, sogar im transzendentalen Sinn, also als eine Bedingung der Möglichkeit von Erkennen; das halt ich für falsch). Aber mehr eben auch nicht. Keinesfalls ein Kausalschluß.
In Bezug auf den Willen als Ding an sich ist Schopenhauer über Kant hinausgegangen. Für Kant bedeutet die oben referierte Überlegung nicht, daß wir uns selbst als Ding an sich erkennen können. Das war für ihn ein Unding, eine contradictio in adjecto. Genau das behauptet aber Schopenhauer in Bezug auf den Willen, zu dem wir sozusagen einen privilegierten Zugang haben sollen.
Im Grunde ist es ihm da meines Erachtens am Ende doch wie Hegel gegangen: Er hielt den stoischen Agnostizismus Kants nicht aus.
Hegel schlug die Volte, einfach auch das Ding an sich zum Produkt des Geistes zu erklären. Schopenhauer rettete sich in die Annahme, wir könnten doch immerhin über unseren Willen etwas erkennen, und der sei ein Ding an sich. Sozusagen an dieser Stelle den Erkenntnisapparat beiseitelegen und direkt gucken: Das vermeinte Schopenhauer zu können und zu dürfen.
Da hat er sich, denke ich, einer Illusion hingegeben.
Also, liebe Nola - ich bin halt Kantianer und nicht Schopenhauerianer. Ich empfehle, Schopenhauer zu lesen; ich schätze vieles an ihm. Aber seine Philosophie ist meines Erachtens, ganz anders als die Kants, heute überholt.
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