ich antworte wieder, der Lesbarkeit und der Gliederung der Diskussion wegen, in zwei Teilen.
Zitat von GomezUm die Verwirrung komplett zu machen: Hegel verwendet das Ding an sich in zwei Bedeutungen. Einmal als die reine Abstraktion, das jenseits jeder kategorialen Bestimmbarkeit Liegende und daher Bestimmungslose, und zur Beschreibung seines eigenen, Hegels, Untersuchungsgegenstands (allerdings dies nur in einer kurzen Bemerkung seiner Seinslogik).
Jetzt muß ich, lieber Gomez, Hegel fast gegen Sie in Schutz nehmen.
Ich sehe eigentlich keine Verwirrung. In der zitierten Einleitung zur WdL wird ja klar, wie er das meint: Er lehnt Kants Konzept des jenseits des Phainomenon liegende Noumenon, das keiner Erkenntnis zugänglich ist (noch nicht einmal hinsichtlich seiner Existenz) ab und setzt an seine Stelle ein Ding an sich, das er nur nicht so nennt, sondern "Sache an sich" oder "Gegenstand an sich". Und damit meint er etwas, das einerseits an sich existieren soll (also etwas nicht nur Subjektives ist), andererseits aber doch dem Geist entspringt und insofern intelligibel ist.
Ich halte das für eine Volte, ja für Taschenspielerei. Eine Sache "an sich", die zugleich eine solche für den Erkennenden ist, ist eine contradictio in adjecto. Wenn Hegel - falls ich Sie recht verstehe, ich kannte diese Stelle nicht - auch einmal die "Sache an sich", den "Gegenstand an sich" in seinem Sinn als "Ding an sich" bezeichnet hat, dann hat er damit a bisserl die Katze aus dem Sack gelassen: Er will, wie es ja überhaupt seine Art ist, Widersprüchliches irgendwie unter einen Hut bringen.
Zitat von GomezHegels Vorwurf gegen Kant ist ja, daß er seinen, Kants, Untersuchungsgegenstand aus analytischen Gründen separiere, nämlich in die Erscheinungswelt und den diese kategorisierenden Verstand, dann aber vergesse, daß das eine rein abstraktive Trennung ist. So kommt es dazu, daß es bei Kant der Sinnenwelt bedarf, damit der kategorisierende Verstand überhaupt erst aktiv wird, was im berühmten "Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind" zum Ausdruck kommt.
Ja, das stimmt, daß Kant das so sieht. Und natürlich in einer Tradition, die die ganze Philosophie der Neuzeit durchzieht. Und das ist eine "rein abstraktive" Trennung - was sonst? Kant vergißt das ja nicht, sondern ist sich dessen bewußt. Die Erscheinungswelt entsteht, indem der erkennende Verstand die Sinneseindrücke verarbeitet. Diesen Gedanken finden Sie schon bei Descartes, deutlicher dann bei Locke und Hume auf der einen Seite (aus sensations werden reflections bzw. impressions werden ideas), auf der anderen bei Condillac und Malebranche.
Wie man sich die Verarbeitung vorstellt, ist verschieden. Die Briten tendieren dazu, die Assoziation als den zentralen Mechanismen anzusehen. Bei Malebranche sind es unbewußte jugements. Auch bei Leibniz findet man eine solche Unterscheidung in der Gegenüberstellung von perception und apperception.
Zitat von GomezHegels Bewußtsein ist also immer schon ein sinnlich bestimmtes, weswegen er ja die Unterscheidung Subjekt-Objekt nicht mehr mitmacht und aus diesem Grunde die beide verbindende Struktur des Geistes verwendet.
Das scheinen mir nun zwei recht verschiedene Fragen zu sein. Daß das "Bewußtsein" (kein kantianischer Begriff, sehr zu Recht) im Sinn dessen, was Kant die Phainomena nennt, immer sinnlich bestimmt ist, bstreitet Kant natürlich überhaupt nicht. Wenn er in seiner Analyse, wie Sie richtig schreiben, nicht nach dem (damals) üblichen Schema vorgeht, bei den Empfindungen zu beginnen, so ist das allein eine Frage der Systematik der Darstellung. Das berührt nicht diesen simplen Sachverhalt: Die Bedingungen der Möglichkeit von Erkennen können nur insofern analysiert werden, als Erkennen eben stattfindet.
Und da gilt auch für Kant: Nihil in intellectu quod non prius fuerit in sensu (aus dem Gedächtnis zitiert, ich hoffe es stimmt so ungefähr) *).
Die Unterscheidung Subjekt-Objekt bleibt bei Hegel, wenn ich ihn nicht ganz falsch verstehe, schon erhalten. Das Objekt ist für ihn das "Andere". Oder - siehe oben - die "Sache an sich", der "Gegenstand an sich". Nur will er das Kuckucksei aus dem Nest werfen, das Descartes uns beschert hat, nämlich die Subjekt-Objekt-Spaltung.
Insofern steht er viel mehr als Kant in der Tradition der nachcartesianischen Ontologie und Epistemologie; die Überwindung der Trennung von res cogitans und res extensa ist ja eines der ganz großen Themen, mit dem sie sich aller herumgeschlagen haben, jeder auf seine Art - die Occasionalisten, Spinoza, Leibniz.
Soweit erst einmal.
Herzlich, Zettel
*) Nachtrag: Mit Ausnahme natürlich der synthetischen Urteile a priori. Das ist so selbstverständlich, daß ich es versäumt habe, es zu erwähnen.
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