Lieber Bernd,
Ihr Lob freut mich; und ich gebe es an alle die weiter, die hier schreiben. Die ihre Zeit, ihre Kenntnisse und ihre Klugheit daran wenden, uns alle kenntnisreicher und klüger zu machen.
Danke für die schönen Beispiele! Wenn man sich die Geschichte der Philosophie ansieht, dann ist ja eigentlich das, was Schopenhauer verlangt - daß man dann, wenn man wirklich etwas zu sagen hat, es auch einfach und verständlich sagen kann - , nachgerade das Markenzeichen der Großen.
Welche Mühe hat sich Platon damit gemacht, durch die Form des fiktiven Dialogs dem Leser das Verstehen zu erleichtern; bis hin zu den Einkleidungen in kleinen Geschichten. Galilei hat das aufgenommen (wenn auch wohl auch, um die Zensur auszutricksen). Leibniz hat das Format des Dialogs gelegentlich benutzt, zB in der Confessio Philosophi, einem sehr schönen Dialog über Gott und die Welt. Auch von Schopenhauer gibt es einen Dialog - über die Religion -, den ich sehr empfehlen kann. Da geht es auch um Religion als "Opium des Volks", wenn Schopenhauer natürlich auch nicht diese Metapher benutzt. Und dagegen setzt Schopenhauer Aufklärung und Ehrlichkeit.
Auch Aristoteles ist in der didaktischen Art, wie er ein Problem entwickelt, ganz auf Verständlichkeit gerichtet (seine Werke sind ja auch aus seinem Unterricht hervorgegangen). Und so bei den anderen Großen. Descartes hat, vor allem in den französischen Schriften, so einfach geschrieben, daß es ein Vergnügen ist, ihn zu lesen.
Kant freilich war zwar ein guter Lehrer, hat sich aber beim Schreiben nicht die Mühe gemacht, leicht verständlich zu sein. Warum, darüber wird viel gerätselt. Er hat die ganze "Kritik der reinen Vernunft" in, wenn ich mich recht erinnere, fünf oder sechs Monaten niedergeschrieben. Natürlich nach langen Vorarbeiten; aber er hat wie in einem Rausch geschrieben und hätte statt des treuen Green einen guten Lektor gebraucht. Dann spielte bei den späten Schriften eine Rolle, daß er wohl spürte, wie seine geistige Spannkraft nachließ, und er schrieb in noch mehr fliegender Eile.
Wer beruflich viel schreiben muß, der weiß, daß nichts schwerer ist, als einen Gedanken einfach auszudrücken. Ich habe das nach Kräften versucht, wenn ich Zeit hatte. Das Manuskript meiner Dissertation habe ich aufgehoben. In dieser Zeit, Jahrzehnte vor dem ersten Worteditor, natürlich auf einer IBM getippt. Der Text wurde immer wieder überarbeitet, indem ich Passagen neu geschrieben und dann das Alte damit überklebt habe. Mein Arbeitszimmer duftete immer nach Uhu. 
So wurden manche Seiten allmählich so dick wie Pappe. Solange halt, bis ich es fertiggebracht hatte, mich einfach auszudrücken. Aus langen Sätzen kurze zu machen. Abschweifungen und Einschübe herauszuwerfen. Den Kern der Sache herauszuarbeiten.
Es geht. Jeder könnte es, glaube ich. Es ist nur mühsam. Und bei Hegel - siehe die Diskussion mit Gomez - scheint mir, daß er sich undeutlich ausdrückt, weil er nicht die Zeit oder die Lust oder die Kraft hatte, einen einfachen Text zu schreiben. Clare et distincte.
Herzlich, Zettel
PS: Willkommen im "kleinen Zimmer"!
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