In Antwort auf:Entweder ist auch das Ansich ein Produkt des Geistes. Oder es existiert unabhängig von ihm, dann ist es ein Ding an sich in Kants Sinn. Da Hegel das zweite ablehnt, muß er das erste meinen.
Da habe Sie völlig Recht. Aber daraus folgt ja nicht, daß es sich um die Konstruktion meines Geistes handelt, dem das Objekt nur ausgesetzt ist. Denn das Objekt ist genauso abhängig vom Subjekt wie umgekehrt.
Da sind wir, lieber Gomez, bei einem Knackpunkt. Was nicht mein Geist ist (und natürlich auch nicht der eines menschlichen Anderen, und auch nicht das, was Hegel den objektiven Geist nennt, also die Kultur) - was ist das dann? Es ist Gott.
Es ist Gott, der bei Hegel der absolute Geist heißt. Hegel war Theologe. Und es wird meines Erachtens oft unterschätzt, wie sehr sein "System" theologisch geprägt war. Man sieht ihn gern sozusagen von früher und von später her - als einen, der auf Kant aufbaut (manchmal werden ja gar beide mit Fichte unter "deutscher Idealismus" in einen Topf geworfen) und andererseits als so etwas wie einen Vorläufer von Marx. Beide der Theologie abhold.
Vielleicht ist das ein Grund dafür, daß man das theologische Element bei Hegel oft unterschätzt. Er war eben ein Zeitgenosse der Romantik; er war heftig bewegt von der Rückkehr des Religiösen in dieser Zeit.
Mir ist das das erste Mal aufgegangen, als ich den Artikel "Hegel and Hegelianism" in der Encyclopedia Britannica gelesen habe. (Ich habe die fünfzehnte Auflage; da ist es pp. 551 - 561 im 20. Band der Macropedia). Der Autor ist T. Malcolm Knox, ein ausgezeichneter Hegel-Kenner, Übersetzer von dessen theologischen Schriften und der Ästhetik; er war übrigens langjähriger Rektor der St. Andrews University. Er schildert den Inhalt der um 1798 entstandenen Schrift "Der Geist des Christentums und sein Schicksal" und konstatiert dazu: "In this essay the leading ideas of Hegel's philosophy are rooted". Knox sieht in Hegels System "a philosophy, based on the concept of spirit, that will distill into a conceptual form the insight of religion".
Als ich das vor Jahren zum ersten Mal gelesen habe, war es für mich der Schlüssel zum Verständnis von Hegel. Er hatte überhaupt keine Begabung zur Erkenntnistheorie, denn in der Religion - jedenfalls einer Offenbarungsreligion - stellt sich ja die Frage nach der Erkennbarkeit der Welt gar nicht; die Wahrheit braucht nicht gesucht zu werden, man muß sich ihr nur öffnen. Deshalb konnte er im Grunde auch mit Kant nichts anfangen.
Von Kant führt der Weg über die Neukantianer und die Wiener Schule zur heutigen analytischen Philosophie. Von Hegel führt kein Weg in die moderne Philosophie; nur einer zu Marx.
Oder anders gesagt, lieber Gomez: Kant stand in der von Descartes eröffneten erkenntnistheoretischen Tradition (wie gelange ich von meinem eigenen Bewußtsein aus zur Erkenntnis der Welt?). Hegel steht hingegen in der von Descartes eröffneten ontologischen Tradition der Trennung von res cogitans und res extensa.
Diese cartesianische Spaltung irgendwie zu überwinden war ja ein zentrales Thema der Philosophie des 17. und teilweise noch des 18. Jahrhunderts: Spinozas Pantheismus sollte das leisten, die "occasiones" bei Malebranche, die Leibniz'schen Monaden. Bei Spinoza war die Zauberformel "deus sive natura". Bei Hegel ist sie der "Geist", der als absoluter Geist nicht nur Gott, sondern ganz à la Spinoza auch die ganze Welt ist und als subjektiver das menschliche Bewußtsein. Sozusagen aus demselben Stoff "Geist" gemacht das alles; also vorbei mit der cartesianischen Spaltung.
Das war aus meiner Sicht, lieber Gomez, alles sehr rückwärtsgewandt; genau wie die Romantik. Leider hat Marx das eine oder andere von Hegel übernommen, so daß es in unsere Zeit hineingerettet wurde. Vor allem natürlich den Gedanken einer Heilsgeschichte, die bei Hegel das Zu-sich-selbst-Kommen des absoluten Geists ist, und bei Marx die Weltgeschichte, die vom Paradies des Urkommunismus über die Dialektik der Klassenkämpfe in das Zeitalter der Wiederkunft des Kommunismus führen soll.
Hegel hat religiöses Denken unter die Philosophen gestreut, Marx hat es unter die Leute gebracht. In einer sehr verwässerten Form, natürlich. Aber immer noch religiös genug, daß es zur Ersatzreligion taugte.
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