Zitat von Libero... es ist mir bewußt, daß vieles von dem, was Egon Friedell in der Kulturgeschichte der Neuzeit überholt ist. Unkritisch darf man ihn nicht lesen. Wenn man das weiss, entdeckt man einen Meister der deutschen Sprache.
Ja, unbedingt. Der Sprache, und auch der brillanten Einsicht. Zum Beispiel, auf der letzten der tausend Seiten: "Die Psychoanalyse ist ein System des Irrationalismus, begründet mit den Methoden des Rationalismus; ein Transzendentalismus, errichtet von einem extremen Positivisten".
Aber auf derselben Seite auch dies: "Am Anfang der Neuzeit steht Descartes, der nichts anerkennt als die clara et distincta perceptiound daher in ganz konsequenter Weise den Menschen zu einem Automaten erklärte". Genau das hat Descartes nicht getan; man kann das ausführlich in seinem Werk "De l'Homme" nachlesen. Automaten waren für ihn die Tiere; der Mensch explizit nicht.
Solche Schnitzer sind vielleicht der Preis für die stupende Belesenheit von Friedell. Wer sich so viel an Wissen angeeignet hat, der vertut sich auch schon mal. Aber vielleicht ist auch Friedells Anspruch doch ein wenig sehr hoch gewesen: Er wollte in allem firm sein - von der Philosophie über die Künste bis zur Alltagsgeschichte, bis zur Geschichte der Wissenschaften.
Zitat von LiberoBei Oswald Spengler geht es mir anders. Das Buch habe ich seit Jahrzehnten, oft zu ihm gegriffen und Passagen in ihm gelesen, aber eigenartig, nie hat es mich in sich gezogen, so daß ich es nicht mehr aus der Hand legte. Oswald Spengler scheint immer noch Menschen zu faszinieren. Ein Kolumnist der Asia Times nennt sich Spengler. Diesen Spengler lese ich häufiger als Oswald Spengler.
Vor ein, zwei Jahren habe ich die Essays von Gottfried Benn gelesen. Auch da Anklänge an das, was man sowohl bei Spengler als auch bei Friedell findet (auf ganz andere Art auch bei Jünger): Dieser, sagen wir, heroische Pessimismus. Dieses ambivalente Verhältnis zu den Naturwissenschaften, von denen man einerseits fasziniert ist, deren Dominanz man aber andererseits als kulturellen Niedergang sieht.
Für Spengler leben wir in der Endzeit der "faustischen" Kultur, vergleichbar der Spätantike. Friedell zieht eine Parallele zur Endzeit des Mittelalters in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, für die er eine "allgemeine Pychose" diagnostiziert - auch unsere Zeit sei "eine Periode der epidemischen Psychosen".
Das sind Überzeichnungen, so wie auch Friedells allen Ernstes angestellte Vermutung, die damals gehäuft auftetenden Plagen, Erdbeben, Kometen seien "deutliche Zeichen eines wunderbaren Zusammenhangs des gesamten kosmischen Geschehens". Er ist ja auch auf eine seltsam naive Weise von der Existenz paranormaler Phänomene überzeugt.
Aber dennoch ist sein Kapitel über diese Endzeit des Mittelalters ("Die Inkubationszeit") das Gescheiteste, das Erhellendeste, was ich zu dieser Zeit jemals gelesen habe.
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