Beim Suchen danach, wie eigentlich Gysi Vorsitzender der SED wurde (es scheint, daß es vor dem 16./17. Dezember schon einen Parteitag gab, auf dem er möglicherweise gewählt wurde) bin ich auf ein interessantes Dokument gestoßen, in dem im Grunde schon die heutige Strategie der SED über alle Umbenennunen hinweg von Gysi dargelegt wird.
Es handelt sich um den Vermerk "über ein Gespräch von Gregor Gysi, Vorsitzender der SED, mit Raffael Fjodorow, stellvertretender Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU" vom 10. Dezember 1989. Auszüge:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowAuf die weitere Entwicklung der SED eingehend betonte Gregor Gysi die Notwendigkeit, kommunistische, sozialdemokratische und pazifistische Elemente und Traditionen stärker auszuprägen.
Jetzt komme es darauf an klarzumachen, was darunter zu verstehen sei. Von den Kommunisten werde das Ideal der klassenlosen Gesellschaft übernommen. Abzulehnen sei ihr Hang zum Administrieren und ihr Anspruch, die alleinige Wahrheit zu vertreten. Diese dogmatische Haltung könne nicht beibehalten werden. Bei den Sozialdemokraten komme es darauf an, ihr Verhältnis zur Demokratie, ihre Reformfähigkeit aufmerksam zu studieren und stärker in der Partei zum Tragen zu bringen. Abzulehnen sei dagegen die Halbherzigkeit der Sozialdemokraten bei der Revolution. Bei der Haltung der Pazifisten sei für die SED überlegenswert, ihre Beziehungen zum Menschen, die Betonung des Individuums in der eigenen parteipolitischen Praxis stärker auszuprägen. Nicht übernehmen könne man dagegen ihre Einstellung, daß man sich nicht verteidigen dürfe.
Besonders interessant ist, wie der Vorsitzende Gysi sich über eine eventuelle Intervention der UdSSR äußerte:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowWas die Verwirklichung des Prinzips der Nichteinmischung von seiten der KPdSU anbetreffe, so habe das seine zwei Seiten, eine gute und eine weniger gute. Die KPdSU und die UdSSR haben seinerzeit die SED und die DDR in die Selbständigkeit entlassen, und das habe zur Krise geführt. (...)
Auf die offene Frage Gregor Gysis, wie weit die Bereitschaft der UdSSR gehe, der DDR in allen Notfällen zu helfen, bemerkte Raffael Fjodorow, daß er keine Vollmacht für eine offizielle Antwort darauf besitze. (...)
Gregor Gysi betonte hierzu, daß ein militärisches Machtwort die allerallerletzte Frage sei, sie aber auch dann nicht real in Betracht komme. Es sei aber angebracht, hier an die Bündnisverpflichtungen zu erinnern, daß bei einem Angriff der BRD die Sowjetunion Beistand leisten werde. Heute bestehe die Notwendigkeit, die Bündnisfrage juristisch zu prüfen.
Dann befaßte man sich mit einer eventuellen Namensänderung der SED. Was Gysi dazu sagte, ist nun wirklich verblüffend:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowGregor Gysi bemerkte dazu, daß der gegenwärtige Name Sozialistische Einheitspartei Deutschlands zwei schädliche Dinge enthalte, die Worte Einheit und Deutschland. Im neuen Namen der Partei wird es das Wort Deutschland nicht mehr geben.
Über die künftige Struktur der SED bemerkte Gysi dies:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowWas die Struktur der Partei angehe, so habe Gregor Gysi Angst, daß die Grundorganisationen in den Betrieben zerschlagen würden. Es sei sehr fraglich, wieviel Genossen sich dann in den Territorien tatsächlich aktiv für die SED einsetzen würden. Es kommt darauf an, die G[run]O[rganisationen] in den Territorien zu stärken; in Betrieben könnte man auf Parteiaktivs orientieren.
Und zum Schluß noch ein besonders Schmankerl:
Zitat von Vermerk über das Gespräch Gysis mit FjodorowBezugnehmend auf das angekündigte Treffen der vier Mächte erkundigte sich Gregor Gysi, wie groß das Interesse der Westmächte an der Verhinderung der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten sei. In Beantwortung dieser Frage betonte Raffael Fjodorow, daß ihr Interesse daran ziemlich groß sei, obwohl sie öffentlich nicht direkt das zum Ausdruck bringen könnten.
Viele nehmen es ja der SED bis heute ab, daß sie sich Ende 1989 über Nacht von einer kommunistischen in eine demokratische Partei verwandelt hat, daß sie die Wiedervereinigung wollte usw. Denen sollte man den Gesprächsvermerk sozusagen unters Kopfkissen legen.
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