Zitat von ZettelIch wachte auf und erinnerte mich an einen Traum. Kann ich sicher sein, diesen Traum, schlafend - in einer REM-Phase meines Schlafs - tatsächlich erlebt zu haben? Gibt es überhaupt ein Traumbewußtsein?
Stellt sich diese Frage nicht auch bei dem Wachbewußtsein? Habe ich den Spaziergang nach dem Essen heute tatsächlich erlebt?
Das sehe ich auch so. Jede Erinnerung kann ein false memory sein. Im Experiment kann man solche false memories sogar gezielt sozusagen in ein Gehirn einpflanzen.
Allerdings sehe ich einen wesentlichen Unterschied zur Sachlage beim Träumen:
Daß Sie zu der Zeit bei Bewußtsein waren, als sie den Spaziergang machten, an den Sie sich erinnern (wenn Sie ihn denn machten), ist aufgrund anderer, ähnlicher Erfahrungen zu vermuten (als zum Beispiel Ihr Nachbar sie sah).
Beim Erinnern von Träumen hingegen könnte es sein, daß sich grundsätzlich vor dem Aufwachen nichts im Bewußtsein abspielt. Es muß nicht so sei, aber es kann. Wir wissen es nicht; und bisher ist mir keine Möglichkeit eingefallen, wie man das überprüfen könnte.
Zitat von KalliasRussell spekulierte mal, wenn die Welt vor fünf Minuten erschaffen wurde, mitsamt allen Gedächtnisspuren, Archiven, Tonscherben im Wüstensand usw., dann wären alle Aussagen der Geschichtswissenschaft falsch; Napoleon hätte nie gelebt, der Trojanische Krieg nicht stattgefunden, Russell niemals promoviert usw., ohne daß wir die geringste Chance hätten, diese Annahme zu widerlegen.
Es haut einem bei solch einem Argument erstmal die Beine weg; es soll aber Zeugnisse geben, wonach Russells Bemerkung eine ausgiebige ernsthafte Debatte nach sich gezogen habe.
Zu Recht, finde ich. Auch wenn das Argument heutzutage eher in abgewandelter Form von Kreationisten verwendet wird: Vor 6000 Jahren wurde die Welt von Gott mit allen Merkmalen geschaffen, die darauf schließen lassen, sie sei Milliarden Jahre alt.
Was Russells Szenario angeht, kann man allerdings fragen, worin denn der Unterschied besteht. Angenommen, die Welt wurde vor fünf Minuten erschaffen und wir beide, samt allen anderen daran Interessierten, beginnen jetzt mit dem Versuch, uns einen Reim auf alle diese Dokumente usw. zu machen - dann käme so ungefähr dasselbe heraus wie jetzt.
Zitat von KalliasEine andere Frage ist die, ob es überhaupt Bewußtlosigkeit gibt: wenn wir meinen, gerade eben aus Bewußtlosigkeit erwacht zu sein, liegt das womöglich nur daran, daß die Bewußtheit zuvor keine Spuren im Gedächtnis hinterlassen hat?
Vielleicht ist es gar keine andere Frage, sondern dieselbe, von der anderen Seite betrachtet?
Augustinus hat den Begriff Memoria verwendet, von dem manche meinen, er sei ein Vorläufer des Begriffs des Bewußtseins. Von William James stammt der Satz "our consciousness is an after-consciousness" (aus dem Gedächtnis zitiert).
Das Problem hat praktische, ja ethische Aspekte. Wie sicher kann man eigentlich sein, daß jemand, der in Narkose liegt, keine Schmerzen empfindet? Daß er sich nach Ende der Narkose nicht daran erinnert, besagt nichts; eines der Narkotika könnte auch das Gedächtnis ausgelöscht haben. Daß er nicht die üblicherweise mit Schmerz einhergehenden Reflexe zeigt, ist ein stärkeres, aber kein zwingendes Argument; denn Narkotika lähmen auch die Motorik. Auch wird bei der Diagnose von Bewußtsein auf Reflexe keine Rücksicht genommen, weil man davon ausgeht, daß die auch ohne Bewußtsein funktionieren.
Zitat von KalliasManchmal, wenn ich nach einem Traum aufzuwachen glaube, kann ich miterleben, wie die Erinnerung an den Traum zu zerfallen scheint. Zerfällt das Gedächtnis schneller, als ich es schlaftrunken aufgreifen kann, bilde ich mir dann ein Erwachen aus Bewußtlosigkeit ein?
Es könnte auch sein, daß die in einem Zustand der Bewußtlosigkeit, aber der Aktivität bestimmter Systeme im Gehirn gebildeten Spuren, die uns "Erinnerungen" vorgaukeln, schnell zerfallen.
Entgegen dem, was man vor einem halben Jahrhundert dachte, als Kleitman und Mitarbeiter ihre bahnbrechende Entdeckung des REM-Schlafs machten, "gibt" es auch im NREM-Schlaf eine Art Träumen, nur weniger lebhaft, weniger bizarr.
Woher weiß man das? Weil Personen, die man in einer NREM-Phase weckt, dennoch von solcher mentation erzählen. Aber wann fand sie statt? Findet sie überhaupt als bewußtes Erleben statt?
Danke, lieber Kallias, für Ihre sehr interessante Kommentierung!
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