mir scheint, wir kommen langsam voran bei der Rekonstruktion dieser Fehlentwicklung (aus meiner Sicht; Sie sehen es ja - noch ;-) - anders):
-- Bis zum Beginn der Vierten Legislaturperiode 1961 gab es überhaup keinen Koalitionsvertrag
-- 1961 gab es eine schriftliche Vereinbarung, die sich aber nur auf bestimmte damals zentrale Punkte bezog, wie den Rücktritt Adenauers im Lauf der Legislaturperiode
-- Danach gab es immer noch keinen formalen Koalitionsverträge; wann genau die eingeführt wurden, wissen wir (weiß ich) immer noch nicht.
-- Und jetzt haben wir Ihren interessanten Fund aus dem Jahr 1993.
Im Januar 1993 war - ich hatte das schon in einem anderen Beitrag erwähnt - der Wirtschaftsminister Möllemann zurückgetreten. Nun wurde also ein Nachfolger gesucht. In dem Artikel heißt es (der Text ist in der jetzigen Version a bisserl durcheinandergeraten, man muß ein paar Absätze umstellen):
Zitat von Hamburger Abendblatt vom 11.1. 1993Umgekehrt gibt es bei der Union erhebliche Verärgerung über den am Freitag gewählten FDP- Kandidaten für das Amt des Wirtschaftsministers, Günter Rexrodt. Rexrodt hatte nach seiner Wahl durch die FDP-Gremien öffentlich erklärt: "Und der Bundeskanzler hat das zur Kenntnis zu nehmen und zu bestätigen."
Dieses Verhalten bezeichnete der stellvertretende Unions-Fraktionschef Heiner Geißler als "anmaßend". In der "Bild am Sonntag" sagte Geißler, die Erklärung zeige, "wie der verlotterte Umgang mit der Verfassung bei zu vielen in der FDP Schule macht". (...)
Inzwischen hat Rexrodt seine Äußerung selbst als "Dummheit" bezeichnet. FDP-Chef Graf Lambsdorff entschuldigte sich bei Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) wegen Rexrodts Ausrutscher.
Lambsdorff und sein designierter Nachfolger Kinkel betonten ausdrücklich das Recht des Bundeskanzlers, Minister auszuwählen und zu benennen.
Wir wissen also jetzt, lieber Florian, daß noch im Jahr 1998 es gerade nicht in einem "Koalitionsvertrag" festgelegt war, daß die Parteien selbst entscheiden durften, wen sie ins Kabinett "entsenden". Damals galt noch das, was die Verfassung so vorsieht: Dies war das alleinige Recht des Kanzlers.
Ich sehe damit meine Vermutung bestätigt, daß die eigentliche Fehlentwicklung erst 1998 begann. Aber daß 1993 Rexrodt überhaupt seinen Vorstoß machen konnte, bevor Kinkel und Lambsdorff ihn zurückpfiffen, zeigt, daß es auch damals schon Tendenzen in Richtung Aushöhlung des Rechts des Kanzlers in diesem Punkt gab.
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