Lieber Vielleichteinlinker,
Zitat von vielleichteinlinker Fischers zentrale Quelle ist diese hier: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_...document_id=799 und Sie haben Recht wenn er den "Beweis" nicht erbracht haben konnte dass diese Haltung 1914 noch gültig war oder gar die Entscheidungen beeinflusst hat. ABER lässt sich nicht von der Hand weisen dass eben jener Moltke 1914 seinem Amtskollegen in Wien energisch dazu riet gegen Serbien loszuschlagen. Fisch konstatiert schlicht dass diese Dinge zusammenpassen - und das tun sie.
Der Historiker ist bekanntlich ein rückwärts gewandter Prophet. Man wird für jede halbwegs plausible These Indizien finden. Man wird meist ein Bild konstruieren können, dessen Teile zusammenpassen.
Fischer hat das große Verdienst, darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß die damals gängige These vom "Hineinschliddern" in den Krieg nicht die einzige mögliche Narrative ist. Daß sein Ansatz aber seinerseits einseitig war, wird inzwischen wohl nur noch von wenigen bestritten.
Zitat von vielleichteinlinker
In Antwort auf: Was die Nibelungentreue angeht - Pacta sunt servanda.
Das klingt beim ersten Lesen zynisch. Beim zweiten Lesen stimmt es einfach nicht mehr, denn: Es gab kein Bündnis das Deutschland verpflichtet hätte Russland den Krieg zu erklären. (Hier befände man sich noch in einer Grauzone)
Die Kriegserklärung erfolgte nicht aus Nibelungentreue, sondern als Antwort auf die Generalmobilmachung in Rußland, die am 31. Juli verkündet wurde. Deutschland verlangte erfolglos, daß diese rückgängig gemacht werden müsse. Diese Mobilmachung war gegen Deutschland ebenso wie gegen Österreich-Ungarn gerichtet und bedeutet - Kaiser Wilhelm hat dazu sogar ein Memorandum verfaßt - für Deutschland den Bündnisfall.
Die deutsche Regierung erklärte sich aber - ich habe das schon erwähnt - sofort auf eine englische Initiative hin bereit, eine englische Garantie für die Neutralität Frankreichs zu akzeptieren und damit eine eventuellen Krieg auf Deutschland/Österreich-Ungarn vs. Rußland zu beschränken. Eine nur den Osten erfassende deutsche Mobilmachung war aber, wie Moltke dem Kaiser erklärte, logistisch nicht möglich.
Zitat von vielleichteinlinker was "vor allem weil sie hinter "Anfang August" einen ganzen Juli versteckt halten in dem nichts passiert ist!" angeht, bezieht sich das auf Ihr Zitat
In Antwort auf: Mit der Möglichkeit eines Kriegs wurde seit der Jahrhundertwende überall in Europa gerechnet. Überall gab es Pläne für diesen Fall; vor allem Mobilmachungspläne, die überall, wenn der Vorgang erst einmal begonnen hatte, ihre Automatik entfalteten. Das geschah Anfang August.
Das Attentat war am 28. Juni, der Krieg begann im August. Den Welt-Krieg auf eine "Automatik" zurückzuführen, ignoriert die Tatsache dass zwischen Auslöser dieser Automatik und ihrem Beginn ein ganzer Monat liegt. Diese Zeitspanne war nicht von Hektik und Panik geprägt.
Wo habe ich denn den "Weltkrieg auf eine Automatik zurückgeführt"? Lieber Vielleichteinlinker, unsere Diskussion hat sehr an Niveau gewonnen, aber seien Sie mir nicht böse, wenn ich nochmals darum bitte, mir nichts zu unterstellen, was ich nicht geschrieben habe.
Ich habe diese Automatik als einen Faktor genannt. Man kann das im einzelnen sehen: Rußland will ursprünglich, um eine Eskalation zu vermeiden, nur eine Teilmobilmachung. Aber die sehen die Mobilisierungspläne nicht vor. (Eine Mobilmachung ist ja ein immens komplexes Unternehmen, das jahrelang geplant werden muß). Also teilt der russische Generalstab dem Zaren mit, daß nur eine Generalmobilmachung möglich sei. Diese wiederum sieht Deutschland (zu Recht) als Bedrohung an. Auch in Deutschland ist aber eine Teilmobilmachung, einseitig an der Grenze zu Rußland, nicht möglich. Also gibt es in Deutschland eine Generalmobilmachung, die wiederum England und Frankreich als Bedrohung wahrnehmen.
Zitat von vielleichteinlinker
In Antwort auf: Es war aber so. Ich denke, ich finde auch noch eine Quelle.
Ihr Gedächtnis in Ehren (es erinnert mich was das Müllproblem angeht an meines, auch wenn es bei mir eher ein Fußballschuhproblem ist) aber ich habe meine Zweifel. Ich schließe - siehe das Fußballschuhproblem - nie aus dass ich mich irre oder etwas vergesse. Aber weder Röhl noch Massie kennen diese Anekdote. Wenn, müsste das vor Wilhelms Militärzeit und wahrscheinlich vor seinem Studium passiert sein. Aber ich suche noch, denn ganz aus der Luft greifen Sie ja nicht, Ihr Gehirn vergisst ja eher als das es hinzufügt (siehe das Müllproblem... ;-) )
So ist es, lieber Vielleichteinlinker. Ich hätte mir das nicht gemerkt, wenn ich es nicht überraschend gefunden hätte und wenn die Quelle nicht seriös gewesen wäre. Also, schaumama.
Zitat von vielleichteinlinker
In Antwort auf: Und daß diese Politik breite Unterstützung fand, wird nicht nur durch Zitate wie die von Max Weber und Friedrich Naumann belegt. Denken Sie nur an die "Matrosenanzüge", die damals geradezu die Uniform der Jungen gewesenist. Der Flottenverein hatte mehr als eine Million Mitglieder!
Das habe ich nie bestritten oder in Frage gestellt. Ich frage mich jetzt aber welche Relevanz dieser Einschub haben soll!?
Wir diskutieren in diesem Subthread ja über die Motive für die Flottenpolitik; die auf der verlinkten Site aufgezählten Motive waren doch unser Ausgangspunkt. Zu diesen Motiven gehörte eben auch die breite nationale Zustimmung zu einer solchen Politik. Wäre sie unpopulär gewesen, hätte der Kaiser sie nicht durchsetzen können.
Zitat von vielleichteinlinker Das nächste Zitat lasse ich aus. "Naval Race" ist schlicht das "Wettrüsten auf See", ich vermute Sie unterliegen hier schlicht einem Übersetzungsfehler.
Sie hatten das geschrieben, mit Bezug auf die verlinkte Site, wo es nicht steht.
Zitat von vielleichteinlinker
In Antwort auf: "Grotesk", lieber Vielleichteinlinker, ist es keineswegs, daß eine Kriegsmarine auch die Fischereiflotte schützt. Niemand, auch nicht die Site, behauptet ja, daß das das einzige Motiv gewesen sei.
Doch, das ist es. Nach 1905 war das Flottenprogramm der Deutschen auf Schlachtschiffe konzentriert die nicht taugen, eine Fischereiflotte gegen Piraterie zu schützen sondern nur für den Kampf von Schlachtschiffen gegen Schlachtschiffe konzipiert sind. Deswegen "grotesk".
Was meinen Sie mit "konzentriert"? Es wurden Schlachtschiffe gebaut, und es wurden Schiffe in anderen Klassen gebaut. In den achtziger und neunziger Jahren zum Beispiel neun Küstenpanzerschiffe mit zwischen 3700 und etwas über 5000 BRT, die sich genau zum Fischereischutz eigneten. Die Flottenpolitik begann ja nicht erst 1905.
Es stimmt, daß nach der Jahrhundertwende vor allem Schlachtschiffe gebaut wurden. Aber das lag schlicht daran, daß die Marine in den kleineren Klassen schon genug Schiffe aus den achtziger und neunziger Jahren hatte.
Zitat von vielleichteinlinker
In Antwort auf: Warum aber wird diese Kriegsschuldfrage so, sagen wir, liebevoll immer wieder gewälzt? Das wäre einmal ein interessantes Thema. Es hat, glaube ich, viel mit der Deutungshoheit über die deutsche Geschichte zu tun, die die Linke gern monopolisieren möchte.
Das glaube ich Ihnen, halte es aber für falsch. Nicht weil ich derlei Verschwörungstheorie für logisch absurd halte - was ich tue.
Ich halte Verchwörungstheorien auch für absurd, wenn auch nicht aus logischen Gründen. Drum vertrete ich grundsätzlich keine Verschwörungstheorie. 
Zitat von vielleichteinlinker Ich halte es für absurd weil das die größte Debatte der Deutschen Geschichtswissenschaft ist, das Ereignis selbst einer eigenen Wissenschaft zur Geburt verholfen hat und weil es das folgenschwerste Ereignis des 20. Jahrhunderts ist - eben die Urkatastrophe. (Auch wenn ich den Begriff für problematisch halte) Das reicht schon um die "Kriegsschuldfrage" am "Leben" zu erhalten.
Das bestreite ich ja gar nicht. Alles richtig. Aber bis zu Fischers Buch schien diese Frage ja weitgehend geklärt; und zwar in der Weise, die ich nach wie vor für richtig halte: Es gab in Europa vielfältige Spannungen. Man ging im Machtspiel auf allen Seiten manchmal - brinkmanship - bis an den Rand eines Krieges; siehe den Panthersprung nach Agadir. Aber niemand wollte einen Krieg. In diesen ist man hineingeschliddert.
Es war, lieber Vielleichteinlinker, das Denken und die Erfahrung des 19. Jahrhunderts. Man droht mit Krieg, um machtpolitische Ziele zu erreichen. Man will ihn nicht, nimmt ihn aber in Kauf, wenn es denn schief geht. Man rechnet damit, daß ein solcher Krieg schnell vorbei ist, so wie 1866 und 1871.
Nur war man nicht mehr im 19. Jahrhundert. Man hatte völlig unterschätzt, welche Dynamik man loslassen würde.
Der Krieg endete völlig anders, als er begonnen hatte. Man braucht sich bloß die Bilder von den Landsern mit Pickelhaube anzusehen, die 1914 loszogen, und von den denen mit Stahlhelm, die vier Jahre später zurückkamen.
Herzlich, Zettel
PS: Noch ein kleiner Tip: Ihr Beitrag ist im Thread ziemlich verrutscht. An der beabsichtigten Stelle erscheint er dann, wenn Sie den Beitrag, auf den Sie antworten, im Threaded-Modus öffnen. Sie können es auch im Flat-Modus tun, müssen dann aber bis zu diesem Beitrag scrollen und bei diesem auf "Anworten" klicken.
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