In Antwort auf:Wieso kann man Geschichte eigentlich nichtmal als vielfach chaotischen Prozess betrachten, wo man schlicht keine Schuldigen für bestimmte Verläufe ausmachen kann?
Weil es gleichzeitig bedeuten würde, dass jemand der Kenntnis von einem Konzentrationslager hatte und sich dennoch mit den Nazis arrangiert hat, keinerlei Schuld treffen würde. Wenn man Schuld als reines Konzept des Handelnden begreift, nicht aber desjenigen, der bewusst nicht handelt, definiert man einen Verantwortungsbegriff, der zwar konsistent aber schwierig ist. Und nebenbei im mikroskopischen in allen westlichen Ländern weitgehend abgelehnt wird.
Das Problem, lieber Llarian, liegt aus meiner Sicht darin, was "Kenntnis haben" bedeutet. Das war ein Kontinuum von denjenigen, die unmittelbar mit KZs zu tun hatten (oder Soldaten, die Erschießungen miterlebt haben) und denjenigen, die keine Ahnung hatten.
Die meisten Deutschen lagen damals mit ihrer Kentnnis irgendwo dazwischen. Das ist jedenfalls mein Schluß aus dem, was ich mit Angehörigen dieser Generation zu besprechen versucht habe.
Alle wußten, daß es KZs gab, in Deutschland. Aber das waren ja anfangs wirklich "Konzentrationslager" gewesen, wie es sie auch in anderen Ländern gegeben hatte - etwas zwischen Internierungs- und Straflagern, in die ab 1933 Regimegegner eingeliefert wurden. So, wie die DDR-Bevölkerung von Bautzen und Hohenschönhausen wußte, wußten die Deutschen unter den Nazis von diesen "KLs".
Zweitens wußte man, daß Juden in den Osten deportiert wurden. Viele aus eigener Erfahrung, andere aufgrund von Hörensagen. Was mit ihnen geschah, wollten die meisten nicht wissen. So, wie die meisten in der DDR nicht wissen wollten, was mit denen geschah, die in den Gefängnissen des MfS verschwanden. (Nur um Mißverständnisse zu vermeiden: Die Dimensionen der jeweiligen Verbrechen sind nicht vergleichbar; aber darum geht es jetzt nicht, sondern um das Wissen).
Dann gab es Gerüchte über Ermordungen. Eine gute Bekannte meiner Frau, damals ein junges Mädchen, sagte, sie hätte von der Ermordung von Juden gewußt. Sie war allerdings mit linken Widerstandskämpfern bekannt. Die meisten Verwandten, die ich danach gefragt haben, sagten, sie hätten nichts gewußt. Ja, natürlich gab es alliierte Greuelpropaganda. Aber im Ersten Weltkrieg hatte diese Propganda ja auch behauptet, daß die Deutschen Kindern die Hände abhacken würden. Also, darauf gaben die meisten nichts oder wollten es nicht.
Ich glaube, lieber Llarian, unter einer Diktatur geben es die meisten Menschen einfach auf, die Wahrheit erfahren zu wollen. Sie haben ja keine objektiven Informationsquellen. Sie haben gar keine Wahl, als sich damit zufrieden zu geben, daß sie nicht an Informationen kommen können.
In der DDR hatte man erst den Westrundfunk und dann das Westfernsehen. Insofern konnte sich dort wirklich jeder informieren. Unter den Nazis nicht.
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