Frank,
ich bin ein wenig erstaunt darüber, dass es so selbstverständlich und guter gesellschaftlicher Brauch sein soll, seinen Vertragspartner zu hintergehen. Genau das tut man nämlich, wenn man z.B. trotz eines betrieblichen Verbots mit dem Firmen-PC aus privaten Gründen im Internet surft. Ich glaube auch nicht, dass "jeder" das tut. Diese Rechtfertigung erscheint mir, pardon, im wahrsten Sinn des Wortes ein wenig kindisch: "Aber Mami, alle Kinder in meiner Klasse haben das!". Ich halte diese Fokussierung auf den materiellen Wert des Diebstahls oder der Unterschlagung für völlig irrelevant, was die Auswirkungen auf ein Vertragsverhältnis angeht. Wenn ich z.B. das von mir beauftragte Telekommunikationsunternehmen dabei erwische, wie es zu seinen Gunsten auch nur kleine Euro-Beträge zuviel berechnet, dann werde ich mindestens den Vertrag kündigen. Einen Händler, der mir nicht das passende Wechselgeld zurückgibt, werde ich nicht wieder aufsuchen. Gegenseitiges Vertrauen ist eine wichtige Institution im Wirtschaftsleben, und jeder, der dieses Vertrauen gebrochen sieht, hat aus meiner Sicht alles Recht der Welt, sich andere Vertragspartner zu suchen.
Zitat von Frank2000 Bei anderen Eigentumsdelikten wird ganz selbstverständlich auch mit Augenmaß und Bagatellgrenzen gearbeitet. Jemanden wegen 2 Euro 50 die wirtschaftliche Existenzgrundlage zu rauben, ist wohl kaum eine Reaktion mit Augenmaß. Arbeitgeber haben ein ganzes Spektrum an Reaktionsmöglichkeiten - davon sollte die Kündigung das letzte Mittel sein - und nicht das erste Mittel, wie bei diesen Fällen geschehen.
Das "letzte Mittel", Frank, wäre doch wohl eher die Anzeige bei der Polizei, denn wir haben es hier schlicht und einfach mit Straftaten zu tun. Wohl aber wird an Deiner Argumentation deutlich, wie sehr die Praxis der Rechtsprechung, die bei Eigentumsdelikten auf den materiellen Wert abstellt, das Rechtsempfinden erodieren zu lassen in der Lage war. Tut mir leid, aber wenn du mir einen Euro klaust, und wenn ich sicher bin, dass eine Anzeige bei der Polizei deswegen nichts bringt, dann werde ich zu den mir angemessen erscheinenden Mitteln der Selbstjustiz greifen und mich dabei völlig im Recht fühlen. Zum sicherlich nicht gewaltigen finanziellen Verlust käme nämlich sonst noch die Demütigung, dass du mir deswegen eine lange Nase machen könntest. Dass ich mit dir daraufhin keine Geschäftsbeziehungen mehr eingehen würde, wäre dazu im Vergleich noch eine milde Form der Reaktion.
Im übrigen liegt es nicht in der Verantwortung des Arbeitgebers, wenn eine Vertragskündigung dem Arbeitnehmer "die wirtschaftliche Existenzgrundlage raubt", was m.E. auch in den seltensten Fällen tatsächlich so sein würde. Um es mal etwas übertrieben und plastisch auszudrücken: Ein Unternehmen sollte nicht mit einem Scheidungsverbot belegt werden, nur weil es mal den Fehler begangen hat, jemanden einzustellen.
Zitat von Frank2000 Nicht der Mensch ist für die Gesetze da, sondern die Gesetze für den Menschen.
Richtig. Aber eine massive Ungleichbehandlung von Vertragspartnern der Form, dass sich der eine in einem jeweils "gesellschaftlich akzeptierten" Ausmaß Rechtsverletzungen am anderen Vertragspartner erlauben darf, dieses Recht aber umgekehrt dem anderen Vertragspartner nicht zugestanden wird, ist nicht nur äußerst ungerecht, sondern wird auch dazu führen, dass die von dieser Art "Recht" Privilegierten froh sein müssen, noch genug Dumme zu finden, die ihnen als Vertragspartner zur Verfügung stehen. Womit übrigens die Gefahr steigt, dass mit Kündigungen auch "wirtschaftliche Existenzgrundlagen geraubt" werden. Der Kündigungsschutz schafft sich seine eigenen Anlässe.
-- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
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