Werter Rayson,
der Hinweis auf das ungleiche Rechtsempfinden bei Bargeldgeschäften ist völlig gerechtfertigt. Das ändert aber nichts daran, dass ich mit meiner Feststellung recht habe, dass beispielsweise das private Surfen im Internet völlig gang und gebe ist. Auch wenn man hier verwundert eine weit verbreitete Doppelmoral feststellen mag - die Tatsachen sprechen für sich. Derart asymetrische Rechtsaufassungen finden sich ja auch bei anderen Themen - als Beispiel sei nur der Streit um Raubkopien bei Musik genannt. Aber auch bei ganz anderen Themen gibt es extrem auffällige Asymetrien - angefangen von Drogen (einige legal, andere verboten), über den langen Weg zur Gleichstellung von Frauen oder die ungleiche Behandlung extremer Meinungsäußerungen von links und rechts. Solche Asymatrien in Gesetz und/oder Gerechtigkeitsempfinden scheinen unvermeidlich zu sein. Die Masse der Menschen sind eben Gefühlswesen und keine Maschinen.
Aber genug philosophiert.
Diese Betonung auf das "Vertrauen" ist meiner Meinung nach bereits im Grundsatz nicht im Wirtschaftsleben gegeben. Wer "vertraut" denn seinem Handwerker, seinem Dienstleister, dem Produzenten? Die allermeisten Menschen gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie am laufenden Band betrogen, auf´s Kreuz gelegt, übervorteilt werden. Das ist die Realität des Wirtschaftslebens - es geht nur darum, die schlimmsten Fälle aus dem Verkehr zu ziehen. Und keineswegs geht eine Firma sofort pleite, die einmal "das Vertrauen" der Konsumenten misbraucht hat.
Und bei den Arbeitgebern das gleiche: wer "vertraut" denn seinem Vorgesetzten? Das ist doch völlig unrealistisch. So ziemlich alle Arbeitnehmer gehen selbstverständlich davon aus, dass der Arbeitgeber einen über die Klinge springen lässt, so bald es ins Kalkül passt. Oder sonst wie über den Tisch zieht. Vertrauen? Nicht in der Wirtschaft, die ich erleben muss.
Im übrigen muss ja noch nicht mal wirklich böser Wille vorhanden sein. Mir zum Beispiel ist bestimmt schon ein halbes Dutzend mal falsch Wechselgeld herausgegeben worden - und das sind blos die Fälle, die ich bemerkt habe. Und bei keinem der Händler hätte ich nur deswegen den Kontakt abgebrochen. In den meisten Fällen gehen ich von Unachtsamkeit oder Schusseligkeit aus.
Aber zurück zu Ihrem konkreten Rechtsempfinden. So, wie ich die Welt und die Menschen bisher kennengelernt habe, ist Ihre Position eher eine Außenseiterposition. Es ist völlig normal, dass man Bagatelldelikte auch im privaten mit einem Schulterzucken abtut - und zwar selbst bei Vorsatz. Ich könnte jetzt beliebig viele Beispiele dafür konstruieren - aber im Endeffekt steht hier natürlich Meinung gegen Meinung. Aber eine Spitze darf ich noch: Selbstjustiz ist auch nicht legal, das ist Ihnen schon klar, oder? ;-)
Ein Missverständnis ist meiner Meinung nach noch auszuräumen: keineswegs verlange ich oder irgendjemand sonst, dass die Arbeitgeber kleinere Diebstähle zu tolerieren haben. Selbstverständlich darf der Geschädigte Schadenersatz verlangen und auch gegen eine Abmahnung spricht im Einzelfall nichts.
Ich darf mal ein wenig meine Sichtweise der Welt erläutern. Denn es wäre meiner Meinung nach falsch jetzt so zu tun, als wären die Arpeitnehmer die pösen Puben, die die rechtschaffenen Arbeitgeber ausplündern. Es ist in vielen Fällen doch so, dass die Arbeitnehmer kaum eine Möglichkeit haben, sich gegen vorsätzliche Ausplünderung durch den Arbeitgeberzu schützen. In meiner Firma gibt es die "Vertrauensarbeitszeit" - das ist nichts anderes als eine nette Umschreibung für unbezahlte Überstunden. Außerdem bekommen alle Vorgesetzten eine Schulung über die gesetzlichen Regelungen zur Arbeitszeit. Ich musste sogar unterschreiben, an dieser Schulung teilgenommen zu haben. Gleichzeitig wird jeder, angefangen vom kleinen Arbeitnehmer über die Gruppenleiter bis hin zu den höheren Bereichen massiv unter Druck gesetzt, die Arbeitszeitgesetzze zu brechen. Natürlich nicht über direkte Anweisungen - so blöd ist hier keiner. Nein, das macht man etwas diskreter: über Jahrsziele, die keiner einhalten kann. Über Boni, die dann nicht gezahlt werden, weil die Jahresziele nicht erreicht worden sind. Übr Gruppendruck. Und so weiter.
Wo ist da noch ein "Vertrauensverhältnis" zum Arbeitgeber/ höheren Management?
Ich habe früher mal bei einem Mittelständler gearbeitet. Das war super. Da gab es zwar auch Überstunden - aber wenigstens offen. Da haben mich meine Vorgesetzten wenigstens nicht gezwungen, erst eine Schulung über die gesetzlichen Vorgaben mitzumachen, um direkt im nächsten atemzug aber zu sagen, dass die Termine aber gehalten werden müssten, da sei ja wohl klar...
bei diesem Mittelständler hat niemand die Nase gerümpft, wenn Abends die Reste aus den Konferenzräumen von den MAs aufgemampft wurden. Da hat keiner die Bleistifte gezählt, ob nicht einer vielleicht zu jemandem nach Hause gewandert ist. Da hat keiner das Fahrtenbuch kontrolliert, ob nicht mit dem Dienstwagen vielleicht eine Besorgung gemacht worden ist. Gleichzeitig allerdings waren die MAs aber auch hochgradik engagiert und keiner hat gezickt, wenn ein Termin zu halten war. Die Kollegen fühlten sich zusammen mit den Vorgesetzten als Team, fast schon als Familie. Die Firma war erfolgreich.
Jetzt in einer großen Firma wird mir haarklein erzählt, weswegen ich permanent wenigstens mit einem Bein im Gefängnis um mit dem anderen Bein im Arbeitsamt stehe. Der Arbeitsdruck ist allerdings der gleiche. Im Ergebnis habe ich keine Bindung mehr an die Firma.
Und das ist genau das, wohin unsere Wirtschafts schliddert. Ich kann da keinen Vorteil erkennen. MfG Frank
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