Zitat von Zettel Verstehe ich das richtig, daß unterschieden wird zwischen a) der Wahrscheinlichkeit, daß der Angeschuldigte in der Hauptverhandlung verurteilt wird und b) der Wahrscheinlichkeit, daß er Täter ist?
Genau.
Zitat von Zettel Aber wie kann es eine Differenz zwischen diesen beiden Wahrscheinlichkeiten geben? Ist die Implikation, daß jemand zwar mit großer Wahrscheinlichkeit Täter sein kann, aber die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung gleichwohl nicht groß ist?
Wenn das so sein sollte - an welche Fälle ist dann gedacht? Daß dem Staatsanwalt die Beweise für die Annahme einer hohen Tatwahrscheinlichkeit ausreichen, er aber vermutet, daß sie dem Gericht nicht ausreichen werden? Oder ist an eher exotische Fälle gedacht, wie daß jemand zwar auch vom Gericht als Täter festgestellt wird, er aber aus irgendeinem formalen Grund nicht verurteilt werden kann?
Ich versuche mal einen Beispielsfall zu konstruieren, der zumindest mir plausibel erscheint. (Disclaimer: ich habe seit dem vorgeschriebenen Gastspiel bei der Staatsanwaltschaft als Referendar beruflich so gut wie keine Berührung mehr mit dem Strafprozeßrecht; wenn also unter den Mitlesenden ein praktizierender Strafrechtler sein sollte, wird um ggf. angezeigte Korrektur gebeten.)
In einem Ermittlungsverfahren wird die Ehefrau des Beschuldigten vernommen. Sie sagt gegenüber der Polizei auch aus; nach ihren glaubhaften Angaben hat der Beschuldigte die Tat begangen. Zudem ergibt sich aus der Aussage, daß es noch drei weitere potentielle Zeugen gibt, außerdem wahrscheinlich weitere Beweismittel in der Wohnung und dem Auto des Beschuldigten aufgefunden werden können. Am folgenden Tag ruft sie bei der Polizeidienststelle an und teilt mit, daß sie im Falle einer Anklageerhebung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen wird. Dringender Tatverdacht dürfte vorliegen, denn die Wahrscheinlichkeit, daß der Beschuldigte die Tat begangen hat, ist nach den bisherigen Erkenntnissen hoch. Das heißt, wenn auch noch Verdunklungsgefahr besteht, etwa weil der Beschuldigte bekanntermaßen bereits in der Vergangenheit gerne mal auf Zeugen eingewirkt hat, müßte die U-Haft zulässig sein. Hinreichender Tatverdacht für eine Anklageerhebung liegt dagegen gerade nicht vor. Denn dazu bedürfte es zusätzlich der Wahrscheinlichkeit der Verurteilung, die nach dem gegenwärtigen Stand (noch) nicht gegeben ist: die einzige bisher vernommene Zeugin steht voraussichtlich in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung, und die möglichen weiteren Beweismittel sind bislang nicht ausermittelt. Die U-Haft dient in diesem Fall gerade dazu, die Voraussetzungen für eine Anklageerhebung, also für die Feststellung eines hinreichenden Tatverdachts, erst noch zu schaffen, indem die vermuteten Beweismittel bis zum Abschluß der Ermittlungen vor Einwirkung durch den Beschuldigten gesichert werden.
Das, wie gesagt, als m.E. denkbarer Beispielsfall dafür, warum ein Tatverdacht dringend sein kann, ohne hinreichend zu sein. Die Mitteilung der StA im Falle Kachelmann, eine Anklageerhebung stehe noch nicht fest, ist m.E. schlicht eine Umschreibung dafür, daß die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Was es da noch zu ermitteln gibt, darüber kann ich auch nur spekulieren - psychologisches Gutachten über die Glaubwürdigkeit der mutmaßlichen Geschädigten?
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