Zitat von Popeye Bei Scienceblogs konnte man das erst letztens in Bezug auf sein Interview im „LETTRE INTERNATIONAL“ sehr gut sehen: http://www.scienceblogs.de/andererseits/...tuchmadchen.php
Diesen Beitrag habe ich mir jetzt angesehen. Das ist ja fürchterlich. 
Ich hatte gelegentlich in Scienceblogs geguckt, aber da ging es immer um naturwissenschaftliche Themen. Offenbar gibt es also auch dort Blogs, die mit Wissenschaft wenig zu tun haben. Die Autorin Andrea Thum verspricht in ihrem Profil: Sie "berichtet und erklärt die Verwendung von Statistik in Nachrichten und überall sonst". Also eine Methodikerin, sollte man meinen.
Der Beitrag läßt aber von der Methodik wissenschaftlichen Arbeitens wahrlich nichts erkennen. Der Artikel beginnt mit dem Satz: "Leute wie Thilo Sarrazin finde ich einfach widerlich". Da haben wir schon alles zusammen, was es überhaupt nur an Unwissenschaftlichkeit gibt: Erstens eine Pauschalisierung ("Leute wie"), zweitens eine affektive Stellungnahme.
Wer so an ein Thema herangeht, der wird natürlich nichts Gescheites herausfinden; er wird immer nur seine affektiv gefärbten Vorurteile bestätigen. Das zeigt der Artikel sehr schön.
Da wird mit Analogien argumentiert, so als sei man noch vor Descartes (weil die Nazis angeblich eine ähnliche Rechnung angestellt haben wie die Sarrazin, ist dessen Rechnung falsch). Und da werden Daten vollkommen ungeprüft akzeptiert.
Diese Autorin, die offenbar als Wissenschaftlerin arbeitet, zitiert für ihre Behauptung, Sarrazin sei "widerlegt" (nämlich mit seiner Behauptung, türkische Einanderer hätten eine höhere Geburtenrate) - eine Meldung in "Spiegel-Online", die wiederum eine Pressemitteilung der Universität Rostock zitiert, wonach in einer "Forschungsarbeit" herausgekommen sei, daß "Frauen mit Migrationshintergrund der zweiten Generation [sich] dem Geburtenverhalten westdeutscher Frauen" anpassen würden.
Es wird eine einzige Autorin genannt; also ist es vermutlich eine Dissertation oder allenfalls eine Habilitationsschrift. Man weiß nichts über die Methodik, die Stichprobe, die Datenanalyse. Wie ist die Autorin an die Daten von Hunderttausenden von Frauen gekommen? Oder hat sie eine Stichprobe gezogen? Welche?
Und so fort. Unabhängig von diesen offenen methodischen Fragen hat selbst nach dieser Pressemitteilung diese Untersuchung nicht das ergeben, was in der Überschrift bei "Spiegel-Online" steht: "Migranten bekommen nicht mehr Kinder als Deutsche".
Zitat von Spiegel-Online In den ersten beiden Jahren nach dem Umzug war die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu bekommen etwa 2,5mal so hoch wie für Frauen in Westdeutschland. Bei den Frauen der zweiten Zuwanderergeneration dreht sich dieses Muster allerdings um: Sie werden seltener und später Mutter als die der ersten Generation. Etwa 22 Prozent bleiben sogar kinderlos. Die Wahrscheinlichkeit ein Kind zu bekommen, ist bei ihnen im Vergleich zu westdeutschen Frauen nur 1,2mal höher.
Sie bekommen also auch nach dieser Untersuchung sehr wohl mehr Kinder.
Und wie gesagt: Man weiß ja nichts über die Methodik.
Welcher Zeitraum wurde da untersucht? Die ersten Jahre nach der Eheschließung, oder die ganze Lebensspanne?
Wieviele Migrantinnen der zweiten Generation hatte die Forscherin denn in ihrer Stichprobe, die mindestens vierzig Jahre waren, für die man also die Aussage machen kann, "sie blieben kinderlos"?
Ich habe keine Ahnung von den methodischen Einzelheiten, aber einen Verdacht: Ich habe den Verdacht, daß die Autorin eine Stichprobe von Einwanderinnen und eine von deutschen Frauen angesehen hat, was das Gebärverhalten in den ersten Jahren nach der Ehelschließung angeht.
Und da wäre es durchaus plausibel, daß sich das Gebärverhalten angleicht: Auch in türkischen Haushalten der zweiten Generation dürfte man mit dem Kinderkriegen warten, bis man wirtschaftlich auf festen Beinen steht.
Wieviele Kinder danach kommen, darüber sagt das natürlich nichts.
Das ist natürlich nur eine Vermutung. Ich will man sehen, ob ich an die Daten komme.
Herzlich, Zettel
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