Lieber Gansguoter,
Zitat von Gansguoter
Zitat - Wenn Frau Milewski ihre Dissertation auf Englisch einreicht, ist das sicher nicht zu beanstanden, sondern zunehmend guter Brauch an deutschen Hochschulen
Ob wirklich ein guter Brauch, weiß ich nicht. Es gibt ja durchaus eine m.E. berechtigte Kritik, wenn die DFG Antragsunterlagen für ein Projekt in Deutschland auf Englisch anfordert, wenn bei einer Konferenz, auf der fast nur Deutsche angewesend sind, alle mehr oder weniger schlecht auf Englisch radebrechen.
Bei den Antragsunterlagen liegt das wohl schlicht daran, daß auch Gutachter zu Rate gezogen werden können, die das Deutsche nicht beherrschen.
Bei kleineren Tagungen habe ich das immer so gehalten, daß Englisch Konferenzsprache ist, sobald unter den Teilnehmern jemand ist, der nicht genug Deutsch kann. Sonst Deutsch.
Allerdings gibt es vor allem unter den Jüngeren eine Tendenz, selbst dann Englisch zu sprechen, wenn alle Deutsch können. Das liegt an der Fachterminologie. Für viele Begriffe muß man sich erst eine deutsche Übersetzung überlegen. Das läßt man meist, und es entsteht dann ein Kauderwelsch in der Art: "War das alles jetzt randomized, oder haben Sie irgendwelche constraints gesetzt?" Warum dann nicht gleich alles auf Englisch, fragen viele.
Was das Radebrechen angeht - das entspricht eigentlich nicht meiner Erfahrung. Vor allem die Jüngeren können fast alle gut Englisch. In naturwissenschaftlichen Fächern werden ja oft englische Lehrbücher eingesetzt, so daß die Studenten vom ersten Semster an viel Englisch lesen müssen; das Sprechen ergibt sich dann schon. Viele waren auch schon einmal in den USA, spätestens als Postdoc.
Zitat von Gansguoter Auch können wissenschaftliche Arbeiten erheblich inhaltlich darunter leiden, wenn sie jemand auf Englisch verfasst, dessen Muttersprache eben nicht das Englische ist. Wenn es auf Nuancierung, auf Präzision ankommt, leidet sehr leicht der Inhalt unter der Fremdsprache.
Ja, das ist wahr. Darin sehe ich den größten, im Grunde den einzigen Nachteil dieser Entwicklung zu English with a foreign accent als der Lingua Franca der Wissenschaft. Das ist natürlich in den einzelnen Fächern unterschiedlich kritisch. Für Mathematiker dürfte es kaum eine Rolle spielen, für Physiker und Biologen eine geringe; kritischer wird es schon bei den Human- und Sozialwissenschaften. Sehr kritisch in der Philosophie.
In der Philologie sollte man meines Erachtens publizieren und Konferenzen abhalten in der Sprache, die Gegenstand der wissenschaftlichen Bemühungen ist. Also Germanisten sollten selbstverständlich auf Deutsch publizieren und Deutsch als Konferenzsprache verwenden; denn ein Germanist, der kein Deutsch kann, ist keiner. Dito für Romanisten usw.
Ein interessanter Fall sind die Historiker. Fachhistoriker, die sich zB mit deutscher Geschichte befassen, müssen natürlich Deutsch können. Allerdings erinnere ich mich an eine spektakuläre Ausnahme: Daniel Goldhagen, dessen Buch "Hitlers willige Vollstrecker" Mitte der neunziger Jahre viel Aufsehen erregte, reiste damals zu Diskussionen nach Deutschland - und war nicht in der Lage, auf Deutsch zu diskutieren! Ja, wie hat er denn dann die Dokumente gelesen.
Zitat von Gansguoter Ein früherer niederländ. Kollege an der Uni hat mir erklärt, dass a) man in den Niederlanden das Englische besser beherrsche im Schnitt als in Deutschland, da z.B. Filme nicht synchronisiert werden, Niederländer sich präziser auf Englisch ausdrücken als Deutsche; und dass b) es die Sondersituation der Niederlande ist, ein so kleines Land zu sein, was es erforderlich mache, auf Englisch oder Deutsch (!) zu publizieren.
Ja, das stimmt. Aber es macht es den Holländern (wie auch zB den Skandinaviern) nur leichter, das zu tun, was wir Deutsche und die Franzosen (denen es besonders schwer fällt) usw. auch tun müssen.
Zitat von Gansguoter
Zitat Der Grund liegt auf der Hand: Man möchte ja, daß die Dissertation von der wissenschaftlichen Welt zur Kenntnis genommen und zitiert wird. Und die Sprache der wissenschaftlichen Welt ist nun mal heute Englisch. So, wie sie einst Latein war; noch Schopenhauer hat seine Farbenlehre auf Latein geschrieben). Ein Kollege hat mir mal gesagt, nicht auf Englisch geschriebene Artikel und Bücher seien "nonexistent literature".
Auch das sicher mit Unterschieden in den Fächern. Ich habe für meine Dissertation auf Deutsch Rezensionen aus England / Amerika, aus Spanien, aus den Niederlanden bekommen; bin von einem Leser aus Ungarn angeschrieben worden. Die geringste Resonanz kam aus Deutschland ...
Das war nicht zufällig eine germanistische Dissertation? 
Denn dann s.o.
Herzlich, Zettel
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