Zitat von stefanolix Wenn man sich die Überschriften einmal ausblendet: wie ist denn die Qualität der Karten?
Ausgezeichnet, was den Detailreichtum angeht. Wieweit das alles wissenschaftliich gesichert ist, was die Karten zeigen, ist schwer zu beurteilen. Aber das ist bei jedem Geschichtsatlas so. Man hat Daten, und zwischen denen interpoliert man. Es darf ja auch auf einem Geschichtsatlas keine "weißen Flecken" geben. 
Zitat von stefanolix Es gab ja z.B. wirklich einen Kampf der (organisierten) Arbeiter gegen Bismarcks Sozialistengesetze. Ich vermute, dass die Schwerpunkte dieses Kampfes eingezeichnet sind, vielleicht auch die Verbreitung der Sozialdemokraten. Zu dieser Zeit gab es aber auch Sozialgesetze und uns wurde das prinzipiell nach der Formel »Zuckerbrot und Peitsche« vermittelt.
Es gibt dazu eine ganze Reihe von Karten (S. 102 - 104). Zum Beispiel eine Europa- und eine Weltkarte, auf der man jeden Kongreß einer Arbeiterpartei im 19. Jahrhundert eingezeichnet findet, dazu "bedeutende ökonomische und politische Kampfaktionen"; eine Deutschlandkarte mit den Wahlergebnissen der SPD und ihrer Vorläuferbewegungen, mit eingezeichneten Streik- und Agitationsorten usw.; eine weitere Karte mit solchen Daten bis hin zu den Druckorten der sozialdemokratischen Presse, der Maikundgebungen usw.
Es ist, lieber Stefanolix, ja nichts dagegen zu sagen, daß die Schüler etwas über die Parteien im 19. Jahrhundert lernen. Aber über keine der liberalen oder konservativen Parteien findet man derartige Informationen in dem Atlas; sie kommen schlicht nicht vor. Das ist eben parteiliche Geschichtsschreibung.
Zitat von stefanolix Ich weiß noch, dass sehr stark auf die Lebensverhältnisse der Arbeiter in der ersten industriellen Phase eingegangen wurde. Das wurde mit Literatur aus dieser Zeit verknüpft (Beschreibung des Elends der Weber usw.). Es gab im Geschichtsbuch durchaus auch zeitgenössische Karikaturen, Reproduktionen aus alten Zeitungen, Landkarten und Fotos von Museumsstücken. Sicher wurde das alles unter bestimmten Gesichtspunkten ausgewählt. Aber es war nun wirklich nicht jedes dritte Wort »Klassenkampf«. Es kamen in den Büchern auch ein paar Fakten vor ;-)
Es geht aus meiner Sicht um die Auswahl der Fakten. Dieses - behauptete - Elend der Arbeiter im 19. Jahrhundert wurde übrigens auch in westlichen Lehrbüchern ausgiebig dargelegt; ich erinnere mich an Schilderungen der Kinderarbeit in Bergwerken und des Elends von Arbeiterinnen, die ich glaube Nadeln herstellen mußten.
Ich sage deshalb "behauptete", weil - ich müßte Belege jetzt nachsehen - es wohl den Industriearbeitern überwiegend besser ging als der Landbevölkerung; deshalb gab es ja die Landflucht. Dieses Elendsgemälde ist sehr stark ideologisch gefärbt. Es gab Elend, vor allem in Rezessionen; aber das war nicht das Kennzeichen der "Lage der arbeitenden Klasse", um Engels zu zitieren. (Wenn ich mich recht erinnere, hat hier im Forum R.A. dazu auch einmal etwas geschrieben).
Zitat von stefanolix Zu den Sozialistengesetzen: Eigentlich ist es ja in einem Rechtsstaat normal, dass sich Arbeiter zur Wahrung ihrer Interessen zusammenschließen und dass sie ihre Interessen durch Gewerkschaften oder Parteien vertreten lassen. Einige Ziele der Arbeiter von damals waren aus heutiger Sicht völlig legitim. Einige Ziele Bismarcks waren aus heutiger Sicht verfassungswidrig. Aber man darf natürlich keine Kriterien rückwirkend anwenden. Diesen Fehler hat ja die DDR gemacht, als sie überall die Klassenkampfschablone angewendet hat.
Über die Sozialistengesetze müßte man vielleicht einmal gesondert diskutieren. Man sollte nicht übersehen, daß die damalige Sozialdemokratie staatsfeindlich war; sie wollte ja nicht nur die Gesellschaft revolutionieren, sondern auch die bestehende Staatsform, die Monarchie, durch eine Republik ersetzen.
In heutiger Terminologie waren das eindeutig Verfassungsfeinde. Bei uns wollte man die NPD verbieten, weil sie ebenso eindeutig verfassungsfeindlich ist.
Zitat von stefanolix Zur Religion: Einige zentrale Themen der Geschichte wie die Reformation wurden ausführlich behandelt (1983 war der 500. Geburtstag Martin Luthers).
Aber wie? War das neben dem von Herr erwähnten Spartakus-Aufstand nicht auch so ein Dreh- und Angelpunkt der Geschichte - der Fürstenknecht Luther und auf der anderen Seite der aufrechte Revolutionär Thomas Müntzer?
Das marxistische Geschichtsbild ist manichäisch; es besteht im Kampf der Guten gegen die Bösen. Natürlich sagt man es nicht so primitiv, sondern man sagt: In den Klassenkämpfen standen die einen auf der richtigen und die anderen auf der falschen Seite. Wer auf der richtigen Seite stand, der wird zum Helden ernannt. So wenig das auch meist paßt.
Spartacus war nach den antiken Quellen ein Deserteur und Straßenräuber, bevor er Gladiator wurde. Daß er mit Flucht und Aufstand andere Ziele gehabt hätte, als der Sklaverei als Gladiator zu entkommen, ist nicht überliefert. Ein Sozialrevolutionär war er jedenfals nicht.
Thomas Müntzer war das, was man heute einen Gotteskrieger nennen würde: Ein radikaler Fundamentalist, der in Mühlhausen eine theokratische Diktatur errichtete.
Schöne Vorbilder für die lernende Jugend. 
Naja.
Herzlich, Zettel
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