Zitat von GeozentrikerInteressant finde ich die Sympathie vieler „Wessis“ für kommunistische Ideen schon. Im Westen ging es den Leuten ja materiell sehr gut. (...) War das wirklich nur kollektive Selbstverwirklichung, oder was gibt es noch für Ursachen (stimmt etwa die These, dass formale Intelligenz sehr oft praktischem Verstand zuwiderläuft)?
Alles berechtigte Fragen, lieber Geozentriker. Ich habe mich das auch oft gefragt. Ich bin ja damals zwar kein Marxist und erst recht kein Kommunist geworden, sondern Sozialdemokrat; habe mich aber doch eben auch von dieser "Bewegung" - denn das war es - ein Stück mittragen lassen. Wenige haben sich an den Unis dem entzogen, jedenfalls in der Generation unter Mitte dreißig.
Da kam viel zusammen.
Es gab ja tatsächlich einen Reformbedarf; es gab den Muff der Adenauerzeit. (Ich erzähle das immer mal wieder: Meine Mutter hat in den fünfziger Jahren als Gerichtsgutachterin im Fall einer Frau zu gutachten gehabt, die vor dem Kadi stand, weil sie es zugelassen hatte, daß ihre ungefähr 18jährige Enkelin einen jungen Mann über Nacht nach Hause mitgebracht hatte).
Dann war da der Vietnamkrieg. Und es gab die Früchte einer Propaganda der Untergrund-Kommunisten, die die Bewegung "Kampf dem Atomtod" weitgehend kontrollierten, die mit von ihnen kontrollierten Zeitschriften wie "Konkret" einen starken Einfluß auf die Studenten hatten.
Es gab die noch nicht hinreichend aufgearbeitete Nazi-Vergangenheit; die Aufarbeitung in der Öffentlichkeit begann eigentlich erst mit dem Auschwitz-Prozeß in den sechziger Jahren.
Und es gab - aus meiner Sicht am wichtigsten - den natürlichen Konflikt zwischen der Kriegsgeneration, die es gelernt hatte, hart und diszipliniert zu sein, und der ersten Generation, die den Krieg nicht mehr bewußt erlebt hatte, sondern nur ein "Es wird besser besser besser, immer besser besser besser" (so ein Schlagertext aus den Fünfzigern). Diese jungen Leute verstanden die Härte ihrer Eltern nicht, wie sollten sie auch. Sie waren Hedonisten, sie wollten den "Duft von Freiheit und Abenteuer" (damals der Slogan der beliebtesten Zigarettenmarke).
Der Film "Easy Rider" gibt einen sehr guten Eindruck von diesem Lebensgefühl.
Das alles führte zu einer schon einigermaßen explosiven Entladung. Man suchte nach einer Alternative zum "Establishment", wie man es nannte, und da war halt der Marxismus zur Stelle.
Falls es Sie interessiert, lieber Geozentriker - ich habe das in dieser Serie ein wenig genauer darzustellen versucht.
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