Zum Stil der "Auseinandersetzung" mit Sarrazin empfehle ich auch diesen Artikel des SPD-Chefs von Schleswig-Holstein Ralf Stegner (ich verlinke die Druckversion, weil diese Unsitte, zwecks Erlangung von mehr Klicks Artikel in Portiönchen zu zerlegen, ja langsam zur Plage wird).
Daß das eine recht dürftige Polemik ist und keine Auseinandersetzung, sieht man schon, wenn man nur wenige Absätze gelesen hat. Nur ein paar Anmerkungen:
* Stegner: "So behauptet der intellektuelle Scharfrichter Thilo Sarrazin unter Berufung auf Darwin und Mendel, dass 50 bis 80 Prozent der Intelligenz vererbt werde".
Natürlich steht das weder bei Darwin, noch bei Mendel, sondern es ist das Ergebnis der modernen Intelligenzforschung mit Methoden der mathematischen Statistik. Daß es nicht um "Prozente", sondern um Varianzanteile geht, wurde ja schon in dem anderen Sarrazin-Thread diskutiert; siehe dazu vor allem den klärenden Beitrag von Gorgasal.
* Stegner: "Zuzug bitte nur noch für Hochqualifizierte - und keinerlei Transferleistungen für Einwanderer mehr".
Das schreibt Stegner Sarrazin zu. Eine glatte Unwahrheit. Sarrazin schlägt selbstverständlich nicht vor, Einwanderern keine Transferleistungen mehr zukommen zu lassen, sondern er will diese an Bedingungen knüpfen. Aus seinem Essay im "Spiegel" als einer seiner Vorschläge:
Zitat von Thilo Sarrazin Jeder Arbeitsfähige, der Unterstützung erhält, muss sich an gesetzlichen Arbeitstagen zur festgesetzten Uhrzeit dort einfinden, wo er eingeteilt ist. An die Stelle gemeinnütziger Arbeit treten bei jenen Migranten, die der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig sind, Sprachkurse. Unpünktlichkeit und Nichtteilnahme haben Abzüge beim Arbeitslosengeld II zur Folge, Krankmeldungen werden überprüft. Durch das System wird die Schwarzarbeit der Transferempfänger wirksam verhindert, der Anreiz, sich eine bezahlte Arbeit am regulären Arbeitsmarkt zu besorgen, wird erhöht.
* Stegner: "Auch die Behauptung, türkische Einwanderer hätten keinerlei produktive Funktion, lässt sich schon mit dem Hinweis darauf, dass es deutschlandweit etwa 70.000 türkischstämmige Unternehmer gibt, die für ungefähr 330.000 Jobs sorgen, leicht widerlegen"
Auch das hat Sarrazin nicht behauptet:
Zitat von Thilo Sarrazin Belastbare empirisch-statistische Analysen, ob die Gastarbeiter und deren Familien für Deutschland überhaupt einen Beitrag zum Wohlstand erbracht haben oder erbringen werden, gibt es nicht. (...)
Für die muslimischen Migranten in Deutschland lässt sich eine unterdurchschnittliche Erwerbsbeteiligung feststellen. Nur 33,9 Prozent von ihnen beziehen ihren überwiegenden Lebensunterhalt aus Berufs- und Erwerbstätigkeit. Bei der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund sind es 43 Prozent. Der Unterschied wäre noch dramatischer, wenn die Daten erlauben würden, eine Altersbereinigung vorzunehmen; unter der deutschen Bevölkerung ist nämlich der Anteil der Menschen im Rentenalter viel höher.
Und so fort. Das sind nur Beispiele aus den ersten Absätzen von Stegners Artikel.
Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Schlampigkeit Stegner gegen Sarrazin argumentiert, dem er auch noch " eine wirre Mischung aus Ökonomismus, Eugenik und kokettem Borderline-Rassismus" vorwirft. Das Epitheton "wirr" dürfte eher auf Stegners Text zutreffen.
Auch diejenigen, die von ihrer politischen Grundeinstellung her Sarrazins Thesen skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen, sollten sich vielleicht fragen, warum die linke Antworten auf ihn bisher fast durchweg unseriös sind.
Gibt es denn überhaupt keinen Linken, der in der Lage ist, sich rational mit Sarrazin auseinanderzusetzen? Oder fehlt es dazu an Argumenten?
Man kann dieselbe Beobachtung beispielsweise auch bei diesen Kommentaren in ScienceBlogs machen. Diejenigen, die Sarrazin zustimmen, argumentieren überwiegend kühl und rational. Dessen Gegner pflegen überwiegend einen derart emotionalen, unsachlichen, oft polemischen Argumentationsstil, daß ich mich wirklich frage, was solche Leute in einer Wissenschaft verloren haben.
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