Zitat von Florian
Zitat Sarrazin schreibt: "Der absolute Wahrheitsanspruch, der dem wörtlichen Text der Suren des Koran beigemessen wird, kann je nach Vorverständnis und Textauswahl zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen fuhren. Auch zur Rechtfertigung terroristischer Aktivitäten gibt es genügend passende Suren. " Auch das ist absurd. Die Behauptung, der Islam könne nicht gedacht werden ohne Islamismus und Terrorismus, auch wenn 95 Prozent der Gläubigen friedensliebend seien, ist unverhüllte Hetze.
Da schreibt also Sarrazin ganz ausdrücklich, dass man den Koran unterschiedlich interpretieren kann und dass eine der möglichen Interpretationen auch Terrorismus rechtfertigen könne. Stegner interpretiert das von ihm selbst ausgewählte Zitat dann vollkommen falsch und unterstellt Sarrazin, dieser habe geschrieben, dass der Islam NUR mit Terrorismus gedacht werden könne. Gehts noch peinlicher?
Das Deprimierende, lieber Florian, ist, daß Stegner ja kein Einzelfall ist. Stegner habe ich immer für ein besonders unschönes Exemplar eines Sozialdemokraten gehalten (Heide Simonis hat bekanntlich einmal durchblicken lassen, daß sie ihn als den Abweichler in Verdacht hat, der sie damals nicht gewählt hat; sie hat aber dementiert, weil sie es natürlich nicht beweisen kann).
Also, Stegner ist Stegner, da wird man nie etwas anderes erwarten können. Aber ein großer Teil der "Auseinandersetzung" mit Sarrazin funktioniert ja so. Ich habe den Tag über hier und da in den Foren und Blogs herumgelesen: Es war wirklich erschreckend.
Warum können viele Linke nicht rational diskutieren, wenn es um Politik geht? Die Frage beschäftigt mich seit Jahren, wir haben ja, glaube ich, auch hier schon darüber diskutiert. Es kann ja nicht nur das Erbe Lenins sein, für den jede Debatte nur ein Instrument der Agitation war; viele, die so denken und schreiben, wissen von Lenin vermutlich kaum mehr als den Namen.
Meine Vermutung ist: Es gibt zwei Ursachen, die bei denjenigen, die so unsachlich schreiben, in unterschiedlichem Mischungsverhältnis existieren:
* Zum einen schon dieses leninistische, oder allgemein ein machiavellistisches Denken: Sarrazin droht mit seinen Argumenten Widerhall zu finden. Also muß man ihn diffamieren. Man darf grundsätzlich nur verächtlich von ihm reden. Irgendwas bleibt hängen, und irgendwann ist der Mann in Verschiß. Er wird nicht mehr zu Talkshows eingeladen, viele trauen sich nicht mehr, ihm zuzustimmen, weil dann dieser Verschiß auf sie abfärben könnte. Wenn er irgendwo sprechen will, wird er niedergeschrieen usw.
Das ist - ich habe es kürzlich schon einmal geschrieben - das klassische Verhalten von Kommunisten: Inner- wie außerparteiliche Gegner werden mit wüsten Beschimpfungen bedacht ("Speichellecker des Kaptials", "Schädlinge", "Verräter" usw.); an einzelne Mißliebige werden abwertende Etikette geheftet ("Kalter Krieger", "Rassist" usw.). Es funktioniert meist. Die Menschen verbinden unbewußt negative Assoziationen mit dem Betreffenden, auch wenn sie bewußt vielleicht gar nichts gegen ihn haben. Er wird sozusagen ähbah.
* Das zweite ist, daß viele Linke dazu neigen, als erste Reaktion auf irgendeine politische oder gesellschaftliche Aussage eine emotionale Reaktion zu zeigen. Bevor sie denken, bewerten sie. Ihr Weltbild ist manichäisch - entweder ist etwas gut oder schlecht. Diese Etikettierung oder Kodierung wird blitzschnell vorgenommen und bestimmt alles, was sie danach zu dem betreffenden Sachverhalt oder der betreffenden Person denken und sagen.
Sarrazin ist islamkritisch, also einer von den Bösen. Zack, das Urteil ist gesprochen, die Guillotine ist gefallen. Alles, was jetzt kommt, ist nur noch das Elaborieren dieser primären affektiven Reaktion.
So scheint es mir zu sein, lieber Florian, aber sicher bin ich nicht. Im Grunde stehe ich vor einem Rätsel, wenn ich sehe, wie intelligente Menschen so irrational reagieren.
Herzlich, Zettel
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