Zitat von Forentourist Ich kann Ihre Unterscheidung in "Volkspartei" und "Gesinnungs- und Klientelpartei" nicht nachvollziehen. Nur weil die Klientel von Union und SPD etwas weiter gefasst ist, sehe ich keinen genuinen Unterschied zu den kleinen Parteien.
Eine Volkspartei im herkömmlichen Sinn ist eine Partei, die Wähler aller sozialer Schichten für sich gewinnt und die in sich verschiedene politisch-weltanschauliche Strömungen vereint.
Das Musterbeispiel solcher Volksparteien sind die Demokraten und die GOP in den USA. In der alten Bundesrepublik waren es die Union (hervorgegangen aus dem Zentrum und diversen bürgerlichen Parteien der Weimarer Republik) und die SPD, nachdem sie sich seit Godesberg für bürgerliche Wähler geöffnet hatte.
Die FDP ist keine Volkspartei in diesem Sinn; auch wenn man sich durchaus eine liberale Volkspartei vorstellen könnte. Die Grünen sind es ganz und gar nicht. Sie sind weltanschaulich eng fokussiert, eine one-issue-Partei, wie es Schöppner in dem verlinkten Interview wieder einmal gesagt hat. Und ihre Wählerschaft rekrutiert sich mittlerweile ganz überwiegend aus dem "progressiven" Bürgertum.
Zitat von Forentourist Die kleinen Parteien erhalten aus einigen Bevölkerungsgruppen eine höhere Unterstützung (z.B. Gebildete, Freiberufler). Aber die ist nicht so hoch, dass man ernsthaft behaupten könnte, die Interessen dieser Gruppen würden hauptsächlich durch Grüne/FDP vertreten. Erhöhte Unterstützung für bestimmte Parteien dürfte man auch in anderen Bevölkerungsgruppen wie Gewerkschaftsmitgliedern (SPD), Landwirten oder praktizierenden Christen (Union) finden.
Das stimmt. Ich hätte vielleicht besser nicht den Begriff "Klientelpartei" verwenden sollen. Ich meine damit die soziale Zusammensetzung der Wählerschaft; nicht unbedingt den Umstand, daß die Partei in besonderem Maß die Interessen der betreffenden Wähler vertritt. Das korreliert natürlich; aber eine Partei ist im Unterschied zu einer Gewerkschaft ja mehr als eine Interessenvertretung.
Zitat von Forentourist Dazu kommt noch die Problematik, dass die Linke im Osten nach Ihrer Ansicht wohl als Volkspartei zu klassifizieren wäre, im Westen als Klientelpartei. Aber wo liegt die Grenze? Sind 20%+X im Saarland schon Volkspartei? Oder ~15% in Gesamtberlin. Sind die Grünen dort, wo sie Bürgermeister stellen, nicht auch Volkspartei (z.B. in Tübingen, 32,9% lt. Wikipedia)?
Ich wollte gerade argumentieren, daß es nicht auf die schieren Zahlen ankommt. Wenn die Grünen jetzt nah an die SPD herangerückt sind, dann macht sie das noch nicht zur Volkspartei. Auch die Kommunisten sind in der Ex-DDR keine Volkspartei, denn sie dürften überwiegend von denjenigen 20 Prozent gewählt werden, die in der DDR diesen Staat bejahten und von ihm profitierten.
Zitat von Forentourist Ob die Grünen die SPD nicht vielleicht doch als vorherrschende Kraft unter den Linken ablösen, dürfte erst mit einigem zeitlichem Abstand zu beantworten sein. Es dauerte ja auch Jahrzehnte, bis die Sozialisten die (Links-)Liberalen überholt und ersetzt hatten.
Das sehe ich auch so. Das große Beispiel ist GB, wo ganz analog Labour die Whigs abgelöst hat.
Sicher kann man nur sagen, daß die deutsche Parteienlandschaft in einem ungeahnten Maß in Bewegung geraten ist. Wir sind - ich schreibe das immer mal wieder - auf dem Weg zurück zum Parteiensystem der Weimarer Republik; nur fehlt noch eine starke Partei rechtsaußen.
Die politische Stabilität, die eine wesentliche Grundlage des Erfolgs der Bundesrepublik war, ist damit sehr wahrscheinlich dahin. Dank der stärkeren Stellung des Kanzlers im Vergleich zu derjenigen des Reichskanzlers werden wir immer noch mehr Stabilität haben als in Weimar, aber wir sind von einer so gut wie in den USA funktionionierenden Demokratie weiter entfernt als 1960, als es den "Trend zum Zweiparteiensystem" gab.
Leider wohl endgültig Vergangenheit.
Herzlich, Zettel
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