Lieber B. Rösch,
danke für Ihren interessanten Artikel, und willkommen im kleinen Zimmer!
Einige Anmerkungen:
Zitat von B. Rösch Wenn es nur darum ginge, wäre es wohl etwas unangemessen, dass die amerikanische Außenministerin Clinton die komplette letzte Nacht mit dem Telefonhörer am Ohr verbrachte. So selbstbewusst und professionell sollten die Spitzenpolitiker der Welt eigentlich sein, um nicht durch eine negative bis gemeine Einschätzung eines Diplomaten schlaflose Nächte zu haben – Neurotiker wie Gaddafi und Chavez einmal ausgenommen.
Es geht ja nicht um Empfindlichkeiten, weil andere Unschönes über einen gesagt haben. Es geht um die Vertraulichkeit.
Jeder von uns äußert sich verschieden, je nachdem, vor welchen Adressaten er sich äußert. (Wer sich nicht so verhielte, der wäre ein naiver Plapperer). Im vertraulichen Gespräch redet man offener als gegenüber Journalisten oder in einem Gremium, das öffentlich tagt. Diplomaten reden anders, wenn sie einen vertraulichen Bericht schreiben, als wenn sie sich mit einem Aide-Mémoire an Diplomaten der Gegenseite wenden.
Wenn jetzt Vertrauliches an die Öffentlichkeit gebracht wird - und wenn das kein Einzelfall ist, sondern von einer Organisation systematisch betrieben wird -, dann funktioniert dieses System nicht mehr. Zum Schaden aller.
Ich habe etwas Vergleichbares in Unis erlebt. Als Folge der Studentenbewegung wurde an manchen Unis die grundsätzliche Öffentlichkeit von Fakultätssitzungen, Sitzungen von Institutsdirektorien usw. eingeführt. Studierende, manchmal unterstützt durch Mittelbauern, nutzten das, um diese Gremien zu "besuchen" und manchmal massiv unter Druck zu setzen.
Die Folge war, daß die Entscheidungen aus diesen Gremien hinausverlegt wurden. Man traf sich im Kreis der Professoren, der Mittelbauern und verständigte sich. Dort fanden die eigentlichen Diskussionen statt. In den Gremien wurde nur noch zum Fenster hinausgeredet.
Unwürdig. Aber es blieb keine andere Wahl.
So wird es auch jetzt sein, wenn den Machenschaften von WikiLeaks kein Ende gemacht werden kann. Man wird dann eben zu sensiblen Themen keine "Kabel" mehr schicken können, sondern die Diplomaten müssen sich mündlich verständigen. Oder man schützt sich sonstwie; vernichtet vielleicht Dokumente, wenn sie nicht mehr benötigt werden.
Es wird alles in Wahrheit viel weniger transparent werden. So, wie an den Unis in Folge der Herstellung von "Öffentlichkeit" die Entscheidungsprozesse weniger transparent wurden. Sie fanden nicht mehr in den Gremien statt, in denen niemand noch ein offenes Wort wagte, sondern in Klüngeln.
Zitat Die wahre Brisanz der Dokumente ergibt sich wohl aus ganz anderen Informationen: Wie bereits an mehreren Stellen veröffentlicht wurde, werden etwa Berichte darüber enthalten sein, dass staatliche Stellen in der Türkei Verbindungen zu Al-Quaida halten. Auch so etwas konnte natürlich jemand, der sich mit Außenpolitik beschäftigt, schon vermuten, jetzt aber hat er es schwarz auf weiß. Gerade erst vorgestern führte ich zum Beispiel eine Diskussion zum Thema Türkei mit jemandem, der scheinbar jede Woche den Spiegel Seite für Seite auswendig lernt und versuchte vergeblich, ihn von dem Glauben abzubringen, die Türkei könne noch durch eine EU-Mitgliedschaft im westlichen Bündnis gehalten werden.
Wenn das so ist, wird die Türkei es natürlich abstreiten. Und wer weiß? - vielleicht zu Recht. Denn eine andere Gefahr dieses Veröffentlichungsmanie ist es, daß ja niemand beurteilen kann, ob alle "Dokumente" echt sind. Was hindert die Leute von WikiLeaks, die auf Vertrauensbruch spezialisiert sind, daran, einen Teil des Materials zu fälschen, bevor sie es ins Netz stellen?
Ich habe mich immer gewundert, daß jemandem Günter Wallraff auch nur ein Wort glaubt; der sein Geld mit Lügen verdient. Wer glaubt denn Julian Assange ein Wort, der sich seine Publicity mit dem Diebstahl von Daten verschafft?
Das ist, lieber B. Rösch, ein übles, unsauberes Geschäft. Wer so etwas macht, dem kann man jede Fälschung zutrauen.
Zitat Wer diese Veröffentlichungen nun aufgrund ihrer möglichen Auswirkungen auf die weltweiten diplomatischen Beziehungen als unverantwortlich bezeichnet, beweist damit aber nur erneut Naivität. Denn die Feinde des Westens hassen uns ohnehin schon und gaben sich sicher auch nie dem Glauben hin, dass den westlichen Regierungen dieser Hass verborgen blieb.
Ich bezeichne sie als unverantwortlich. Mit den Feinden des Westens hat das nichts zu tun. WikiLeaks versucht die internationale Diplomatie zu torpedieren und den USA zu schaden.
Herzlich, Zettel
|