Zitat von Calimero Aber mich würde interessieren, welche großen kulturellen Leistungen sie mit dem Islam verbinden. Mir fällt da spontan rein garnichts ein. Die Frage ist absolut nicht rhetorisch gemeint, bei mir klickt da wirklich nichts. Eine solche kulturelle Großleistung müsste doch irgendwie die Restwelt inspiriert haben, man müsste sie sofort mit dem islamischen Kulturkreis in Verbindung setzen können, oder?
Wenn man sich, lieber Calimero, dieser Frage vernünftig und unvoreingenommen nähern will, dann sollte man zwei Differenzierungen vornehmen:
Erstens ist zu unterscheiden zwischen dem Islam als Religion und der Kultur der islamischen Länder. Auf die analoge Unterscheidung zwischen dem Christentum und der Kultur des Abendlands bin ich im zweiten Teil des Kommentars zum Thesenpapier der fünf FDP-Politiker eingegangen.
Kultur und Religion fallen im Fall des Islam/des Orients so wenig zusammen, wie die Kultur des Abendlands mit dem Christentum identisch ist.
Der Gegenbegriff zum Abendland, dem Okzident, ist der Orient. Die Kultur des Orients ist reicher als die des Islam, und der Islam existiert andererseits ja auch außerhalb des Orients - in Indonesien zum Beispiel, in Bangla Desh, in Zentralasien. Die großen Teilkulturen der Kultur des Orients, eng miteinander verzahnt, sind die persische, die arabische und die türkische.
Diese Kultur des Orients steht, wie die meisten Kulturen, auf den Schultern anderer Kulturen (Arnold Toynbee hat das ausführlich analysiert); hier einerseits der alten Kulturen des Raums, also vor allem der jüdischen, der ägyptischen, der assyrischen, der altpersischen. Andererseits entstand sie aber auch ganz wesentlich - was nach meinem Eindruck oft zu wenig gewürdigt wird - auf den Boden von Byzanz; insofern ist sie, neben der abendländischen, die Nachfolgekultur der griechisch-römischen Antike.
Wenn man die gewaltigen kulturellen Leistungen der orientalischen Kultur würdigen will, dann ist es müßig, entscheiden zu wollen, in welchem Umfang sie nun auf die Religion des Koran und wie weit sie auf diese anderen Einflüsse zurückgehen.
Averroes und Avicenna, die Gorgasal genannt hat, auch beispielsweise Alhazen (einer der größen Naturwissenschafter aller Zeiten; Aristoteles, Newton, Einstein gleichzustellen) waren Moslems, so wie Galilei, Descartes, Leibniz und Kant Christen waren. Wer will entscheiden, wie sehr ihr Denken von der jeweiligen Religion abhing? Dasselbe gilt für die Architektur und die Literatur, zum Beispiel die herausragende persische Lyrik.
Die zweite erforderliche Dfferenzierung betrifft die Geschichte. Sie hat im Orient einen anderen Verlauf genommen als im Abendland.
Bis ins 17., teils noch ins 18. Jahrhundert waren die abendländische Kultur und Kultur und die Kultur des Orients in nahezu jeder Hinsicht auf einem ähnlichen Stand; von den Künsten über die Verwaltung, die höfischen Sitten, die Bildung der Bevölkerung bis hin zum Stand der Militärtechnik; dieser war natürlich für die Machtverhältnisse ausschlaggebend. Als die Türken vor Wien standen, hatten sie mindestens eine so gute Militärtechnik (vor allem auch Militäringenieure) wie die Belagerten.
Die Überlegenheit unserer abendländischen Kultur verdankt sich der Entwicklung, die sich in der Renaissance vorbereitete und die mit dem späten 16. und dem 17. Jahrhundert einsetzte: Das, was man gern die Konstituierung des bürgerlichen Individuums nennt.
An die Stelle der geistlichen Autorität trat das Selbstdenken; Galilei und Descartes haben es, jeder auf seine Art, wesentlich mitbegründet. Die Wissenschaften und in ihrem Gefolge die Technik nahmen einen großen Aufschwung. Die Feudalgesellschaft wandelte sich zur bürgerlichen Gesellschaft. Es entstand der demokratische Rechtsstaat, es kam zu einer Reihe von industriellen Revolutionen.
Das alles ist das Spezifikum unserer abendländischen Kultur. Keine andere hat Vergleichbares geleistet. Das macht unsere heutige Überlegenheit aus, während die Kultur des Orients nach 1700 staginierte und zunehmend Zeichen des Verfalls zeigte. "Fellachisierung" hat das Oswald Spengler genannt.
Deshalb sind die Länder des Orients (mit Ausnahme des geografisch, aber nicht kulturell dazu gehörenden Israel) uns heute in der Tat kulturell weit unterlegen. Aber man kann das nicht einfach als eine Gegenüberstellung von Christentum und Islam fassen.
Herzlich, Zettel
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