Lieber 123,
Sie sprechen, klug wie immer, Themen an, die auch mich seit langem beschäftigen. Ich möchte jetzt aber nur auf einen Punkt eingehen, in dem ich anderer Meinung bin als Sie:
Zitat von 123 Es ist nur eine Frage der Zeit bis immer mehr Linke und machtgierige Mitläufer erkennen werden, daß der Islam das ideale Vehikel für jeden darstellt, der das Bedürfnis nach totalitärer Machtausübung hat. Entsprechend werden wir schon bald eine enorme Welle von Konversionen zum Islam erleben, primär aus Kreisen der Linken. Später folgt die Restbevölkerung, die sich irgendwann eine pro-islamische Haltung genauso zu eigen machen wird wie heute den Glauben an den Klimawandel und eine naive Naturverherrlichung als quasi-spirituellen Ersatzhimmel.
(...)
Die vollkommene kulturelle Umformung Europas und später auch der USA in eine islamische Gesellschaft ist nicht mehr aufzuhalten. Weil sie sich auch ohne Islam bereits immer totalitärer strukturiert hat sei 68. Wöllte man diese Entwicklung umkehren, so müsste zuerst die gesamte linke Prägung der letzten 40 Jahre zur Diskussion gestellt werden und danach eine Befreiung von selbiger stattfinden. Doch die hierfür nötigen Strukturen (Organisationsformen wie Universitäten) und Resourcen ( ausreichend engagierte Personen sowie finanzielle Mittel) sind nicht einmal im geringsten Ansatz vorhanden.
Der Historiker sei ein rückwärts gewandter Prophet, hat Friedrich Schlegel geschrieben. Aber der Prophet ist kein vorwärts gewandter Historiker.
Die Zukunft ist offen. So wenig, wie die Entwicklung des Klimas zuverlässig vorhergesagt werden kann, können wir wissen, wie unsere Kultur sich entwickeln wird.
Darüber, daß es keine historischen "Gesetze" gibt, wie Marx sie behauptete, sind wir uns sicher einig. Kulturen haben auch nicht ein quasi-biologisches Leben, wie Spengler dachte.
Können Analogien weiterhelfen, etwa diejenige zum Decline and Fall of the Roman Empire? Ich fürchte nein.
Zum einen, weil eben Kulturen sich ganz verschieden entwickeln können. Die chinesische zum Beispiel hat trotz aller Phasen des Niedergangs sich immer wieder gefangen und erlebt gerade einen Wiederaufstieg.
Zum anderen sehen wir gegenwärtig die Entstehung einer Weltkultur. Oder anders gesagt: Unsere abendländische Kultur ist im Begriff, sich weltweit durchzusetzen; in vielerlei Hinsicht. Nie waren die Lebensumstände, die Lebensgewohnheiten, die Informationsquellen und auch die Denkweise der Menschen auf der ganzen Welt so ähnlich wie heute.
Das ist ein neues Phänomen; vergleichbar der Entstehung der ersten Hochkulturen und der Aufklärung, die zur wissenschaftlich-technischen Revolution führte.
Damit kommen wir mit Analogien leider nicht weiter; denn die Situation, in der wir uns befinden, ist historisch singulär. Ob am Ende Huntington Recht behält oder Fukuyama oder - was mir das Wahrscheinlichste zu sein scheint - keiner von beiden, das wissen wir nicht.
Was nun den Islam angeht, stellt sich zum einen die Frage, welche Rolle die Religion in Zukunft überhaupt spielen wird. Auch das ist eine der großen Unbekannten.
Bisher hat der Eintritt in die Moderne überall dazu geführt, daß die Religion an Bedeutung verlor. Das war und ist in Japan und Indien nicht anders als in Europa und den USA.
Die kommunistischen Länder sind ein Sonderfall. Dort wurde und wird die Religion unterdrückt, und mit der Befreiung vom Kommunismus scheint es so etwas wie einen backlash zu geben, ein Schwingen des Pendels in die andere Richtung.
Der Islam geht bisher mit Rückständigkeit einher. Das gilt gegenwärtig jedenfalls für den größten Teil des Orients. Islamische Länder wie die Türkei und Indonesien sind dabei, sich zu modernisieren. Wie sich das auf die Religiosität auswirken wird, wissen wir nicht. Ich vermute, daß es ähnlich gehen wird wie in den anderen Ländern, die sich industrialisiert haben. Aber es kann - wir können halt nicht als vorwärts gerichtete Historiker in die Zukunft blicken - auch anders kommen.
Die Religion ist vor einigen zehntausend Jahren entstanden. Sie hat alle kulturellen Entwicklungen überstanden. Vielleicht ist ein religiöses Bedürfnis, wie Nicholas Wade meint, genetisch verankert.
Aber hat der Islam, falls ein neues religiöses Zeitalter heraufdämmen sollte, besonders gute Chancen? Ich halte das für eher unwahrscheinlich. Er ist eine zu autoritäre, zu formalistische Religion. Die Moderne verlangt Eigenständigkeit, Selbstverantwortlichkeit, Flexibilität. Das paßt nicht gut zusammen.
Eine ganz andere Frage ist die demographische Entwicklung in Deutschland, wie Sarrazin sie thematisiert. Wenn sich nichts Entscheidendes ändert, dann könnte Deutschland in einem Jahrhundert in der Tat ein Land mit einer Mehrheit von Moslems werden.
Aber das liegt dann nicht an der Stärke des Islam. Es ist auch kein allgemeiner Trend, jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Eine Kultur, die nicht in ihre Zukunft, also die Kinder, investiert, geht unter.
Um das zu sagen, braucht man kein vorwärts gewandter Historiker zu sein. Es ist schlicht Mathematik.
Herzlich, Zettel
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