Was Sie, geschätzter Kollege Llarian, als Antwort an Koll. »DasPio« gaben, könnte ich fast zur Gänze ebenso äußern! Für »Mainstream-Christen« ist die Vorstellung, in Jesus Christus »nur« einen großen Menschen zu sehen, sicher Häresie pur. Ich frage mich hingegen immer, wie religiös überzeugte »Mainstream-Christen« es schaffen, die (ich sage es mal provokant) Mythen des Christentums ernstzunehmen, und im täglichen Leben dann bspw. doch durchaus rational eher nicht an eine Jungfrauengeburt zu glauben, wenn das vermeintlich brave Töchterchen auf einmal schwanger ist ...
Ein auf diese Weise (aus der Sicht von überzeugten Religiösen) »verdünntes«, bzw. (aus der Sicht von Freigeistern) »rationales« Christentum ist jedoch nicht bloß bei einzelnen Menschen (und zwar bei sehr vielen, wenn nicht gar der Mehrheit der Christen) zu finden, sondern es gibt hochoffizielle Religionsgemeinschaften (Unitarier, div. liberale Protestantengemeinden), die genau diese Überzeugungen in konsistenten Begründungen vorzutragen und zu vertreten in der Lage sind.
Beim Islam sieht's diesbezüglich weitaus düsterer aus: hier ist die Lage noch weitgehend so wie im Europa des 17./18. Jhds. Wer analog zu einem »rationalen Christentum« einen »rationalen Islam« verkünden möchte, wird den Rest seines Lebens in mehr oder minder großer, aber eben immer aktueller Alarmbereitschaft vor einer Ermordung leben müssen. Und das ist, seit in Europa die Scheiterhaufen der Inquisition (und ganz analoger Einrichtungen der Protestanten und Anglikaner, auf die gern aber unbegründeterweise »vergessen« wird!) ausgegangen sind, eben der fundamentale Unterschied. Ein katholischer Theologe, der (wie z.B. Küng) bezweifelt, ob Jesus Christus Gottes Sohn und Teil einer göttlichen Trinität ist, wird seinen Job als Professor für katholische Theologie verlieren. *)
Zu keinem Zeitpunkt aber war deshalb Küngs Leben in Gefahr — und zwar weder in Form von (mehr oder weniger verhüllten) Mordaufrufen seitens des Vatikans oder seines zuständigen Ordinariates, noch in Form »privater« Initiativen. Gehen wir nun in den islamischen Bereich, so sehen wir, daß ein Exegete wie Christoph Luxenberg aus Gründen der Sicherheit unter diesem (bis heute ungelüfteten) Pseudonym auftreten muß, daß große Wissenschaftsverlage die Publikation seines Hauptwerkes mit dem dezenten Verweis auf Salman Rushdi ablehnten etc. etc. Hier mußten Professoren der (vergleichsweise ohnehin noch gemäßigt liberalen) »Ankara-Schule« in den Westen flüchten, da sie im Orient wohl nicht mehr am Leben wären ...
@Zettel:
Ich fürchte, Sie machen sich hier einfach Illusionen. Kleine-Hartlage arbeitet in seinem Buch »Das Dschihad-System« sehr klar und nachvollziehbar heraus, daß der Islam eben über eine innere Struktur verfügt, die seine Ausbreitung auch mit Hilfe mäßig überzeugter Anhänger faktisch sicherstellt. Was Sie beschreiben ist faktisch ein »Nicht-Islam«, so, wie ein »Christ« nicht dadurch definiert ist, daß er am 24. Dezember einen Christbaum aufstellt! Natürlich haben sie recht: wenn unter islamisch-stämmigen Menschen der Islam durch einen Nicht-Islam ersetzt wird, dann ist kein Integrationshindernis Islam mehr anzunehmen. Nur verläuft Geschichte meist eben nicht in dieser Geradlinigkeit. Und der Umstand, daß der religiöse Gehalt des Islam ebensowenig von deutsch-türkischen Taxifahrern bestimmt wird, wie der religiöse Gehalt des Katholizismus von rheinländischen Hüttenarbeitern, sondern eben beim Islam von Imamen in Saudi-Arabien, bzw. Ayatollahs im Iran — beim Katholizismus eben von der Kurie in Rom (oder evang.-theol. Fakultäten in Europa und den USA) — dieser Umstand bedeutet aber zugleich, daß der europäische Islam von einer nichteuropäischen, ja vielfach sogar anti-europäischen Perspektive gelenkt wird, wogegen die Perspektive im Christentum eben doch eine Innenperspektive ist. Rom, Genf, Canterbury, Wittenberg sitzt schließlich immer noch »im gleichen Boot« mit Europa. Und das ist ein gewaltiger Unterschied zu einer noch so weltläufigen Medresse in Kairo, Teheran oder Karatschi!
*) Das werden nun irgendwelche Antiklerikalen ganz schrecklich finden — ist aber m.E. eine durchaus legitime Konsequenz. Wenn ich z.B. als Professor für Verfassungsrecht in München in meinen Vorlesungen nur mehr über die Verfassung der Mongolei vortrage, wird das (akademische Lehrfreiheit hin oder her) vermutlich auch dienstliche Konsequenzen haben.
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