Lieber Llarian,
ich beantworte gerne konkrete Fragen, wenn ich glaube, dass die Antwort weiterführt. Sie sehen aus meiner Sicht die Welt aus der Sicht eines vom Gesetzgeber in ein enges Korsett gezwungenen Herstellers eines für die Gesellschaft offensichtlich unwichtigen Produkts: Alleiniges Kriterium für eine Markteinführung ist allerhöchste Sicherheit. Ich meine aber, wir können uns über die Realität nur vernünftig austauschen, wenn wir den gesamten gesellschaftlichen Kontext zu sehen bereit sind.
=> Max hat meinen Punkt richtig verstanden. Und wenn Sie partout nur auf Maßnahmen am Produkt (Herstellersicht) bestehen: Sie können heute schon die Maximalgeschwindigkeit eines Fahrzeugs auf 30 km/h begrenzen. Sie sollten aber trotzdem auch verstehen, dass Sie als Hersteller beispielsweise eines Messers ganz wenig Kontrolle über Risiken eines Messers haben (denken Sie an den 'foreseeable misuse), da hilft nicht mal das Beiblatt.
=> Auf den Raketenrucksack wollte ich bewusst nicht eingehen, er bestätigt in seiner Absurdität meine Sicht: Sie haben intuitiv dieses Beispiel gewählt, nicht wegen der Gefahr, sondern weil Ihnen kein Nutzen einfiel, der eine 50% Mortalitätsrate für eine solche Anwendung rechtfertigen kann. Mir auch nicht. Die Risiko/Nutzen-Bewertung richtet das ganz schnell.
=> Ihre Frage, ob es bei der Gorch Fock eine formale Risikobewertung gegeben hat, kann ich nicht beantworten. Ich habe das auch nicht behauptet. Ich vermute, Ihre Frage leitet sich aus meinem Hinweis ab, dass das Militär Risikomanagement schon länger betreibt (als die z.B. für die Maschinenrichtlinie zuständige EU-Kommission). Meine Kenntnisse beziehen sich das amerikanische Militär, für das existiert die Gorch Fock wohl kaum. Ich kann mir vorstellen, dass es eine solche formale Bewertung bei der Gorch Fock nicht gab, weil die Erfahrungswerte älter sind als die systematischen Verfahren. Hinterfragen Sie doch bitte mal die EU-Normen, die Ihr Korsett für Sicherheitsfragen bilden: Diese Normen basieren zum Teil auf fünfzig oder mehr Jahre Erfahrung, die Inhalte der Normen (Grenzwerte u.a.) wurden nie nach modernen Gesichtspunkten ermittelt. Wenn beispielsweise irgendwo eine (sagen wir mal) zehnfache Sicherheitsmarge gefordert wird, dann ist das nicht wissenschaftlich begründet, sondern man weiß aus jahrelanger Erfahrung, dass das ausreichen müsste (bis neue Erkenntisse auftauchen).
Ich will Ihnen aber ein Beispiel aus der Realität erzählen, das Ihnen vielleicht hilft meine Sicht der Dinge nachzuvollziehen: Vor einigen Jahren hat die EU eine Arbeitsschutzrichtlinie erlassen, die u.a. die Stärke der Magnetfelder am Arbeitsplatz begrenzt hat. Die neuen Grenzwerte hätten im Handstreich die Kernspintomographie mitsamt Arbeitsplatz aus Europa verbannt. Ohne Ihnen die traurige Geschichte allzu breit erzählen zu wollen, wie man EU-Kommissionen dazu bringt, Irrtümer einzugestehen, kann ich Ihnen versichern, dass die zuständige Kommission letztlich eingesehen hat, dass der Nutzen der Kernspintomographie größer ist, als das Risiko für die Gesundheit der MTRs. Man kann das Ergebnis der Nachentscheidung aber als den gesellschaftlichen Konsens betrachten. Um Ihrer (Hersteller-)Sichtweise Rechnung zu tragen, sei bemerkt: Die Stärke der Magnetfelder ist methodenbedingt, es gibt keine Möglichkeit qualitativ gute Bilder mit geringeren Feldstärken zu erzielen.
Viel mehr kann ich nicht beitragen Sie davon zu überzeugen, dass am Ende immer die Kosten/Nutzen-Betrachtung steht, es sei denn, Anforderungen sind so einfach zu erfüllen, dass man keine weiteren Entscheidungen treffen muss. Oder - wie eingangs etwas provoziert - das Produkt ist so unwichtig, dass man bei Nichteinhaltung von Mindeststandards auf dieses Produkt leichten Herzens verzichten kann.
Gruß, Martin
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