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RE: Zettels Meckerecke: Guttenbergs Diss
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Werter Herr Oppermann,
auch wenn ich im Grunde mit Ihnen und dem Autor des Blogbeitrages übereinstimme, möchte ich einige kritisch-kritische Anmerkungen treffen.
Erstens verwehre ich mich gegen die ständige Behauptung (nicht nur von Ihnen, aber leider auch), die Plagiate wären absichtlich entstanden und aus niederen Beweggründen eingestellt. Nach Ockhams Rasiermesser ist der nächstliegende Grund zunächst anzunehmen. Hier wäre das m.E. schiere Schlampigkeit. Die Dissertation, die zur Diskussion steht, hat 1200 Fußnoten (wohl größtenteils Zitationen, in der Juristerei nach Vorbild „vgl. Name, Jahr, S. 123“) und 450 Seiten. In der Phase der Texterstellung war der jetztige Bundesminister bereits sehr stark politisch engangiert und gefordert. Es scheint mir realistisch, daß unter wachsendem Druck vielleicht zu früherem Zeitpunkt schlicht ins Dokument kompierte Textteile, die nur als Vorlage für eigene Formulierungen dienen sollten, unverändert übernommen wurden. Dieses Vorgehen wende ich zwar selbst nicht an, kenne es aber aus zahlreichen Beispielen. Natürlich wäre es korrekt gewesen – wie C. auch schon anmerkte – bei zu großer Ablenkung im Zweifelsfall auf die Diss. zu verzichten. Aber seien wir auch so realistisch zuzugeben, daß das für eine politische Person ein Genickbruch wäre.
Zwotens möchte ich anmerken, daß sich die Gepflogenheiten und Bedingungen, unter denen eine Dissertation erstellt wird, zu sehr von Fachbereich zu Fachbereich und von Universität zu Universität unterscheiden, um verallgemeinernde Aussagen zu treffen. Jeder kennt das Beispiel des Dr. med., der in deutschen Universitäten in semesterbegleitenden Kursen bereits vor der Approbation oder den Staatsexamina „abgeleistet“ wird, im Ausland auch gerne ohne weitere Leistung auf den Abschluß des Studiums „draufgelegt“ wird. Jeder Naturwissenschaftler oder Ingenieur hat doch schon auf diese „Spar-Doktoren“ herabgeblickt, ein Großteil sicherlich nicht ohne sich insgeheim zu ärgern, daß man es nicht genauso leicht hat (zumindest bei uns Ingenieuren ist das sicherlich so. Im Bereich der reinen Naturwissenschaften mag das anders sein). Man muß aber auch beachten, daß wir in dieser Hinsicht besonders bevorzugt sind: die Forschung, das Entdecken von Neuem ist die Kernkompetenz unserer Disziplinen. Sie wird im frühen Studium bereits so intensiv vermittelt, daß sie spätestens nach dem Diplom in Fleisch und Blut übergegangen ist. Und sie ist auch immer weiter möglich. Bei den Juristen, Historikern, Lehramtsstudenten, vielen Geisteswissenschaften, eben auch bei den Ärzten, steht die Berufsausbildung im Vordergrund. Arbeiten dort sind – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – reines Wiedergeben von Aussagen aus der Literatur. Anders geht es nicht, denn Möglichkeiten zu wirklichen Fortschritten sind so rar gesäht, daß man nicht auf sie zurückgreifen kann. Summa Summarum: Nur weil wir Zimmerleute (bis auf ganz wenige Ausnahmen meiner bisherigen Erfahrung nach aus den „MINT-Bereichen“ stammend) eine gewisse Vorstellung von Dissertationen haben, muß diese nicht allgemeingültig sein.
Letzlich: ich möchte mit den obigen Feststellungen nicht beschwichtigen, nicht rechtfertigen, nur zu erklären versuchen. Ich bin selbst betrübt, daß solche mindestens fahrlässigen Fehler in so einer Arbeit nicht nur auftauchen können sondern sogar nicht bemerkt werden. (In diesem Punkt teile ich Ihren, werter Zettel, Standpunkt nicht: ein derartiger Aufsatz zum eigenen Fachgebiet in der deutschen Tageszeitung sollte einem Professor zumindest noch etwas im Gedächtnis sein. Und ganze derartige Absätze… vielleicht bin ich von unseren Standards verwöhnt, aber eine Diss. geht bei uns am Fachgebiet sicherlich durch 20 bis 40 weitere Hände. Einem muß der Fehler doch auffallen und zumindest in den Errata bzw. einer Online-Veröffentlichung erwähnt werden?!
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