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Zettel
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17.02.2011 07:32 |
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Lieber energist,
danke für diesen nachdenklichen Beitrag. Zitat von energist Erstens verwehre ich mich gegen die ständige Behauptung (nicht nur von Ihnen, aber leider auch), die Plagiate wären absichtlich entstanden und aus niederen Beweggründen eingestellt. Nach Ockhams Rasiermesser ist der nächstliegende Grund zunächst anzunehmen. Hier wäre das m.E. schiere Schlampigkeit. Die Dissertation, die zur Diskussion steht, hat 1200 Fußnoten (wohl größtenteils Zitationen, in der Juristerei nach Vorbild „vgl. Name, Jahr, S. 123“) und 450 Seiten. In der Phase der Texterstellung war der jetztige Bundesminister bereits sehr stark politisch engangiert und gefordert. Es scheint mir realistisch, daß unter wachsendem Druck vielleicht zu früherem Zeitpunkt schlicht ins Dokument kompierte Textteile, die nur als Vorlage für eigene Formulierungen dienen sollten, unverändert übernommen wurden.
Das ist denkbar, aber würde die Sache ja nicht viel besser machen. Wer so schlampig arbeitet, der dürfte überhaupt nicht promovieren.
Ich habe meine Dissertation, wie anders, lange vor dem Internet-Zeitalter geschrieben, vor dem Zeitalter der Texteditoren. Getippt auf einer IBM. Diese Diss hatte noch ein paar mehr Titel im Literaturverzeichnis als die von zu Guttenberg.
Wenn damals der Text in der Rohfassung fertig war, dann markierte man jedes Zitat - ich habe in einer Fotokopie einen gelben Textmarker benutzt - und überzeugte sich davon, daß die betreffende Quelle im Literaturverzeichnis auch vorhanden ist; das hakte man dann ab, oder man markierte es irgendwie eindeutig.
Dabei überprüfte man zugleich, ob die Quelle korrekt zitiert ist, ob die Seitenangaben stimmen usw. Diese Arbeit dauerte bei mir etliche Wochen, aber sie war unabdingbar. Das, was die Journalisten Schlußredaktion nennen.
Die Gegenprobe war damals schwierig, aber man machte sie: Zu jedem Titel im Literaturverzeichnis nachprüfen, ob er wenigstens einmal im Text zitiert wurde. Wer "drin" ist in seiner Arbeit, der weiß im allgemeinen, wo er was zitiert hat. In einigen Fällen habe ich aber die ganze Arbeit, die auch nicht dünner war als die zu Guttenbergs, durchgehen müssen, bis ich die betreffende Stelle gefunden hatte. Oder auch nicht, dann wurde der Titel eben aus dem Literaturverzeichnis gestrichen.
Seit den späten achtziger Jahren, also seit man Texteditoren, Literaturverwaltungen usw. zur Verfügung hat, ist das alles ein Klacks. Da gibt es keine, absolut keine Entschuldigung mehr für Schlamperei.
Zitat Jeder kennt das Beispiel des Dr. med., der in deutschen Universitäten in semesterbegleitenden Kursen bereits vor der Approbation oder den Staatsexamina „abgeleistet“ wird, im Ausland auch gerne ohne weitere Leistung auf den Abschluß des Studiums „draufgelegt“ wird.
Für die Mediziner stimmt das meines Wissens; es ist eine alte Tradition. Bevor sie wissenschaftlich wurde, bestand die Medizin zur Hälfte aus Handwerk (der Feldscher, der Barbier und Bader), zur anderen Hälfte aus Scharlatanerie (der Arzt, so wie ihn Molière im "Eingebildeten Kranken" karikiert hat, der reisende Dr. Eisenbarth).
Zitat Man muß aber auch beachten, daß wir in dieser Hinsicht besonders bevorzugt sind: die Forschung, das Entdecken von Neuem ist die Kernkompetenz unserer Disziplinen. Sie wird im frühen Studium bereits so intensiv vermittelt, daß sie spätestens nach dem Diplom in Fleisch und Blut übergegangen ist. Und sie ist auch immer weiter möglich. Bei den Juristen, Historikern, Lehramtsstudenten, vielen Geisteswissenschaften, eben auch bei den Ärzten, steht die Berufsausbildung im Vordergrund. Arbeiten dort sind – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – reines Wiedergeben von Aussagen aus der Literatur. Anders geht es nicht, denn Möglichkeiten zu wirklichen Fortschritten sind so rar gesäht, daß man nicht auf sie zurückgreifen kann.
Hm, lieber Energist. Ich bin ja nun auch Naturwissenschaftler, würde aber die von Ihnen genannten Disziplinen nicht so einschätzen.
Die Ärzte - wie gesagt - ausgenommen: Von den Juristen und Geisteswissenschaftlern promoviert nur ein kleiner Teil; bei Juristen wird im Allgemeinen ein Prädikatsexamen verlangt. Wer promoviert, der muß sich dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit stellen und tut das in der Regel ja auch.
Zitat Summa Summarum: Nur weil wir Zimmerleute (bis auf ganz wenige Ausnahmen meiner bisherigen Erfahrung nach aus den „MINT-Bereichen“ stammend) eine gewisse Vorstellung von Dissertationen haben, muß diese nicht allgemeingültig sein.
Dazu ein off-topic (was ja hier bekanntlich erlaubt ist ):
Mich würde schon interessieren, wie das eigentlich bei den Zimmerleuten ist, und warum. Mein ganz und gar intuitiver Eindruck ist, daß diese Gruppen stark vertreten sind: Informatiker, Ingenieure und Techniker, Mathematiker und Statistiker; Ökonomen und Historiker; Naturwissenschaftler; Juristen. Ungefähr in dieser Reihenfolge.
Es gibt Philosophen und Theologen. Es gibt kaum Sozialwissenschaftler, Psychologen, Kunstwissenschaftler, Linguisten, Germanisten unter den Zimmerleuten. So ist jedenfalls mein Eindruck.
Warum ist das eigentlich so?
Herzlich, Zettel
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