Hallo und Guten Tag.
Ich scheine dieser Tage der einzige Zimmerleut vom Fach zu sein, daher ein paar Anmerkungen ohne besonderen Zusammenhang zur laufenden Diskussion . Zunächst zur Verortung: Ich bin zur Zeit Doktorand in der letzten Phase meiner Diss; die letzten Jahre war ich als wissMit 'erster Offizier' meines Doktorvaters, daher eingesetzt zur Unterstützung desselben in Forschung und Lehre, aber auch eigenverantwortlich lehrend unterwegs.
Zunächst ist die Juristerei kein homogenes Feld; eine Grobdifferenzierung ergibt sich zwischen Zivilrechtlern, Öffentlich-Rechtlern und den Strafrechtlern, daneben gibt es die Orchideenfächer, namentlich Rechtsphilosophie, -soziologie und -geschichte. Die einzigen, die empirisch arbeiten, sind dabei die -soziologen; abgesehen davon ist die Juristerei eine kompilatorische Wissenschaft. Typisch ist dabei, dass man geradezu neurotisch ängstlich bemüht ist, so ziemlich jede Aussage durch Fußnoten zu belegen; der Bochumer Röhl hat das recht treffend so beschrieben, dass Juristen gern Kopernikus zitieren, wenn sie behaupten, dass sich die Erde um die Sonne drehe. Genervt von der ganzen Fußnoterei ist bspw. Haft aus dem Saarland, der (allen ernstes) Studenten empfiehlt, Fußnoten, so weit es geht, wegzulassen. Würde ich meinen Studenten so nicht empfehlen. Grund für diese wohl extreme Neigung zur Absicherung ist, dass so ziemlich alles schon mal von jemandem gesagt wurde; es passiert so gut wie nie, dass man selbst, wenn man über ein Problem nachdenkt, auf ein Argument kommt, das nicht irgendwo schon mal abgedruckt wurde. Wenn passiert das in Feldern, die vom Mainstream noch nicht so beackert wurden, aber auch da neigt man dazu, nervös zu werden, wenn man für etwas keinen Beleg hat. Ich habe schon so manche Stunde mit zunehmendem Frust nach einer Fundstelle gesucht, in der jemand etwas sagt, was eigentlich offensichtlich ist und sich aus der Natur der Sache ergibt, aber eben mal in einer Veröffentlichung gesagt worden sein muss, damit ein kleiner Mittelbauer es auch behaupten kann. Das darf auch gern 50 Jahre her sein; Hauptsache, man hat eine Fußnote.
Die drei großen Rechtsgebiete weisen natürlich auch einen gewissen Dünkel, eine gewisse Rivalität auf. Zivilrechtler, die sehr rechtsdogmatisch argumentieren, werfen den ö-Rechtlern gern vor, deren Disziplin sei eine Art "Laberfach". Gestern sprach ich mit einem Zivilisten über den Fall Guttenberg, und er machte sich darüber lustig, dass man offentlich eine Diss dafür kriege, die FAZ als Quelle zu benutzen. Speziell die Verfassungsrechtler schwebten in höheren Sphären, heißt es. Plagiate dürften daher, so meine Vermutung, im Zivilrecht schwieriger sein: Meist haben die Ordinarien einen gewissen Überblick über die einschlägige Literatur; mein Chef hat wiederholt Plagiate in studentischen Arbeiten entdeckt, einfach weil ihm Formulierungen bekannt vorkamen.
Das Zitieren in Fußnoten selbst läuft im Allgemeinen recht spartanisch: Autor, Publikationstitel, Seite bzw. Randnummer; nähere bibliographische Angaben (vollst. Titel, Erscheinungsort [total anachronistisch] und -jahr) finden sich im Literaturverzeichnis. Bei bekannten Zeitschriften reicht auch die Abkürzung derselben mit Angabe des Jahrgangs, Webseiten (mag mein Chef gar nicht) müssen mit URL und Datum des Abrufs genannt werden; Gerichtsentscheidungen tauchen im Lit.-Verzeichnis überhaupt nicht auf. Meiner Erfahrung nach 'geht es so eben', wenn Formulierungen wörtlich übernommen werden, aber die Fußnote auf die Quelle verweist; nicht hübsch, natürlich, weil man eigentlich mit Gänsefüßchen arbeiten sollte, aber speziell bei allgemeinen Lehrsätzen oder Definitionen, die zum Teil aus der Rechtsprechung stammen, wird sowas durchaus schon mal toleriert. Bei studentischen Arbeiten ist man teilweise ja schon dankbar, wenn die Arbeiten an Texte in deutscher Sprache erinnern (man sieht da Dinge... ojemine).
Bei all dem mag sich die Frage stellen: Was ist eigentlich die wissenschaftliche Eigenleistung bei Diss und Habil? Also zunächst freut man sich, wenn es mal wieder einen netten Überblick über einen Diskussionsstand gibt. Dann ist auch (gerade für eine Diss) sehr hilfreich, wenn jemand namentlich in einer Habil so ziemlich jeden Aspekt eines Themas nennt, der relevant ist. Jemand, der sich wirklich in eine Materie eingearbeitet hat, kann vielleicht sogar ein neues Argument anführen, ansonsten ist eine eigene Stellungnahme immer gut zum Zitieren als "a.A.". Ein Kollege bearbeitet gerade eine Gesetzesnovelle, und wenn jemand vor ihm etwas zu dem Thema veröffentlicht, na, dann wird diese neue Diss eben in seiner Diss mit verwurstet - kein Ding.
In dem Lichte ist mir ehrlich gesagt auch ein bisschen rätselhaft, wie Plagiate überhaupt zustandekommen - meiner Wahrnehmung nach geht es gerade darum, zu zeigen, dass man die wissenschaftliche Diskussion kennt bzw. einigermaßen überblickt. Ideal scheint mir, wenn man möglichst wenig selbst als kreativer Kopf sichtbar wird (gefährlich), und sich möglichst wenig aus der Deckung wagt, indem man Dinge behauptet, die man nicht durch Äußerungen namentlich von Autoritäten belegen kann. Es gibt Leute, die dürfen Sachen 'einfach so' behaupten, aber das sind auch die Götter der Kunst.
Die juristische Ausbildung, energist hat es schon gesagt, ist zweigeteilt. Das fünfjährige Studium endet mit einem ersten Staatsexamen, nach einem zweijährigen Referendariat mit diversen Stationen kommt das zweite, das einem die Befähigung zum Richteramt, und damit auch die Befugnis, als Rechtsanwalt aufzutreten, einbringt. Detail: Das erste Examen ist eigentlich gar kein richtiger 'Abschluss', weshalb die Unis jedem ein Diplom ausstellen, der das erste Examen nachweisen kann. Putzig ist dabei, dass Anwälte damit Werbung machen, sie seien "Rechtsanwalt und Diplom-Jurist". Es wurde im kleinen Zimmer angedeutet, es sei ungewöhnlich, schon nach dem ersten Examen zu promovieren; das ist es ganz und gar nicht. Auch und namentlich deshalb, weil man durch die Lehrverpflichtung unglaublich viel über Dinge lernt, die später 'Kernmaterie' auch im Referendariat sind - ich saß während der Vorbereitung von Lehrveranstaltungen so manches Mal mit kaltem Grausen vor dem Rechner, als ich mit Entsetzen feststellte, dass ich etwas, ohne es zu bemerken, noch nicht richtig verstanden hatte. Nach dem 2. Examen an die Uni zurückzugehen, kann einen hingegen ein bisschen aus der Praxis herausreißen; außerdem ist die Lehre dann ein bisschen witzlos.
Causa Guttenberg? Juristen wird antrainiert, mit Normverstößen mit professioneller Coolness umzugehen, daher bin ich zu Empörung oder so unfähig. Mal gucken, was die Uni Bayreuth sagt. War das eine s.c.l.-Diss? Naja, meine Diss wird das nicht sein, aber ich promoviere ja auch nicht im Verfassungsrecht .
Gruß, fedchan
|