Zitat von Zettel
Zitat von Martin und was sagt diese eidesstattliche Erklärung genau? Irgendetwas wie "..nach bestem Wissen und Gewissen.."?
Sie können Sie, lieber Martin, hier lesen. [Nachtrag: Es ist aber nur eine ehrenwörtliche, keine eidesstattliche].
Zitat von Martin Sie unterstellen Absicht, können sich offensichtlich nicht vorstellen, dass es sich um Fehler (z.B. im Zitieren) handeln könnte. Ich habe schon an anderer Stelle gefragt, welche Fehlerquote denn erlaubt sein darf. Haben Sie einen Vorschlag?
Wenn ich das zu beantworten versuchen darf: Null Fehler. Null.
Natürlich können Fehler vorkommen. Erlaubt sind sie dennoch nicht. Es gibt nichts Peinlicheres für einen Wissenschaftler - und eine Dissertation ist eine wissenschaftliche Arbeit -, als sich Fehler zu leisten.
Lieber Zettel,
erst mal vorneweg: Ich bin der Nachrichtenentwicklung und auch der Entwicklung hier in Ihrem Zimmer in den letzten Tagen nur sehr sporadisch gefolgt, und habe kein auf eigenen Eindrücken beruhendes Gesamtbild von Guttenbergs Diss. Ich sehe natürlich, dass sich der Eine oder Andere bereits ein solches gemacht hat. Ich habe ja selbst kürzlich gegenüber Gorgasal mit der Dynamik und Schnelligkeit des Internet und meiner Erwartung, wie sich gesellschaftliche Prozesse dadurch verändern, argumentiert. Die Diss Guttenberg ist ein gutes Beispiel für diese Dynamik, und ich begebe mich natürlich in Gefahr, dem Stand der Erkenntnisse hinterherzuargumentieren. Ich will mich deshalb lieber auf ein paar prinzipiellen Punkte beschränken:
Vielen Dank für die Klarstellung der Null-Fehler-Erwartung. Ich habe auch volles Verständnis dafür, nur ist es für mich exemplarisch für das, was man als wissenschaftlichen Elfenbeinturm bezeichnet. Der wissenschaftliche Betrieb versucht seine Qualität dadurch zu erreichen, dass er salopp und vereinfacht den Autor einer Arbeit mit Entzug der Anerkennung bedroht, falls er doch Fehler gemacht haben sollte. Sicher kontrollieren die Doktorväter (gibt es auch -mütter, oder väterInnen?) nach, aber es ist wohl kaum eine standardisierte Kontrolle, und die Sanktionen für Nicht-Kontrolle sind nicht gleich Entzug der Beamtenposition.
Darüber kann ich als Industrieerfahrener nur den Kopf schütteln. Sie sehen ja selbst, wie mit entsprechenden Interesse und Aufwand 'Abweichungen' nur so sprudeln, was deutlich macht, dass die universitäre Qualitätssicherungsmaßnahmen Ihrer Erwartung überhaupt nicht gerecht werden können. Was würden Sie sagen, wenn der Medikamentenhersteller seine Qualitätskontrolle darauf beschränkte, einzelne Mitarbeiter zu entlassen, nachdem unerwünschte Auswirkungen bei Patienten aufgetreten sind. Je manueller, desto wichtiger ist zusätzliche Kontrolle. Angewandte Prozesse und Software sind so oder so zu validieren, wenn Sie einen hohen Qualitätsstandard erreichen wollen. Da eine Universität mit für eine Dissertation geradesteht, müsste sie im Vergleich zur Industrie auch geeignete Methoden einsetzen. Beim Hersteller sorgen im Zweifel die Haftungsansprüche für den nötigen Druck, bei regulierten Betrieben (Kernkraftwerke, Nahrungsmittel, Pharma, Medizintechnik) kommen staatliche Kontrollmaßnahmen inklusive Meldepflichten hinzu.
Und wie ich hier in Zettels Raum an unterschiedlicher Stelle schon verfolgen konnte, scheinen wissenschaftliche Verlage, die auf ihr Renommee achten, auch deutlich bessere Kontrollmaßnahmen zu haben als deutsche Universitäten. Kann es sein, dass der deutsche wissenschaftliche Betrieb ein bisschen in der Vergangenheit stehen geblieben ist?
Zu meinem Eindruck über wissenschaftlichen Betrieb (nicht nur Prüfung von Dissertationen) im Allgemeinen zwei Beispiele, die letzten Endes sogar große ökonomische Folgen haben / hatten: 1. Als vor über 10? Jahren ein Klimawissenschaftler eindrucksvoll vor die Presse getreten ist und verkündete, dass der Klimawandel mit 95%iger Wahrscheinlichkeit menschengemacht sei, und auf Computersimulationen verwies, da habe ich die Frage vermisst, nach welchen Normen die Simulationssoftware erstellt und validiert worden war. Ich hätte locker gewettet, dass allein die Software mit 99,999% Wahrscheinlichkeit Fehler hatte, von der Validität der ganzen Simulation ganz zu schweigen. 2. Im letzten Jahr wurde für ca. 1 Woche aufgrund einer Computersimulation zu den Auswirkungen eines Vulkanausbruchs der europäische Flugverkehr eingestellt, ohne dass unabhängige Qualitätsprüfungen einer von möglicherweise qualitätsmäßig freilaufenden universitären Mitarbeitern und Studenten erstellten Simulation abverlangt wurden.
Zitat Das Dreistete ist aus meiner Sicht, daß in dem Artikel von Zehnpfennig, da er 1997 geschrieben wurde, "vor rund zweihundert Jahren" stand und daß der Autor das in "vor mehr als 215 Jahren" verändert hat; offenkundig, weil er die Dissertation eben rund 15 Jahre später schrieb. [Nachtrag: Naja, ganz so viele waren es nicht].
Das, lieber Martin, ist kein Fehler, sondern es ist das Indiz für ein dreistes Plagiat. Und es gibt ja offenbar etliche Stellen, wo solche Veränderungen vorgenommen wurden.
Herzlich, Zettel
Ich war zu meiner universitären Zeit (vor ca. 35 Jahren) nie über irgendwelche Regeln des Zitierens und 'Abschreibens' unterrichtet worden, also beispielsweise darüber, ob ich jede 'abgeschriebene' Textstelle einzeln markieren muss, oder ob ich einmal generell auf Quellen verweisen kann, wenn aus dieser Quelle häufig Angaben benutzt werden. Ich bin neugierig, erwarten Sie den Umgang mit Datenquellen als vorhandenes Know How, oder informieren Sie Ihre Diplomanden und Doktoranden proaktiv? Ich habe mich wegen der Guttenberg Diskussion über Wikipedia über die Definition von Plagiat etwas schlau zu machen versucht, und ich fühlte mich mit dieser Information auch nicht sicher genug für eine Publikation, habe nur den Eindruck, dass das ein Minenfeld ist. Die Guttenberg'schen 'Plagiate' werden in der öffentlichen Diskussion als verwerflich dargestellt (Sie schreiben ja 'dreist'), teilweise mit dem 'Abschreiben' in der Schule verglichen, als ob 'Abschreiben' in der Wissenschaft per se verwerflich sei.
Ich habe zwei 'Plagiate' von Guttenberg quergelesen. Guttenberg hat offensichtlich geschichtliches Material verwendet. Es ist auch offensichtlich, dass Guttenberg nicht persönlich überall dabeigewesen sein kann. Geschichtliches Material kann also nur aus fremden Quellen stammen. Wie es einen allgemein anerkannten Stand der Technik gibt, muss es einen anerkannten Stand der Geschichtsschreibung geben, den zu rezitieren selbstverständlich sein sollte. Der wissenschafliche Beitrag dahinter ist die Auslese des Materials, ein eventuell neuer Kontext, und die Schlussfolgerungen daraus. In dieser Welt etwas unbedarft würde ich argumentieren, dass das wörtliche Rezitieren des Standes der Geschichtsschreibung aus einer referenzierten Quelle das Vernünftigste der Welt ist. Wo ist aus wissenschaftlicher Sicht das Problem? Was ist der wissenschaftliche Gewinn, wenn Geschichte in eigenen Worten wiedergegeben wird?
Aus Sicht der Wissenschaft ist die Referenz der Quelle sicher wichtig, um den Kontext einer Arbeit nachvollziehen zu können. Wenn ich aber eine technische Dissertation vor mir hätte, wo das ohm'sche Gesetz mit Referenz auf ein Physikbuch versehen wäre, käme ich mir veralbert vor (Und nicht weil vielleichtein Schulbuch die Referenz ist). Das liest sich vielleicht etwas blöde, aber ich kann bei den vielen zitierten Stellen in Guttengergs Arbeit nicht beurteilen, was davon nur in meist fremden Worten wiedergegebenes (zumindest universitäres) Allgemeinwissen ist. Jedenfalls kann mir Wikipedia bei der Beurteilung solcher Fragen und der Entscheidungsspielräume nicht weiterhelfen.
Die Sicht der Autoren ist sicher die von Ehre und vielleicht auch monetärem Erfolg (copyright, Karriere), wenn sie in anderen Werken zitiert werden. Die Häufigkeit der Zitate scheint neben der Häufigkeit von Publikationen ein Qualitätskriterium der Wissenschaft zu sein (ein promovierter Kollege erzählte von einem Prof, der bei seinen Doktoranden aus diesem Grund auf das Zitieren seiner eigenen Arbeiten bestanden hat). Man siehlt ihnen den Erfolg. Ist es aber aus dieser Sicht wichtig, an jeder kopierten Stelle zu referenzieren (zitieren), oder ist dem Erfolg nicht dadurch Genüge getan, im Literaturverzeichnis aufgeführt zu sein?
Sicher, ich ersehe aus verschiedenen Beiträgen der Zimmerleute, dass es nun mal bestimmte Regeln gibt, und dass diese einzuhalten sind. Basta. Da aber das Einhalten von Regeln und Moral nicht unbedingt dasselbe sind, und hier deutlich oder unterschwellig Moral ins Spiel gebracht wurde, bin ich so frei diese Moral zu hinterfragen. Moral hat ja in der Regel sehr pragmatische Wurzeln, und root cause analysis' ist das was in der regulierten Herstellerwelt überall eingefordert wird.
In dieser marktwirtschaftlich orientierten Welt (ich kenne mehrere internationale Großbetriebe von innen) sieht die 'Moral' etwas anders aus: 'Erfinde das Rad nicht neu' ist eine wichtige Forderung. Ist das Rad bereits erfunden gilt nur noch, ob dieses patentrechtlich geschützt ist oder nicht. Ist eine Lösung irgendwo publiziert, aber nicht geschützt, dann steht sie der Allgemeinheit zur ökonomischen Verwertung frei. Die Quellen werden nicht in irgendwelchen Unterlagen referenziert, die Vordenker sind in der Regel unbekannt. Der Wert einer Lösung misst sich letztlich im Beitrag zum Gewinn. Ohne diesen Pragmatismus hätten wir heute den Stand von 1980.
Patente sind Schutz des geistigen Eigentums, aber auch Tauschware unter den Firmen. Sie sind wichtig, und Patentverletzungen u.U. so teuer, dass sich professionelle Teams und Anwaltskanzleien mit deren Qualität beschäftigen. Und: Es gibt anders als in der Wissenschaft sehr professionell organisierte Patentämter, die den technischen Beitrag prüfen. Das Prosa der Patentschriften ist meist gleichlautend, ohne dass je Plagiatvorwüfe zum Prosa erhoben worden wären: Fokus ist nur der Inhalt und die zu behauptende Neuerung.
Vielleicht sehen Sie, worauf ich hinaus will: Dank google und Guttenberg steht die Welt der Wissenschaft mit blanken Hosen da. Breite und zeitgemäße Qualitätskontrolle der wissenschaftlichen Arbeit gibt es nicht (Jagen Sie doch mal die Dissertationen der letzten Jahre durch den 'Guttenberg-internet-Prozess'). Und ich habe Zweifel an der Zweckmäßigkeit so mancher Regeln in der wissenschaftlichen Welt. Betrachte ich aber den Einfluß der wissenschaflichen Welt auf die Politik und über die Politik auf die Menschen (von der Klimadiskussion bis zur Vulkanaschenwolke über Deutschland), dann würde ich mal vorschlagen, nur noch wissenschaftliche Erkenntnisse für politische Entscheidungen zuzulassen, die eine etwas höhere Hürde genommen haben als die bestehende. Ich bin sicher nicht der Einzige, der vor der 'Wissenschaft' wenig Respekt hat, nicht erst seit Guttenberg.
Gruß, Martin
PS: Sollte ein Geisteswisenschaftler auf die Idee kommen, eine geisteswissenschaftliche Diss genau über diesen 'Guttenberg-internet-Prozess' zu schreiben und aus Zettels Raum zu zitieren oder gar abzuschreiben, so ist zu hoffen, dass die Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit nicht deswegen angezweifelt wird, weil er NUR aus einem Internetblog zitiert hat .
|