Mit der Einschätzung der Entwicklung vom Gläubigen zum Zyniker haben Sie sicher auch im Fall Gaddhafi recht, dennoch glaube ich nicht, dass er Libyen verlassen wird um irgendwo mit dem beiseite geschafften Geld einem luxuriösen Lebensabend zu verbringen. Eher befürchte ich, dass er, falls er zur Einsicht kommt, dass seine Position aussichtslos geworden ist, versuchen wird ein Programm "Nerobefehl" durchzuführen.
Gaddhafi hat zwar in den letzten Jahren versucht, gegenüber dem Ausland die Maske des geläuterten Despoten aufzusetzen, aber wer sich an seine jahrzehntelange Unterstützung des Terrorismus erinnert, fällt darauf hoffentlich nicht so leicht rein. Nach meiner Einschätzung ist der reine Machterhalt derzeit sein bei Weitem wichtigstes Ziel um seinen Söhnen eine gesicherte Herrschaftsperspektive zu hinterlassen. Er ist klug genug um einzusehen, dass er dafür seinen revolutionären Habitus zurück nehmen muss, aber gelegentlich blitzt dennoch durch, dass er weiter bestrebt ist seine wirre Ideologie in der Welt zu verbreiten - Etwa wenn er italienische Models zu einem Vortrag über den Koran einlädt. Er kann sehr gut einschätzen, wie weit er gehen und wann er Kompromisse machen kann. Seine Urteilskraft wird aber durch seinen Narzissmus getrübt. Ein Beispiel dafür war die geforderte "Aufteilung der Schweiz", ein Verhalten, das sich nicht rational erklären lässt, weil es seinem eigentlichen Ziel - internationales Ansehen zu gewinnen - komplett entgegenläuft. Doch bei ihm führte die empfunden Kränkung auf Grund der Verhaftung seines Sohne dazu, dass er sich von seiner Wut, statt von seinem Verstand, hat leiten lassen.
Gaddhafi ist demnach mitnichten der unberechenbare Irre, als der er gern gezeichnet wird. Im Gegenteil, wenn man diese Faktoren mit einbezieht, ist er meiner Meinung nach sogar ziemlich berechenbar, aber dadurch nicht weniger gefährlich, wenn er gereizt wird.
Deshalb habe ich in Libyen auch viel größere Sorgen für die zukünftigen Entwicklungen. Gaddhafi sieht nicht nur sein Lebenswerk in Gefahr sondern für ihn sind die Proteste eine persönlicher Angriff und eine Beleidigung. Im Gegensatz zu Ben Ali oder Mubarak, die vielleicht Demonstrationen brutal niedergeschlagen hätten, um sich an der Macht zu halten, wird es bei Gaddhafi auch darum gehen Rache zu üben und, was ich nicht hoffe, im schlimmsten Fall sein Volk mit in die Vernichtung zu ziehen. Ich vermute, solche Überlegungen spielen bei vielen Deserteuren und den Stämmen eine Rolle bei der Entscheidung, direkt in die Proteste einzugreifen statt den Ausgang der Revolte abzuwarten, weil sie Angst haben, in einen Racheakt Gaddhafis hineingezogen zu werden.
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