Zitat von R.A. Die Erkenntnis überrascht mich nicht - ich fand die Einwände von wegen "Folter ist ohnehin unwirksam" schon immer ziemlich realitätsfremd. Denn viele Jahrhunderte weltweiter Anwendung haben das Gegenteil bewiesen: Gefoltert wurde, weil es in der Regel zu den gewünschten Ergebnissen führt.
Dieses gewünschte Ergebnis war allerdings - Beispiel Hexenprozesse - nicht die Wahrheit, sondern ein Geständnis. Und/oder eine Denunziation, die zu weiteren "Schuldigen" führte.
Zitat von R.A. Folter ist selbstverständlich erst einmal abzulehnen. Wie es ja auch abzulehnen ist, daß man Menschen tötet. Aber es gibt eben immer die Abwägung zu anderen Zielen. Wenn das Töten von Menschen (auch von vielen Unschuldigen) ethisch in manchen Situationen gerechtfertigt sein kann - dann können im ähnlichen Kontext auch harte Vernehmungen gerechtfertigt sein.
Darüber hatte ich lange Diskussionen mit einem Rechtsphilosophen. Ich habe diese Ihre Auffassung vertreten. Er hat argumentiert wie das BVerfG in seinem Urteil mit dem Verbot, das Abschießen eines Flugzeugs zu erlauben, das auf ein AKW zufliegt, um dort einen GAU auszulösen:
Der Staat hätte nicht das Recht, um welcher Ziele auch immer die Normen zu brechen, die zu schützen ihm aufgetragen sei. Die Achtung der Menschenwürde sei ein absolutes Gebot und nicht disponibel.
Im Grunde geht es um das Trolley-Problem; siehe Schäuble, Kant und das Trolley-Problem; ZR vom 3. 1. 2007.
Ich neige eher der Argumentation von Bloche zu: Folter ist ein zivilisatorischer Rückfall oder jedenfalls Atavismus (wie auch die Todesstrafe, würde ich hinzufügen). Die Frage ist nur, ob nicht ein barbarischer Gegner uns zu einem solchen Rückfall zwingt. Oder ob wir gerade deshalb dem Rückfall widerstehen müssen, weil er uns dazu zu zwingen versucht.
Zitat von R.A. Und wo ist die Grenze zwischen "normaler Vernehmung" und "verschärfter Vernehmung" und "Folter"? Das ist letztlich ein stufenloser Übergang, die Abgrenzung bleibt willkürlich.
Das gilt allerdings für viele Begriffe, mit denen wir doch operieren müssen. Die Grenze zwischen Atmosphäre und Weltraum ist nicht scharf gezogen, die zwischen Leben und toter Materie ist es nicht; oder - um im Juristischen zu bleiben - die Grenze zwischen Kind, Jugendlichem, Heranwachsendem und Erwachsenem; die Grenze zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit.
Da helfen nur a) definitorische Festlegungen und b) im Zweifelsfall der best guess.
Ich habe im Fußtext die Dokumente aus Guantánamo verlinkt, die wirklich lesenswert sind. Wenn ich nichts übersehen habe, handelt es sich bei keiner der Maßnahmen, die dort erlaubt wurden, um das Zufügen körperlicher Schmerzen oder gar bleibender körperlicher Schädigungen. Das wäre m.E. eine vernünftige Definition von "Folter".
Die Abgrenzung zwischen normaler Vernehmung und verschärftem Verhör scheint mir auch pragmatisch möglich zu sein: Bei einer normalen Vernehmung ist lediglich erlaubt, den Betroffenen durch eine lange Vernehmungsdauer zu ermüden; diese ist oft ja schon von der Sache her erforderlich, wenn es zum Beispiel um eine Entführung geht, bei der jede Stunde zählt. Alles, was darüber hinausgeht - stundenlanges Stehenmüssen, Erniedrigungen und Beleidigungen usw. - ist verschärftes Verhör.
Zitat von R.A. Im Fall Gäfgen mag es inakzeptabel gewesen sein, daß ein Polizeibeamter die (relativ milde) Form der Drohung mit Folter benutzt hat. Wenn nun aber der betroffene Vater selber den Entführer in den Fingern hat und versucht sein Kind zu retten - da hielte ich es für ethisch durchaus vertretbar, wenn er zu deutlich härteren Mitteln greift als nur der Drohung.
Keine Frage. Dem hätte auch der genannte Rechtsphilosoph nicht widersprochen. Es geht ausschließlich um das, was der Staat darf.
Noch eine Anmerkung: Gestern habe ich etwas zu der Praxis der Linken geschrieben, Begriffe umzudeuten, um sie für ihre Propaganda zu verwenden ("Konsumterror"; "strukturelle Gewalt"). Auch mit dem Begriff der Folter ist so verfahren worden, und mit großem Erfolg: Die Unterbringung von RAF-Häftlingen in Einzelhaft wurde als "Isolatonsfolter" bezeichnet; ebenso nannten die RAF-Anwälte die Zwangsernährung derer, die sich zu Tode hungern wollten, "Folter".
Herzlich, Zettel
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