Zitat von ArthurWas Mich als Spätergeborenen interessieren würde: wie wurde Chruschtschow damals eingeschätzt? Stand er wirklich für "Tauwetter" ?
Es gab ja, lieber Arthur, nach dem Tod Stalins eine Übergangsphase, in der die Erben (Berija, Molotow, Malenkow, Bulganin; auf einem hinteren Rang auch Chruschtschow) sich wild bekriegten. Da ging es noch einmal richtig à la Bolschewiki zu; Berija zum Beispiel wurde nach seiner Entmachtung kurz gefoltert und dann erschossen.
Es blieben als Ergebnis dieser Diadochenkämpfe noch Bulganin übrig und Chruschtschow, der sich zielstrebig ganz nach oben gearbeitet hatte. Er war - ein Bauer von noch nicht 1,60 m Größe, mal polternd und mal sentimental - von allen unterschätzt worden.
Als er dann die Macht erobert hatte und seine "Geheimrede" zu Stalins Verbrechen hielt (die überhaupt nicht geheim war, sondern in Tausenden von Exemplaren verteilt wurde), gab es erst einmal die Erleichterung, daß jetzt erstmals kein offensichtlicher Verbrecher an der Spitze der UdSSR stand. Im Westen, und wohl auch in Rußland.
Ja, man sprach von einer "Tauwetter-Periode". Es gab auch gewisse Liberalisierungen; jedenfalls anfangs. Aber zwischen der "Geheimrede" im Februar 1956 und dem Volksaufstand in Ungarn im Oktober 1956 lagen ja gerade einmal acht Monate. Da hatte es sich schon ausgetaut.
Chruschtschow herrschte weniger brutal als Stalin. Der entmachtete Molotow zum Beispiel wurde nicht mehr hingerichtet, sondern, wenn ich mich recht erinnere, Botschafter in der Mongolei oder so etwas. Malenkow endete, glaube ich, als Direktor eines Kraftwerks. Chruschtschow war auch mehr als Stalin bemüht, die Versorgung mit Lebensmitteln und anderen Konsumgütern zu verbessern.
Aber das war eigentlich schon alles. Von den wirklichen Vorgängen im Kreml erfuhr man wenig. Es gab nicht viele ausländische Korrespondenten in Moskau, und diese wurden streng überwacht.
Außenpolitisch war Chruschtschow beinhart. Der alte Soldat Eisenhower mit seinem ausgezeichneten Außenminister John Foster Dulles sahen ihn richtig und kamen ihm nicht entgegen. Ebenso hatten Adenauer und de Gaulle keine Illusionen. De Gaulle hat sogar in den Wochen vor dem 13. August versucht, ein gemeinsames militärisches Vorgehen der Westalliierten für den Fall eines Bruchs des Viermächtestatuts zu vereinbaren. Aber Kennedy zog nicht mit; auch die Briten hatten kein Interesse.
Der russischen Führung war Chruschtschow wohl vor allem mit seinem rustikalen Auftreten zunehmend peinlich geworden. Die Sache mit dem Schuh war ja nur ein Beispiel. Er wurde so gestürzt, wie er selbst seine Widersacher gestürzt hatte: Durch ein Komplott in Politbüro und ZK.
Es gehört zu den interessanten Aspekten des kommunistischen Systems, daß Machtwechsel nie auf eine auch nur halbwegs geordnete und offene Weise erfolgten. Immer wurde gegen den Machthaber konspiriert; zuletzt auch noch beim Sturz Honeckers.
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