Vorab, lieber energist, diese Bemerkungen:
1. Das Recht gilt für alle gleichermaßen. Das ist eine Binsenweisheit und unabdingbar, wenn man überhaupt von Recht sprechen will. Auch wenn es im Einzelfall mal sehr schwer fällt (siehe auch den Fall Gäfgen). Es ist daher absurd zu vertreten, Staaten dürften rechtswidrig vorgehen, weil sie DRS sind.
2. Das Recht ist nicht das einzige Mittel zur Konfliktlösung. In D wird fast immer vergessen, daß Politik (einschl. der Anwendung militärischer Gewalt) gleichberechtigt und eigenständig ist. Man kann sich durchaus sein eigenes Völkerrecht schaffen, den Irak angreifen oder ObL liquidieren, wenn man dafür stark genug und das politisch zweckmäßig und sinnvoll ist.
3. Das Recht zur „Selbstverteidigung“ ist, unabhängig von der völkerrechtlichen Seite, eines der Mittel, mit dem die USA ihren weltumspannenden Herrschaftsanspruch durchsetzen. Das läßt sich in der Diplomatiegeschichte gut nachvollziehen, von der Monroe-Doktrin bis hin zum Kellog-Pakt und der Stimson-Doktrin und dem Völkerbund bzw den UN in der ursprünglichen Konzeption. Die USA führen ihre Kriege immer irgendwie zur Selbstverteidigung, sogar den eindeutig völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak 2003.
Prinzipiell sind Ihre Fragen in Bezug auf G im Völkerrecht geregelt. Bei der Liquidierung ObL ist es leider nicht so einfach.
Die libyschen Attentate sind völkerrechtlich „armed attacks“ iSv. Art.51 UN-Charta und berechtigen die betroffenen Staaten zu Gegenmaßnahmen im Rahmen der Selbstverteidigung, die zumindest im Falle der USA auch umgehend erfolgt sind. Das ist - soweit ich feststellen konnte - auch unstreitig. Gedeckt sind aber nur zeitnahe Maßnahmen. Ein „Abservieren“ im Jahre 2011 für Ereignisse aus den 80er oder 90er Jahren ist eindeutig unzulässig. Erst recht, wenn man in der Zwischenzeit mit dem Aggressor völkerrechtliche Vereinbarungen über die Entschädigung etcpp wegen der alten Vorkommnisse getroffen hat.
Bei ObL stößt das Völkerrecht derzeit an seine Grenzen, denn zum einen gelten für ihn als Privatmann die Regeln für die Zulässigkeit bewaffneter Handlungen zwischen Staaten nicht, zum anderen sind globale terroristische Handlungen durch Al Kaida und ObL rechtlich schwer zu fassen. Auch fehlen uns wichtige Fakten, die aber für eine Beurteilung entscheidend sind. Ob ObL sich gewehrt hat, ob das US- Kommando ihn festnehmen oder von Anfang an liquidieren wollte, ob und inwieweit er noch in die Führung von Al Kaida involviert war, ist unbekannt oder nicht eindeutig geklärt. Ob und inwieweit Pakistan ihn unterstützt hat, ist ebenfalls umstritten. Das sind aber alles Punkte, die rechtlich von Bedeutung sind.
Beispiel: Nach 9/11 griffen die USA umgehend Afghanistan als Gaststaat des ObL an und beriefen sich dabei auf das Recht zur Selbstverteidigung. Ich habe mich damit im Rahmen der umfangreichen Diskussion um die Rechtmäßigkeit des Irakkrieges 2003 näher beschäftigt und festgestellt, daß die Völkerrechtler und die UN selbst fast einhellig bestätigen, daß der Angriff von Art.51 UN-Charta gedeckt war, auch wenn nicht Afghanistan, sondern ObL den Angriff auf die USA geführt hat. Alle akzeptierten aber, daß Afghanistan den Terrorismus gedeckt und zugelassen hat, daß ObL von afghanischem Territorium aus die USA angreift. Einer solcher Einhelligkeit begegnet man im Völkerrecht nur sehr selten.
Ganz anders sieht es mit der Liquidierung ObL 2011 aus, wobei sich die USA wieder auf das Recht zur Selbstverteidigung berufen haben. Das wäre aber nur zulässig, wenn Pakistan ihn so unterstützt hätte wie 2001 Afghanistan. Sonst liegt eine klare Verletzung der pakistanischen Souveränität vor. Weiter ist umstritten, ob ObL als Kriegsgegner oder als gewöhnlicher Krimineller zu beurteilen ist. Wenn der Mann zB von Frankreich oder Deutschland aus Al Kaida gesteuert hätte, wäre ein polizeilicher Zugriff erfolgt, und die völkerrechtlichen Fragen hätten sich so überhaupt nicht gestellt.
Ich finde, man sollte eingestehen, daß derzeit das Völkerrecht (noch) nicht in der Lage ist, diese komplexen Fragen zu beantworten. Deshalb habe ich kein Problem damit, wenn die USA die Frage unter dem Gesichtspunkt ihres nationalen Interesses beurteilen und ObL in der geschehenen Weise liquidieren. Hätte er zB in der VRC Unterschlupf gefunden, wären die USA mit Sicherheit anders vorgegangen. Gegen die Texte neuer staatlicher Regelungen liest sich das preußische Exerzierreglement wie das Feuilleton einer liberalen Wochenzeitschrift.
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