Zitat von Gorgasal Überhaupt erinnert mich das Vorgehen Frau Merkels und der gesamten Bundesregierung frappant an die Salamitaktik, mit der Chávez Venezuela in den Sozialismus führt und den Zettel gerne anprangert.
Ihre Assoziationen kann ich ihnen nicht verwehren, lieber Gorgasal. 
Ich kann da keine Ähnlichkeit erkennen. Chávez will den Sozialismus einführen und hat dazu eine langfristig angelegte Strategie der kleinen Schritte. Die Bundesregierung hat innerhalb eines Prozesses, den sie ja nun nicht kontrolliert, auf die jeweilige Lage reagiert. Natürlich hat sie ihre Positionen verändert. Was anders ist denn der Sinn von Verhandlungen, als daß alle ihre Positionen verändern?
Zitat von Gorgasal Wie R.A. schon anmerkte: ich kann mir nur schwer vorstellen, dass Frau Merkel vor zwei Wochen, als sie den Hebel noch kategorisch ausschloss, tatsächlich nicht damit rechnete.
Ich weiß nicht, lieber Gorgasal, wie oft Sie schon an Verhandlungen teilgenommen haben, welcher Art auch immer. Ich habe das ziemlich oft gemacht.
Am Anfang formuliert man seine Position. Man rechnet damit, daß man nachgeben muß, aber man wird den Teufel tun, das zu sagen. Gerade dort, wo man bereit ist, im Notfall nachzugeben, wird man sich besonders hart zeigen, um den Preis für sein Nachgeben in die Höhe zu treiben.
Die Gegenspieler dürfen nicht wissen, was man als seine Essentials ansieht und wo man Kompromißmöglichkeiten sieht. Nur dann kann man das Optimale für sich herausholen. Im Grunde besteht die ganze Kunst des Verhandelns darin, für möglichst wenige eigene Zugeständnisse möglichst viele Zugeständnisse der Gegenseite(n) zu erlangen. Das geht nur, wenn die Gegenseite nicht weiß, welchen Preis wofür man bereit ist zu zahlen und für welchen Preis man sich was abhandeln lassen würde.
Wenn - wie es vernünftig ist - Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden und die Beteiligten Profis sind, dann wird niemand so naiv sein, nach dem Abschluß dem anderen zu sagen: "Aber Herr X, sie hatten doch anfangs gesagt, sie würden im Punkt ABC niemals nachgeben - und dann haben Sie es doch getan! Sie sind ein Lügner!"
Nicht wahr, das wäre albern.
Nun ist es aber in der Politik so, daß ein Teil der Verhandlungen coram publico stattfinden. Und da muß eine Kanzlerin, die erfolgreich verhandelt, indem sie zuvor bezogene Positionen (etwa beim Hebel) aufgibt, sich sagen lassen, daß sie Informationen zurückgehalten, daß sie Positionen geräumt hat usw. Also das, was Steinmeier gestern der Kanzlerin vorgeworfen und wozu sie leise gelächlt hat.
Ja, klar, sie hat Positionen geräumt. Sie hat eben verhandelt.
Zitat von Gorgasal Aber sie geht eben schrittweise vor, um dem deutschen Steuerzahler immer neue Lasten Stück für Stück aufzuerlegen, nicht alle auf einmal. Und das ist eben irgendwann nicht mehr glaubwürdig.
Ich sehe keinen Hinweis darauf, daß es der Kanzlerin um Lasten oder nicht Lasten für den deutschen Steuerzahler geht. Es geht um die Erhaltung der EU und die Stabilität des Euro.
Daß das für Deutschland teuer werden wird, schreibe ich seit Monaten. Stratfor hat schon vor Monaten die Alternative klar formuliert: Wenn Deutschland seine - für es vorteilhafte - Führungsrolle in Europa spielen will, dann muß es finanzielle Opfer bringen.
Was wäre vor Monaten die Alternative gewesen? Daß Frankreich die Führungsrolle übernimmt? Ihm fehlt dazu die Wirtschaftskraft; es steckt ja selbst in einer Schuldenkrise. Daß man Griechenland pleite gehen und erst das französische Bankensystem krachen läßt, dann die restlichen?
Ja, wo wäre denn da der Vorteil für den deutschen Steuerzahler gewesen? Ich halte es für naiv, zu glauben, daß irgendwer, und auch nicht Deutschland, aus dieser Krise ohne Verluste herauskommen kann.
Die Frage war keinen Augenblick, ob es ohne Lasten für den deutschen Steuerzahler (und/oder den deutschen Sparer, den deutschen Kleinaktionär, den deutschen Arbeitnehmer) abgehen würde. Die Frage war und ist nur, wie man diese Lasten minimiert und zugleich die Vorteile optimiert.
Herzlich, Zettel
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