Zitat von Martin ich glaube man sollte in dieser Verhandlungssituation auch sehen, dass manche Positionen bewusst an die Öffentlichkeit getragen werden, nicht um eigene Überzeugungen zu verkünden und diese zu zementieren, sondern um die Öffentlichkeit für die eigene Position zu mobilisieren. Verhandlungstaktisch sind die Medien und die Öffentlichkeit allgemein die Kanonen, die in Stellung gebracht werden. Wir hatten hier (glaube ich mich zu erinnern) vor kurzem irgendwo die Frage gestellt, ob die griechischen Proteste gegen die Regierung nicht den Regierenden willkommen sind. Ohne Proteste und Feuer auf den Straßen wäre die Verhandlungsposition der Regierung gegenüber der Troika deutlich schwächer.
Ja, das hatte ich hier einmal zu bedenken gegeben.
Ich stimme Ihnen völlig zu. In der Politik hängt die Verhandlungsposition wesentlich auch von der Öffentlichkeit ab, die man für seine Ziele mobilisieren kann, die diesen aber auch im Weg stehen kann. Oder die, wie jetzt im Griechenland, zwar gegen die Regierung protestiert, aber gerade dadurch deren Verhandlungsposition stärkt.
Übrigens ist das, wie man zum Beispiel den Memoiren von Politkern entnehmen kann, ein beliebtes Druckmitteln in Verhandlungen: Darauf hinzuweisen, daß man dies und jenes im eigenen Parlament oder gegenüber der eigenen Öffentlichkeit ja gar nicht durchsetzen könne.
Zitat von Martin In dieser Sitaution macht die Diskussion über Lüge oder nicht absolut keinen Sinn. Das Dumme ist, eine Regierung kann den obigen Mechanismus nicht artikulieren, weil er genau in diesem Moment an Wirkung verlöre.
Ja, das ist so eine Dialektik; so, wie Placebos ihre Wirkung verlieren, sobald man deren Mechanismus kennt (wenigstens zum Teil ihre Wirkung verlieren; Konditionierung kann bestehen bleiben).
Die Kanzlerin muß so tun, als seien Positionen unverrückbar, von denen sie doch schon weiß, daß sie diese räumen muß. Würde sie das aber nicht behaupten, dann könnte sie für das Räumen keine Gegenleistung mehr bekommen.
Wer das nicht verstanden hat, der ruft "Lüge!". Steinmeier versteht es natürlich, aber er mußte im Bundestag, wenn auch leise, doch "Lüge!" rufen; das war seines Amtes.
Und setzte noch eins drauf auf die Dialektik: Steinmeier "log" natürlich auch, wenn er sich über die angeblichen Unwahrheiten der Kanzlerin echauffierte. Von daher das Lächeln der Kanzlerin, als er das vortrug.
Zitat von Martin 1. Auch ich kann Frau Merkel nichts abgewinnen, wenn sie im weitesten Sinne Krieg und Frieden ins Spiel bringt (es sei denn Herr Sarkozy hätte ihr damit gedroht). Ich hätte es eher akzeptiert, wenn sie die Nutzen / Risiko Abwägung zwischen den Positionen die zur Debatte standen transparent gemacht hätte, z.B. eine Bewertung der Position eines Herrn Schäffler.
Die Kanzlerin ist für einen Politiker ungewöhnlich wenig demagogisch.
Selbst der heute so abgeklärte Helmut Schmidt war in seiner aktiven Zeit demagogischer (ich erinnere mich an eine TV-Diskussion, in der er Helmut Kohl mit einem üblen Trick hereingelegt hat; das würde Merkel niemals machen).
Aber auch sie muß natürlich gelegentlich auf die Emotionen der Menschen achten. Sie tut das weniger als jeder andere führende Politiker in Deutschland, aber sie hat es eben in diesem Fall einmal a bisserl getan.
Es ist ja doch nicht falsch, daß die Europäische Einigung uns eine beispiellose Epoche des Friedens gebracht hat. Die Historiker im Forum können mich vielleicht korrigieren: Ich kann auf Anhieb überhaupt keine Epoche nennen, in der es in ganz Nord-, West-, Mittel- und Südeuropa 65 Jahre lang keinen einzigen Krieg gegeben hat (nur den in Südosteuropa).
Und das ist nicht selbstverständlich und muß nicht so bleiben. Daß es immer wieder Kriege gibt, ist der Normalfall, seit es menschliche Kultur gibt. Mit am grausamsten übrigens oft dort, wo "der Mensch im Einklang mit der Natur lebt"; sagen wir, auf Typee.
Also wird es auch in Europa wieder Kriege gehen, falls die EU zerfällt. Das ist eine Prognose, die alle Erfahrung für sich hat.
Herzlich, Zettel
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