Lieber Zettel,
ein Islam, der in einem Sinn reformiert wurde, der mit den Werten z.B. des Grundgesetzes vereinbar wäre, wäre kein Islam mehr. Das wäre dann eine andere Religion. Insofern hast du Recht: Es kann sein, dass die Menschen, die jetzt da leben, wo der Islan vorherrscht, irgendwann einmal nach und nach eine andere Religion annehmen. Nur gibt es diese Religion bislang höchstens in den Köpfen einiger weniger Gelehrter und westlicher Idealisten. Und der Weg dahin ist steinig, denn Apostasie ist in islamisch geprägten Gesellschaften und Familien nichts, was man eben mal so schadlos übersteht. Das Praktische ist zudem: Sie muss noch nicht mal vom angeblich Abfallenden selbst festgestellt werden. Das können auch andere für ihn übernehmen, wenn sie zu dem Schluss kommen, dass sein Glaube nicht wahrhaftig ist.
Man zieht immer gerne als Beispiel heran, das Christentum habe sich reformiert. Wäre das so, könnte heute kein Mensch mehr von Ökumene reden. In Wirklichkeit steht das Christentum nach wie vor zu denselben Kernaussagen, wie sie seit ca. 1500 Jahren vertreten werden: Christus als Sohn Gottes, Heilige Dreifaltigkeit, Wiederauferstehung, Vergebung der Sünden. Diese Grenzen müssen auch beim Islam beachtet werden: Allah als Autor des Korans, Koran und Worte Mohammeds als letzte Offenbarung. Das hat viele Konsequenzen, die hier alle aufzuführen ich mir erspare. Nur die wichtigsten kurz angerissen:
Kein Christ wird je sagen, dass Jesus irgendetwas "falsch gemacht" hätte. Und obwohl seine Stellung etwas schwächer ist, wird das auch kein Muslim über Mohammed je sagen. Das Problem liegt dann in den unterschiedlichen Lebensweisen dieser beiden Menschen, die dazu führen, dass jeweils eine andere Art von Tat als vorbildlich betrachtet werden muss (siehe die Hinweise von Techniknörgler). Wer sich mit dem Leben Jesu beschäftigt, wird enorme Probleme damit haben, ihn als Kronzeugen für Gewalttaten und religiöse Alltagsgesetze heranzuziehen. Wer sich mit dem Leben Mohammeds beschäftigt, wird enorme Probleme haben, das nicht zu tun. Ich sehe keinen Weg, wie der Islam über eine Kritik der Worte und Taten seines Gründers reformierbar wäre.
Die Bibel lässt sich interpretieren, weil von jeher akzeptiert wird, dass sie von Menschen verfasst wurde. Beim Koran geht das nicht: Der muss wörtlich genommen werden. So sehr, dass er in den Islamschulen von ganz normalen Gläubigen in einer Sprache auswendig gelernt wird, die heute keiner mehr spricht. Davon abzurücken hieße, einen der wesentlichen Glaubensinhalte des Islam aufzugeben. Und wir wissen, was Leuten droht, die so etwas versuchen.
Der Islam hat sich also schon von seinen Kernaussagen her gegen Erneuerung komplett abgeschottet, und er hat ein System implementiert, das Abweichungen äußerst gefährlich macht. Jenseits aller Staatlichkeit und Machtkalküle übrigens, und das ist ein entscheidender Unterschied, wenn sowas mit den Verfolgungen christlicher Häretiker in vergangenen Jahrhunderten verglichen wird. Der andere Unterschied ist, dass mit der Verbreitung der Bibel unter den normalen Gläubigen in Folge der Reformation die den Aussagen der Schrift eklatant widersprechende Praxis der weltlichen und geistlichen Oberhäupter nicht mehr so leicht zu halten war - Luther hat auch sein eigentliches Ziel, nämlich die Reformation der katholischen Kirche, zu einem guten Stück erreicht. Wie C. schon ausführte: Reformation hieß auch bei Luther schon "zurück zu den Quellen". Dasselbe gilt auch für den Islam, nur nennen wir das, was dabei herauskommt, aus unerfindlichen Gründen "Islamismus".
Die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben beruht daher nicht auf einer Veränderung des Islam, sondern auf dessen nachlassender Bedeutung für das Leben der Menschen. Und das ist dann tatsächlich eine denkbare Entwicklung, die durchaus auch durch weltliche Taten mit beeinflusst werden kann. -- L'État, c'est la grande fiction à travers laquelle tout le monde s'efforce de vivre aux dépens de tout le monde. (Frédéric Bastiat)
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