Zitat von Rayson Die Hoffnung auf ein friedliches Zusammenleben beruht daher nicht auf einer Veränderung des Islam, sondern auf dessen nachlassender Bedeutung für das Leben der Menschen. Und das ist dann tatsächlich eine denkbare Entwicklung, die durchaus auch durch weltliche Taten mit beeinflusst werden kann.
Ich würde das nicht in dieser Weise unterscheiden, lieber Rayson.
Vielleicht diskutieren wir in diesem Thread (und in vielen anderen zuvor) gelegentlich aneinander vorbei, weil wir mit "Islam" etwas verschiedenes meinen.
Ich meine damit praktizierte Religiosität. Also das, was Menschen, die sich als Moslems verstehen, glauben und praktizieren. So, wie wir mit "Katholizismus" den Glauben und das Tun von Katholiken meinen. Im Katholizismus gibt es vieles, das über die Lehre des Vatikan hinausgeht, ihr oft auch widerspricht.
Wenn man sich den Protestantismus anschaut, so hat er in seiner praktizierten Form oft kaum noch Glaubensinhalte; er erschöpft sich darin, die Kinder taufen zu lassen, vielleicht kirchlich zu heiraten, vielleicht zu Weihnachten in die Kirche zu gehen. Aber auch das gehört zum Protestantismus.
Die Untersuchung, die Urlauber dankenswerterweise verlinkt hatte, stammt von einer islamkritischen Organisation und ist methodisch zweifelhaft. Aber selbst die dort bericheten Daten zeigen, daß die Mehrheit der interviewten Studenten, die sich (vermutlich) als Moslems bezeichnen, den Islam als vereinbar mit einer westlichen Demokratie ansieht, weder die Scharia will noch gar die Bestrafung von Apostaten (das wollen nur wenige Prozent).
Ich habe kürzlich beschrieben, wie die Familie unserer Bügelfrau den Islam praktiziert. Sie findet nichts dabei, Weihnachten zu feiern und die Kinder in einen christlichen Kindergarten zu schicken. Ich habe jahrzehntelang Gespräche mit türkischen Taxifahrern geführt, die ich allmählich gut kannte. Ich habe immer wieder versucht, herauszubekommen, wie sie den Islam verstanden.
Viele lehnten ihn überhaupt ab. Ein Teil waren liberale Aleviten. Die anderen sahen größtenteils die Religion als unwichtig an. Die Mehrheit befolgte den Ramadan, weil man das nun einmal macht. Es gab unter den Dutzenden, die ich im Lauf der Jahre kennengelernt habe, vielleicht eine Handvoll, die Fromme waren, engagierte Moslems.
Einer ist ein sehr lustiger Mann. Er hat mich erst vor ein paar Tagen wieder gefahren und mir wieder eine der Schnurren von Nasreddin erzählt.
Also, diese gelebte, praktizierte Religiosität meine ich mit "Islam"; nicht das, was Prediger predigen und Korangelehrte schreiben. Der Katholizismus ist nicht nur der Vatikan.
Wieweit sich auch das, was in den Moscheen gepredigt wird, liberalisieren wird, weiß ich nicht. Ich kann - mit ein bißchen Wissen über die Geschichte des Islam, ohne Kenntnis seiner Theologie - nur konstatieren, daß es im Lauf seiner Geschichte zahllose Strömungen gegeben hat und gibt; von der Mystik der Sufiten über militante Strömungen wie die Assassinen und später die Mahdi-Bewegung, jetzt die Kaida, bis zu den liberalen Aleviten und den Alawiten, deren Lehre niemand so recht kennt.
Zu argumentieren, beispielsweise die Aleviten seien gar keine richtigen Moslems, ist begging the question. Sie allein zeigen, daß es sehr wohl einen liberalen, toleranten Islam geben kann.
Herzlich, Zettel
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